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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Dann spann sich das ganze stille Leben des Hauses in der Wohnstube drunten ab, wo der alte schwere Ofen aus grünen Kacheln in der Ecke stand, mit der Ofenbank, wie zu Großväterzeiteu. Dort war es hübsch behaglich. Am Fenster, von wo man auf den winterlichen Markt hinaussah, stand Käthes Nähtisch, nahe beim Ofen Vaters großer Lehnstuhl mit dem grauen Leinenpolster, an der Wand ein altes ledernes Sofa, in der Mitte des Zimmers der kleine runde Tisch und ein paar Stühle.

Auch Hubert verbrachte seine Abende meist hier. Sie plauderten dann oder es wurde etwas vorgelesen. Nicht selten erzählte der Vater von den fernen Jahren seines Soldatenlebens, Episoden aus dem Kriege, vom Schlachtfeld. Er konnte sich ganz erwärmen dabei und seine Pfeife vergessen, so daß Hubert eine frische Kohle darauf legen mußte, denn eine türkische Pfeife, sagte der alte Herr oft, dürfe man nur auf solche Art in Brand setzen. Im Ofen summten die Kloben, oder die Aepfel, die Käthe auf die Platte gethan hatte, zischten vor Hitze und einer oder der andere, der es schon gar nicht mehr aushalten konnte, platzte schnaufend auseinander. Das Licht der Lampe floß gedämpft unter dem Schirm aus grünem Glanzpapier hervor und die ausgeschnittenen Rosen und Nelken von Papier waren fast so schön gefärbt wie ihre lebenden Schwestern in der Sommerszeit.

Manchmal blieb Hubert tagelang aus, wenn er auf der entfernten Försterei war. Dann wanderte Käthe in Gedanken stets mit ihm und diese Wanderungen, ihr unberührtes Eigenstes, waren mehr als ihr halbes Leben. Einmal, eines Nachmittags, als sie in der Wohnstube saß und dem Vater im Lehnstuhl die Pfeife langsam zwischen die Kniee hinabgeglitteu war, weil der alte Mann einen Augenblick eingenickt war, blieb ihr Blick länger als sonst auf ihm haften. Es war ganz still drinnen, nur das schwere langsame Ticken der alten Wanduhr tönte und das schlürfende Surren, das sie immer ausftieß, wenn der Pendel nach rechts schwang. Da fiel Käthe mit einem Male das Wort ein, das Hubert damals scherzend gesagt: „Wollt Ihr denn immer so einsam bleiben?“ Eine jähe Röte sprang auf ihre Schläfen und sie erhob sich so ungestüm vom Stuhle, daß der alte Mann darüber erwachte.

Doch Kaufmanns Gusti brachte ein ganz ungewohntes Leben in den kleinen Kreis. Anfangs machte es Käthe beinahe ein bißchen verlegen, die Freundin abends in ihrer einfachen Wohnstube zu sehen, weil sie es zu Hause so viel besser hatte. Aber Gustis Art half ihr bald darüber hinaus. Manchmal jedoch glaubte Käthe aus irgend einem Worte doch etwas wie Hochmut oder Stolz herauszuhören. Aber der Vater, dessen scharfem Auge es nicht entging, verwies es ihr, und dann bat sie Gusti im stillen ihr Unrecht ab. Der Vater und Hubert schienen den heiteren Gast gern zu sehen. Sie wußte immer etwas Neues zu erzählen, sie erspähte die kleinen Gewohnheiten des Alten, ja, sie kam bisweilen Käthe in irgend einem Dienst zuvor. Sie hatte eine einschmeichelnde Art, Hubert von seiner Jägerei erzählen zu machen, vom Jagdleben und vom Wald, den er sehr liebte.

„Die Gusti ist ein kluges Mädchen,“ sagte er einmal, als von ihr die Rede war und der Vater meinte, was die Mädchen heutzutage nicht alles lernen müssen – wie die Jungen! Käthe fühlte die Lücken in ihrem armen Wissen, als ob sie Risse und Löcher an dem Kleide entdeckte, das sie trug, und im geheimen las sie sich neue Kenntnisse zusammen aus den Schulbüchern, die der Bruder zurückgelassen und aus einem alten Konversationslexikon, das im Hause als ein Schatz betrachtet wurde. Denn manchmal kam etwas zur Sprache, wovon sie nichts wußte und wozu sie ehrlich schweigen mußte. Dann war sie froh, ihre Aufmerksamkeit auf die Arbeit zu lenken, damit keine Seele ahnen konnte, was für eine Art von Unruhe ihr förmlich das Herz schneller pochen machte. Freilich war sie sich eigentlich nicht recht im klaren über den Wert dessen, was Gusti aus der Schule mitgebracht hatte. Das lebhafte junge Mädchen warf in ihrer beweglichen Art, zu fragen und zu antworten, die Gegenstände oft mutwillig durcheinander. Aber dennoch schien sie einen gewissen Eindruck damit zu erreichen, der sie ein ganz klein wenig selbstgefällig machte. Auch nannten sie die beiden Männer „Fräulein Gusti“.

