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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

über die ein heißer Thränenstrom sich ergoß. Der kräftige Körper zuckte auf in unnennbarem Weh.

Auch über Floris Gesicht ging ein Zucken.

„Loni, die Liab muaßt Dir aus’m Herz’n reiß’n, die muaßt zum Opfer bringa – Dei’m Kind, Dein’ arma Marei! Der Anderl aber, der soll si’ davo mach’n, kannst ihm ja Zeit lass’n a paar Woch’n, ins Amerika ’nei weg’n meina – nach’er liegt nix mehr d’ran, daß’ net auskommt! – Ja, so gang’s, Herrgott, so gang’s! All’n wär’ g’holf’n und dem Anderl schad’ts nimma! – Loni, so machst’ das, er selb’r muaß’s einseh’n, daß’ net anders geht!“

Loni hob ihr verstörtes Antlitz. „Nach Amerika? Uebers Meer? – Ja – ja, so gang’s und i – i – schnür’ mei Bünd’l und geh’, wia i komma bin.“

„Du bleibst bei Dei’m Kind, das Dir sei ganz’s Glück verdankt und Di auf Händ’n trag’n wird – und wenn dann a paar Enkerln komma, wird’s lebendi werd’n um Di, wia im Fruhjahr. Dann wirst einseh’n, daß’ aa no an and’re Liab giebt, die glückli macht, als die Du kennst, und wirst Di gar net mehr sehna danach –“

„Du red’st ja, als wenn Du das all’s schon erfahren hätt’st!“ erwiderte bitter Loni, „als wenn’s Vergess’n so leicht wär’!“

„I – wia kannst D’ denn von mir red’n, Loni! I hab’ ja nix wia mein’ Stoana, an di i all’weil hinred’! Ja, wenn i no an Wes’n hätt’, an dem i das G’wiss’ in mir auslassen könnt’ – i kann’s ja selb’r net nenna – dann – dann –“

Loni blickte ihn so sonderbar an – wie Erlösung aus schwerem Bann, wie Frohlocken glitt es über ihr Antlitz. „Flori! Liab’r guat’r Flori!“ rief sie und streckte die Arme nach ihm aus.

Der Steinhauer blickte überrascht, als traute er seinen Ohren nicht, auf sie. Aber er rührte sich nicht. Da sank Loni mutlos in sich zusammen.

Doch gleich danach raffte sie sich auf. „I muaß fort – hoam. – Und ja, Flori! I will’s so mach’n, wie Du g’sagt hast; unser Herrgott gieb’ mir d’ Kraft dazua. Aber red’n derfst net, bis’ Zeit is, des versprichst ma?“

Sie griff nach seiner Hand. Er reichte sie ihr. „Des versprech’ i Dir, Loni!“

Sie floh förmlich aus der Hütte, über den Arbeitsplatz und den Farrenbach, ohne sich umzusehen.

Flori sah ihr kopfschüttelnd nach. „Wenn ’s nur d’ Kraft dazua hat – und wenn sie’s net hat – dann – dann muaß i ihr helf’n, geht’s wia’s mag. Und wann i selb’r drüber z’Grund geha sollt’ – an mir liegt ja net viel – wann nur sie und das arm’ Hascherl, das Marei, wieda froh und glückli wird!“

Der Abend sank über den Grund, eine feuchte Kühle wehte aus der Schlucht des Farrenbaches. Flori ging wieder an die Arbeit, bald schlug er wie im Zorn auf die Steine, daß die Stücke wirr umherflogen, bald ließ er den Hammer minutenlang ruhen und blickte mit seligem Lächeln vor sich hin, in Erinnerung oder Ahnung versunken.




5.

Der Mentner hatte kein Testament hinterlassen, der lebenstrotzende Mann dachte nicht ans Sterben. So war das Marei die alleinige Erbin des Hofes, Loni war auf den Pflichtteil angewiesen, auf den „Austrag“, Wohnung und Verköstigung; das Uebrige stand im Belieben der Tochter und, so lange diese minderjährig war, im Ermessen des vom Gericht aufgestellten Vormunds.

Das war ein neuer Umstand, welcher Lonis Verhältnis zur Tochter trübte. Das Opfer, welches sie einst gebracht, als sie den ungeliebten Mentner zum Manne nahm, war ein vergebliches. Sie war in der Blüte ihrer Kraft eine Austräglerin! Das war fast noch schlimmer als eine hablose Dirn’. Doch in dem qualvollen Zwiespalt ihrer Seele, der sie vollauf in Anspruch nahm, fügte sie sich leidlich gut in das Unvermeidliche. Anderseits that Marei, in ihrer Herzensgüte das Unrecht fühlend, welches die Mutter erlitt, alles Erdenkliche, um ihr über das Peinliche des neuen Zustands hinwegzuhelfen. Für sie war und blieb Loni die Mutter, die Herrin des Hofes. Sie konnte sich gar nicht denken, daß es anders werden sollte.

