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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

berühmte Maler, der Spanier, in den die Frauenzimmer rein vernarrt sind. Der sucht sich allemal die Schönste aus, darauf kann man zuerst schon schwören.“

Lorenz maß den Harmlosen mit einem stummen Wutblick, aber seine Begleiterin legte ihm warnend die Hand auf den Arm und jener wandte sich auch bereits, um die dem Wagen der Phantasie nachfolgenden „Vier Menschenalter“ anschauend zu genießen.

Lorenz hatte keine Augen mehr für das von einem großen Elefanten gezogene goldene Zeitalter in Indiens seligen Hainen, er ließ auch das silberne, dargestellt durch einen herrlichen Zug griechischer Mädchen und Jünglinge und einen Prachtwagen perikleischer Kunst, ungerührt passieren. Erst als die eiserne Zeit des Mittelalters kam und der Boden unter dem Tritt der Geharnischten erzitterte, wurde er aufmerksam, weil eine weibliche Stimme aus der Nähe rief: „Seht, da kommt der Kaiserwagen! Das ist der Volkhard und seine Frau, die stellen das Kaiserpaar vor. Ach, sind die schön!“

Nun sah er hin und betrachtete wohlgefällig den prächtigen Hohenstaufen, den zweiten Friedrich, der unter sarazenischem Baldachin mit seiner schönen Gemahlin Hof hielt, umgeben von morgen- und abendländischen Glanzfiguren und von schönen Kindern, die sich zu Füßen des Kaiserpaares gelagert hatten.

Dort hätte sie hingehört!“ grollte Lorenz, als der Prachtwagen langsam vorüberzog. „Nicht allein mit so einem spanischen Windbeutel auf das grüne Gestell da hinauf! Das hätte der Schwager nicht leiden dürfen!“

Er erhielt keine Antwort, denn Fräulein Pankes Finger flogen stenographierend in rasender Eile über die Seiten ihres Notizbuchs. Was war ihr in diesem Augenblick der Liebeskummer des guten Lorenz! Sie fühlte sich einzig als Reporterin, erhaben über menschliche Herzensregungen, groß in mustergültiger Ausübung ihrer Pflicht. Aber die Arme sanken ihr, als nun, mit großem Plakat sich ankündigend, „das Papier- oder Schwindelzeitalter“ auf den Plan trat und mit einer wahren Explosion der ungewöhnlichsten elektrischen, maritimen und hygieinischen Erfindungen, Verkehrsmittel und -hindernisse im großen Schwarm hereinplatzte. Hier hörte die Berichterstattung auf und fing der Unsinn an, der sich auch alsbald unwiderstehlich ansteckend durch den ganzen Saal ergoß und selbst die Gesetzten und Soliden in seinen Wirbel riß.

Sobald der Umzug und das daran anschließende sarazenische Kampf- und Fechtspiel vor dem kaiserlichen Hofe vollendet war, lockte der Wiener Walzer und bald drehte sich ein großer Teil des Publikums trotz Platzmangels und Hitze in der Mitte des großen Saales, während zugleich ein langsames Vorwärtsschieben der anderen nach dem oberen Ende stattfand, um die dort auf einer Estrade ausruhenden Hauptfiguren des Zuges noch einmal im Vorbeigehen zu betrachten.

Darum schien es besonders einer schlanken Frauengestalt zu thun zu sein, die sich rasch und gewandt zwischen den Einzelgruppen durchschmiegte, um dann wieder hinter der Deckung von Säulen und Strauchwerk angelegentlich nach jener Seite hinüberzuspähen. Sie trug ein schillerndes Pfauenfederngewand, da und dort mit kleinen Spiegeln behängt, und um den Hals einen blitzenden Diamantschmuck. Die schwarze Maske aber schloß so fest um Wangen und Kinn, daß von dem Gesicht nichts zu sehen war, als ein Paar rastlos hin und her fahrender Augen.

„Schau einmal an! Wer ist denn das?“ rief der hohenstaufische Gefolgsmann Hachinger, indem er sich breitbeinig auf sein großes Schlachtschwert stützte und vor die Lauschende hinpflanzte. „In welches Zeitalter gehörst denn Du, liebe Eitelkeit?“

„In alle!“ versetzte sie rasch. „Aber am meisten hab’ ich doch in dem Eurigen zu thun, weil jetzt die Männer noch viel eitler sind als die Weiber und die Künstler am eitelsten von allen!“

„Schau, schau, das Mundwerk!“ murmelte er, der Enteilenden nachblickend. „Wer mag’s sein? Und z’wegen wem hat sie da auf dem Lauerposten gestanden: das sollt’ man ’rauskriegen können und sie dann ein bissel vexieren!“

Er war nicht der einzige, dem das kostbare und raffiniert ausgedachte Kostüm, sowie die Figur der Trägerin auffiel. Frau Eitelkeit mußte noch manchem Rede stehen und that es mit großer Schlagfertigkeit, bis sie den Menschenstrom durchkreuzt und die andere Seite gewonnen hatte.