Den Schnee von den Füßen stampfend, trat Hubert eines Nachmittags in den Flur, so recht mit warmem Behagen die Wohligkeit des Heims empfindend, das ja von Jugend auf so gut wie sein eigenes war. Er warf draußen den Mantel ab und trat ins Zimmer. Käthe war allein. Ueber ein Buch gebeugt, saß sie beim Tische, und der Schein der Lampe fiel auf ihr Haar und ihre Wangen, die ganz erhitzt waren, so sehr hatte sie sich vertieft gehabt in die Verschwörung Catilinas und andere römische Historien. Sie legte das Buch rasch fort.

„Was hast Du denn da?“ fragte Hubert, der hinter ihren Stuhl getreten war.

„Ach – nichts! man muß nur manchmal wieder etwas lesen. Man vergißt gar so bald, was man einmal gewußt hat.“

Hubert hatte den Arm um ihren Nacken gelegt, beugte sich zu ihr herab und küßte sie auf die Wange.

„Grüß Dich Gott, Käthe!“

Sie hatte sich im Stuhle zurückgelehnt und es kam über sie wie eine Art Lähmung. Er hatte sie so lange nicht mehr geküßt, und was ihr früher einfach und natürlich erschienen, hatte nun für ihr Herz einen so anderen Sinn. Fast bestürzt erhob sie sich, damit er nur ihre Bewegung nicht merke.

„Mach’ Dir’s bequem, Hubert! Das muß ja ein anstrengender Weg gewesen sein, heute! Ich muß in die Küche. Wir wußten nicht, daß Du kommst.“

Indessen streckte er sich behaglich in der Sofaecke. Herrlich war’s in der warmen Wohnstube. Dann nahm er Vaters Zeitung, schob Käthes Buch und Arbeit zur Seite und las, was man aus der Welt erzählte. Mitten im Lesen kam ihm die Empfindung seines tüchtigen Appetits. Einmal stand er auf und sah nach, ob keine Aepfel auf der Platte lägen, aber sie waren noch nicht da.

Gusti Meier trieb auch Musik. Wenn Käthe hinüberkam, spielte sie ihr öfter etwas vor, oder sie sang. Denn sie hatte keine üble Stimme.

„Sag’ mal, Käthe, ist das wahr, daß Hubert so nett singen kann? Der Lehrer meinte neulich, wie gerne er ihn Sonntags auf dem Chor haben möchte, er sei aber gar nicht zu bekommen.“

„Ja, ja! Er hat eine gute Stimme und wohl auch Begabung dazu. Nun muß er aber ganz heraus sein.“

„Wie schade! – Glaubst Du nicht, daß wir ihn überreden könnten?“

„Ich weiß nicht,“ sagte Käthe.

„Nun ja,“ fuhr Gusti fort. „In der Kirche, Sonntags, das ist schon etwas anderes. Es wird ihm gerade nicht passen. Aber hier – der Vater hätte sicher nichts dagegen. Denk’ Dir, wie hübsch! Wir könnten ’was einstudieren, und dann geben wir einmal ein förmliches Konzert – freilich! Paß auf, ich werd’ ihn schon bekommen!“

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüten.



Eine Geschmacksfrage. Nach den Formen vergangener Jahrzehnte greift die Mode heute unbedenklich zurück, und niemand wundert sich darüber, in einem und demselben Kreis Direktoireklappen, Bauschärmel von 1830, Paletots mit Faltenschößen, wie man sie im Jahr Achtundvierzig trug, und die viereckigen Ausschnitte der fünfziger Jahre zu sehen. Warum auch nicht? Was gut steht, ist lebensberechtigt, und manche altmodische Form entfaltet heute ganz ungeahnte Vorzüge an ihren jungen Trägerinnen. Mit den Farben jedoch ist es eine andere Sache, da hat das wahllose Zurückgreifen auf gut Glück seine großen Bedenken. Freilich: mit der Farbenskala von 1830 bis 1850 wäre auch unseren jungen Balldamen wenig gedient, sie würden vermutlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wollte man ihnen zumuten, mit dem armseligen Vergißmeinnichtblau, dem blassen und dem harten Rosa auszukommen, welche im Verein mit einem sehr effektvollen Giftgrün und scharfen Schwefelgelb das ganze Farbenbouquet eines Honoratiorenballs von 1854 ausmachten. Man kann es sich heute wirklich kaum mehr vorstellen, daß die Menschen je solche Farben trugen! .. Zunächst wurden sie allerdings noch schlimmer bedacht, denn nach 1856 tauchten die den Fortschritten der Chemie entsprossenen Anilinfarben auf, Rot, Blau, Violett von einer solchen ungebrochenen Leuchtkraft, daß sie alles ringsum „totschlugen“: Zimmereinrichtung und Tapeten, ja, sogar das eigene Gesicht ihrer Trägerin. Ein berühmter Portraitmaler sagte damals, als man ihm die unzweifelhaft „herrliche Farbe“ eines solchen knallvioletten Kleides pries: „Ja, die Farbe ist wunderschön, ’s ist nur schade, daß oberhalb des Stoffes noch ein Gesicht kommt!“

Sie standen in der That fürchterlich schlecht, diese von der Mode mit so viel Hallo in die Welt gesetzten Leuchtfarben, und es gehörte der ganze harmlose Ungeschmack der Krinolinezeit dazu, um die roterübenfarbigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_291.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)