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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

wollen jedoch nur noch einer afrikanischen Ballschleppe gedenken, wie sie z. B. bei den Balivölkern im Hinterlande von Kamerun üblich ist. Dort schlingen die sehr spärlich bekleideten Schönen gewöhnliches Baumwollzeug von der Breite eines Taschentuchs um die Hüften und lassen das eine Ende 4 bis 5 Meter lang auf dem Erdboden schleifen. Auch Männer versehen sich bisweilen mit einem solchen Ballschmuck. Auf dem Tanzboden wird nun die Schleppe nicht aufgehoben, sie flattert während des Tanzes in allerschönsten Schlangenwindungen hin und her, und es gehört zum dortigen guten Tone, daß keiner der Tänzer auf die Schleppen der Tänzerinnen tritt.

Aber selbst in Gegenden, in welchen Baumwollzeuge rar, Seide und ähnliche kostbare Stoffe unbekannt sind, verzichten die Afrikaner nicht immer auf den Staat der Schleppe. Die Natur hat dem Menschen im Gegensatz zu den Tieren den Schmuck des Schwanzes versagt, aber Naturvölker gefallen sich oft in ihm und binden sich von hinten allerlei Anhängsel an. Bald. besteht der Schmuck nur aus Erbsenstroh und Bananenblättern, muß aber bei festlichen Gelegenheiten doch bis auf die Erde herabwallen. Oft werden wirkliche Tierschwänze angehängt, und als besonders vornehm gelten die langen, die auf dem Boden schleppen. Dieser Schmuck, über dessen Verbreitung bei den Naturvölkern man früher nicht genauer unterrichtet war, gab ja den Anlaß zur Entstehung des Märchens von geschwänzten Menschenaffen, die in Urwäldern Afrikas und Asiens leben sollten. Dieser Putz zählt zweifellos zu den ältesten des Menschengeschlechtes, da wir ihm bei Völkern auf der niedrigsten Kulturstufe begegnen, und in ihm haben wir auch zweifellos das Urbild der Schleppe vor uns.

Doch die Menschheit schreitet fort und hoffentlich wird einmal die Zeit kommen, in welcher die civilisierten Frauen das Vergnügen, sich in Nachahmung des Tierschwanzes zu gefallen, großmütig ihren wilden und halbwilden Schwestern überlassen und eine Kleidung wählen, die mehr der Natur des Menschen entspricht. Dann wird auch unseren europäischen geschwänzten Röcken das letzte Stündlein schlagen. C. Horst.     



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Ein tiroler Bauerntheater.

Von Max Haushofer.

Seit die Oberammergauer mit ihrem Passionsspiel sich einen Weltruf erworben haben, sind an verschiedenen Punkten der Alpen und ihres Vorlands die dramatischen Neigungen, die dem Volke im Blute liegen, zu hellem Leben erwacht. Passionsspiele oder Volksschauspiele weltlichen Inhalts werden da und dort aufgeführt, in Brixlegg, in Meran, in Dornbirn und Schliersee, und diese tiroler, vorarlberger und oberbayerischen Bauern stellen ihr Licht nicht unter den Scheffel, sie sorgen dafür oder man sorgt ihnen dafür, daß alle Welt von ihnen erfahre und komme, ihre urwüchsige Kunst zu bewundern. Ja die Schlierseeer haben sich von ihrem Meister und Impresario Konrad Dreher sogar auf Gastspielreisen in die Städte der Ebene mitnehmen lassen.

Neben diesen Bauernbühnen aber, die gleichsam unter den Augen der Welt emporgekommen sind und die, dank einer gewissen geschäftlichen Betriebsamkeit, ihre Rolle als Zugmittel für den Fremdenverkehr spielen, giebt es eine Reihe von anderen, auf denen auch Bauern Theater spielen, aber ganz für sich und unter sich, ohne Festausschuß und Vertreter der Presse. Einem solchen Bauerntheater gilt diesmal unser Besuch. Des Reiches Grenze liegt hinter uns. Zwischen dem bewaldeten Berghang und dem ruhig herabwogenden Innstrome rollt unser Bahnzug entlang, der alten Feste Kufstein entgegen, die mit ihren runden Türmen schon nahe herüberschaut. Hoch über Burg und Städtchen aber trotzen die gewaltigen Zinnen des Kaisergebirgs, mit blauen Schatten und grauweißen Lichtern, von Sommerwolken umtanzt.

Am Bahnhof zu Kufstein erwartet uns schon die kaiserlich österreichische Finanzwache, scharfäugig ausschauend nach jedem Gepäckstück, das etwa zollpflichtige Ware bergen könnte. Unser ganzes Gepäck aber ist eine vergnügte Sonntagsstimmung. Die ist Gott sei Dank noch nicht zollpflichtig. Unbehelligt durchwandern wir den Zollrevisionsraum und eilen über die Brücke ins Städtchen. Es ist zwölf Uhr; um zwei Uhr soll das Bauerntheater in Thiersee beginnen, also gilt’s Eile; denn man fährt dahin in etwa anderthalb Stunden; und eine halbe Stunde dürfen wir uns vergönnen, unseren Hunger zu stillen.

Man fährt dahin. Wie leicht ist das gedacht und gesagt! Während uns der Wirt zur „Post“ einen vortrefflichen Rehbraten vorsetzt, schickt er einen dienstbeflissenen Hausknecht zu den städtischen Rosselenkern, um ein Fuhrwerk aufzutreiben. Wir freuen uns riesig auf die Fahrt, schaut doch die Sonne so festtäglich auf den mächtigen Felsenturm des Peutling herab und spielt auf den glitzernden Wellen des Stroms, der unmittelbar zu unseren Füßen rauscht!