Dort setzte sie sich nahe der Estrade in ein Rosengebüsch, von Zeit zu Zeit den Kopf hinüberwendend nach der Brüstung, von welcher herunter Pereda etwas gelangweilt das Gewühl musterte. Toni war nicht mehr an seiner Seite, sie flog dort in den Reihen der Tanzenden und er sandte ihr keinen Blick nach: sie würde immer noch frühe genug wieder zu ihm zurückkehren!

Dafür streiften seine Blicke erst flüchtig, dann immer aufmerksamer und unruhiger die Gestalt im grüngoldenen Federkleid, die dort unter den Ranken saß, die zierlichen Füßchen in Goldschuhen, halb von der weich herabfallenden Pfauenaugenschleppe verdeckt, den großen Fächer lässig in schönen nackten Armen bewegend, während sie mit seitwärts gesenktem Kopf hinter der Larve hervor ihn selbst auffallend fixierte. Er glaubte, ein halb spöttisches, halb verlockendes Kopfnicken zu sehen, und ehe er sich noch Rechenschaft über seine Absicht gegeben hatte, war er mit einem Satz die drei Stufen hinabgesprungen und hatte sich in das Gewühl gestürzt. Aber als er mit Mühe bis zu der Säule durchgedrungen war, fand er den Platz zwischen den papiernen Rosenbüschen von einem dicken Domino besetzt und das Pfauenkleid war verschwunden. Er drängte sich kreuz und quer durch die Menge, es zu suchen – vergebens! Das Rätsel blieb ungelöst, nur ein verräterisches Pochen seines Herzens ließ ahnen, in welcher Richtung Adrian Pereda die Lösung allenfalls suchen würde! …

Zwei Stunden später saß Volkhards ganze Gesellschaft, Freunde und Wagengenossen, in einem der vielen Seitenzimmer des Odeonsaales, einzig von dem Wunsche beseelt, jetzt endlich einmal nach all der Poesie etwas Ordentliches zu essen zu bekommen. Den vereinten Anstrengungen der Männer war es gelungen, einen der durch das Gewühl eilenden Kellner zu erhaschen und ihm seine über den Häuptern balancierte Traglast von Braten und Salat abzunehmen. Der Lärm umher war groß. Von allen Tischen her schrieen die Hungrigen nach den mit Windeseile daherkeuchenden Speisenträgern, Teller und Schüsseln verschwanden über den Köpfen weg, aber zwanzigmal soviel, als da war, wurde begehrt, und wer einen Sitzplatz erobert hatte, durfte sich glücklich schätzen. Ein Strom von solchen, die ihn erst suchten, ergoß sich von der Eingangsthüre her und mußte schließlich auf der entgegengesetzten Seite wieder hinaus, um sein Heil anderweitig zu versuchen.

„Das ist doch einmal wie das andere,“ sagte Hachinger, indem er, im Vollbesitz seines Kalbsbratens und die Hand um den Bierkrughenkel gelegt, behaglich nach jenen Wanderern hinüberblickte. „Immer nicht Platz und nicht Essen genug für all’ die Leut’! Ob das jemals anders werden wird?“

„Warum nicht gar!“ erwiderte Pereda. „Damit wäre ja Eurer berühmten Münchener Gemütlichkeit der Todesstoß versetzt. Soviel ich bis jetzt gesehen habe, besteht sie hauptsächlich in einer leidenschaftlichen Abneigung gegen Bequemlichkeit und Komfort jeder Art.“

Das verdroß Hachinger bedeutend.

„Warum kommen denn hernach alle die Fremden immer nach dem schlechten München?“ fragte er anzüglich. „Wir haben sie nicht gerufen und es wär’ uns manchmal viel lieber, sie blieben draußen.“

„Sein’s doch nicht gleich so grantig, Hachinger,“ mischte sich jetzt Ihre Majestät die Kaiserin ins Gespräch. „Sie haben ja mit Räsonnieren angefangen, da wird ein anderer wohl auch etwas sagen dürfen.“

Frau Resi hatte heute ihren schönen Tag. Von dem züchtigen Schleier und Diadem strahlte ein ungewohnt fraulicher Liebreiz über ihre energischen Züge, und selbst ihre unbekümmerte Redeweise vermochte den Eindruck einer Prachtpersönlichkeit nicht zu beeinträchtigen. „Uebrigens,“ fuhr sie fort, „sind wir doch alle heute abend von Herzen vergnügt, gelt, Hans? Und so ’was giebt’s halt doch nur in München,“ wandte sie sich zu Pereda hin, „in anderen Städten thun sie auch so dergleichen aber hier ist’s, als ob das alles eine Zeit lang wirklich so wäre. Ich kann’s nicht so sagen, aber spüren thu’ ich’s ganz genau, wie schön das ist.“

„Sie hat ganz recht,“ sagte Volkhard, dessen kraftvolle Reckengestalt seinen Hohenstaufenkaiser ebenfalls mit allen Ehren repräsentierte.

Er that einen majestätischen Griff nach dem Bierkrug. „Wir fühlen uns heute ganz besonders als Lehensherr der bajuvarischen Lande und raten Euch, Prinz von Arkadien, keine anzüglichen Reden zu führen. So lange die da draußen uns so ’was nicht nachmachen können, so lange bleibt München München, wenn man sich drinnen auch manchmal seinen Stuhl selber holen muß oder

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