Die schlimme Lage der Mutter, der Schmerz darüber, den sie ihr an den Augen abzusehen glaubte, weckte von neuem ihre kindliche Liebe. Sie brachte es jetzt nicht übers Herz, den Kampf zu beginnen, den sie in jener Nacht auf sich genommen. Er kam ihr ja ohnehin so sündhaft vor; nur die große Liebe zu ihrem Willy hatte sie damals so aufgebracht. Und auf Loni wirkte dieses Verhalten der Tochter wohlthuend, es erinnerte sie täglich von neuem an ihre heilige Mutterpflicht einem solchen Kind gegenüber.

Sie hoffte im stillen, Anderl werde, wenn er Kenntnis erhalte von ihrer Besitzlosigkeit, von seiner Liebe abstehen. Am Ende reizte ihn doch auch der Gedanke, Bauer zu werden, Besitzer des Mentnerhofes. Das heißt – sie hoffte es und fürchtete es zugleich.

Aber ihr Hoffen und Fürchten war überflüssig. Er lachte ihr ins Gesicht, als sie davon zu sprechen anfing. „Glaubst, i mach’s so wia Du mit’n Mentner? Da kennst mi’ schlecht, Loni. I bin net wia die andern, in an’ Punkt net. I hab’ in mei’m Leb’n vordem mi no um kei Weibsleut kümmert, bis mi’s anpackt hat, die Liab zu Dir. Und wia hat’s mi anpackt, Loni – i kann Di nimma lass’n, und wenn i betteln müaßt für Di! Wennst mi’ net willst, sag’s nur, schick mi weita; sie woll’n mi aa so schon lang weg hab’n vom Hof. Was i nach’a thua, das weiß i net – und Du? Die Austraglerin spiel’n auf’n Mentnerhof – so a Weib wia Du!!“

Da wurden alle ihre guten Vorsätze zu Schanden, die sie bei Flori gefaßt. Einmal schon hatte sie uneigennützige treue Liebe verschmäht, um Wohlstand zu gewinnen, bitter hatte es sich gerächt; sollte sie es noch einmal thun? Sie sah in der Zukunft sich schaudernd als die alte gebeugte Austraglerin des Mentnerhofes. Das kommt rasch, wenn man einmal mit allem gebrochen hat. Der Vorschlag, den ihr Flori gemacht, die Flucht Anderls und die nachfolgende Anzeige seiner Schuld, erschien ihr in diesem Augenblick eine Ungeheuerlichkeit. Sie brachte ihn nicht über die Lippen. Die Unterredung endete mit einer Festigung anstatt der Lösung der unseligen Fesseln, die sie umstrickt hielten. – – –

Monate waren vergangen, Hagenberg lag im Schnee vergraben, auch sein Schandfleck, der Mentnerhof, blitzte jetzt in tadelloser Weiße.

Man war auf die Hausarbeit angewiesen und rückte unwillkürlich enger aneinander.

Der Mentner war gerade zu dieser Zeit ein störendes Element im Hause gewesen. Seine robuste Persönlichkeit füllte beängstigend die engen niederen Räume. Die Langeweile machte ihn launisch, er suchte sie durch Schelten zu vertreiben.

Jetzt war das anders! Eine lautlose feierliche Stille herrschte den ganzen Tag über, und wenn man auch in derselben sein eigenes unruhiges Herz um so deutlicher pochen hörte, so machte sich doch bei Mutter und Tochter das Bedürfnis innigen Anschlusses geltend. Der Försterwilly war längst nicht mehr in Hagenberg; er war um Versetzung eingekommen, und man hatte seinem Wunsch Rechnung getragen. Doch jede Woche kam ein Brief an Marei. Die treue Liebe, das unerschütterliche Hoffen, welches aus jeder Zeile sprach, beglückten das Mädchen. Aber die Briefe enthielten auch noch anderes: eine stete Aufforderung, die Augen offen zu halten, die Mutter und Anderl zu beobachten, dem Schuldigen nachzuspüren. Sie selbst war daran schuld mit ihrem doppelten Verdachte, welchen sie dem Geliebten gegenüber ausgesprochen, und das Schlimmste dabei war, daß derselbe von Tag zu Tag unsicherer wurde, sowohl in Bezug auf die Stellung des Anderl zu ihrer Mutter, als auf seine Schuld am Tode von Willys Vater.

So sehr sie auch – und sie that es mit heftigem Widerwillen – die Augen offen hielt, sie konnte nicht das geringste Verdächtige bemerken, keinen unrechten Blick, kein Wort. Anderl blieb immer der Gleiche, der schweigsame unterwürfige Knecht – keine Spur von einer Annäherung.

Einmal sich bewußt eines falschen Verdachtes, wurde sie gegen sich selbst mißtrauisch und glaubte auch nicht mehr recht an den weiteren noch schwerer wiegenden gegen den Anderl. Und es war ihr, als müsse sie ihr Unrecht gutmachen, obwohl ihr das Herz dabei blutete, obwohl sie ihre letzte Hoffnung damit schwinden sah.

Dieser innere Widerstreit zehrte an ihrer Jugendkraft. Der rosige Schmelz ihrer Wangen wich, der liederfrohe Mund verstummte, die Falte der Resignation erschien in seinen früher von heiterem Lächeln belebten Winkeln. Der strahlende Glanz der Augen war dem Ausdruck des Kummers gewichen, der Sehnsucht nach einem verlorenen Glück.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_128.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2020)