Da naht sich der Wirt. Eine verdächtige Bewegung seiner Achseln läßt nichts Gutes ahnen. Wahrhaftig – in der ganzen Stadt Kufstein mit ihrer ragenden Feste ist kein Roß mehr aufzutreiben! Der Wirt tröstet uns freilich mit der Bemerkung, die Straße sei so schlecht, daß ein Fuhrwerk gerade so lange Zeit brauche wie ein Fußgänger; aber der Trost erinnert doch sehr an den Fuchs mit den Trauben, denn die Sonne brennt heiß auf unseren Scheitel und es ist Mittag. Also denn zu Fuß! Aber den ersten Akt wird uns dieses ausgebliebene Roß wohl kosten.

Wir wandern über die Brücke zurück, nachdem uns der Wirt den Weg als einen nicht zu verfehlenden beschrieben hat. Wir finden auch richtig die Straße, die zum bewaldeten Thierberg hinanführt. Aber ein Dämon war’s, der diese Straße gebaut hat. Denn nachdem wir eine gute halbe Stunde auf ihr rüstig bergan geschritten sind, zeigt sie jene unheimliche Eigentümlichkeit, die wir schon an mancher Gebirgsstraße beobachtet haben, bei dieser aber am wenigsten erwartet hätten. Sie wird nämlich zusehends schmaler und unscheinbarer, sendet bald nach rechts, bald nach links einen kaum mehr sichtbaren Fußsteig ab und verflüchtigt sich selber schließlich zu einem sumpfigen Pfade, der sich zwar noch den Anschein giebt, als sei er einst befahren worden, in kürzester Zeit aber auch diese Maske fallen läßt und am Ufer eines kleinen Waldsees völlig zu Ende geht.

Wir sind in tiefster Wildnis. Verwunschen und verzaubert liegt der See vor uns, in welchem ein elegantes Badehäuschen wie ein kleiner weltvergessener Bau von Geisterhänden steht. Es ist ein entzückendes Waldgeheimnis, dieses rings von dunklen Fichten umrauschte wunderbar grüne Gewässer und der verschlossene zierliche Holzbau am Ufer. Sollte nicht im nächsten Augenblicke die Nixe dieses Waldsees aus diesem Hüttchen schweben und uns völlig verwünschen, daß wir den Weg in die Menschenwelt nicht zurückfänden?

Die Sache wäre sehr romantisch; aber wir wollen keine indianischen Pfadfindereien, sondern vorwärts nach dem Theater zu Thiersee. Mit verzweifelter Hast stürzen wir uns in den Bergwald, immer in der Richtung nach Thiersee zu vordringend. Ein steiler Felsabsturz scheint uns zu einem weiten Umweg nötigen zu wollen; da wird der harmlose Theatergang zum schneidigen Alpensport, und nach einer halbstündigen Kletterpartie finden wir uns endlich wieder auf einer Straße, wo wir tiefaufatmend den Wunsch nicht unterdrücken können, die Thierseeer Theaterdirektion möge doch in einem künftigen Jahre für einen oder zwei schlichte hölzerne Wegzeiger Sorge tragen.

Wenige Minuten später wandern wir in den anmutigen weiten Thalkessel von Thiersee ein. Der See, an dessen Ufer die Höfe der Gemeinde liegen, glitzert in der Nachmittagssonne; hoch über ihn schwingt sich die Felspyramide des Peutling in die klare Sommerluft am Hange grüner Hügel; von bewaldeten Bergzügen überragt, schimmern wohlanständige, gutgebaute Bauernhäuser. Viele tiroler Thäler übertreffen das Thierseeer Thal an Großartigkeit; die wenigsten aber gleichen ihm in Bezug auf sanfte Anmut der Landschaft und auf behäbige Heiterkeit der Wohnstätten. Ein flüchtiger Blick in das Haus eines Thierseeer Bauern, eine kurze Zwiesprach mit einem Inwohner genügt, um den Fremden darüber aufzuklären, daß er sich hier bei einem Völkchen befindet, welches auf seinem Boden und in seinem Brauche festgewurzelt steht, der Außenwelt nicht bedarf, aber gastfreundlich den Durchzug durch sein grünes Waldparadies gestattet. Im Gegensatze zu so vielen anderen Bergthälern sieht man hier nichts Armes, nichts Verkümmertes. Es mögen etwa hundertvierzig Häuser sein, die zu den Ortschaften Vorder- und Hinterthiersee und Landl gehören; aber fast jedes dieser Häuser ist ein stattlicher Bauernhof mit reichlichem Zubehör an fruchttragenden Feldern, üppigen Wiesen, Wald und Almweide. Und auf den Thierseeer Almen hausen nicht, wie das sonst in Tirol üblich ist, wüste „Schafler“ und „Melker“ männlichen Geschlechts, sondern hier ziehen wie in den bayerischen und oberösterreichischen Voralpen die Mädchen des Dorfes allsommerlich nach den Almen hinauf, deren ergiebige Weidegründe sich weit über selten begangene, kaum gekannte Berglandschaften hin erstrecken. Und daß die Thierseeer Mädchen schön sind, glauben wir nach den wenigen Proben, die wir davon gesehen haben, ohne weiteres. Aber auch die Männer sind von stattlicher Art, hochgewachsen und schlank, mit offenen verständigen Gesichtern und entschiedenem,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_444.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2021)