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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Das feine Schutznetz seiner Brille ließ ihm die Gestalt verschwommeu und übergroß erscheinen. Loni, die Mentnerbäuerin! Es fuhr ihm durch alle Glieder.

Das aufgegangene Haar leuchtete wie Feuer im Sonnenlicht, die kräftige Gestalt erschien von neuer Jugend belebt, das Antlitz war noch immer von jener hellen durchsichtigen Weiße, die ihn einst an ihr entzückt hatte.

Sie suchte offenbar ihn – kein Weg führte hier durch, und sie wollte nicht gesehen werden; nur, um ihn zu treffen, kam sie durch das Gestrüpp geschlichen. Die Steine fingen an zu tanzen um ihn her. Was konnte sie denn wollen von ihm? Was denn? Er sprang auf und wollte ihr entgegen – da knackte sein steifes Bein, das er ganz vergessen; krumm, gebeugt wie die vom ausgetretenen Farrenbach zerknickten, zerzausten Weiden umher, stand er da, Loni zu empfangen.

„Geh’n wir eini in d’Hütt’n, i hab’ mit Dir z’red’n,“ sagte sie.

Da blickte er erst auf. Sie war außer Atem, etwas Scheues, Lauerndes lag in ihrem ganzen Wesen. Und da hatte er einen Augenblick geglaubt – „o mein, Flori, g’scheit wirst Du nimma,“ dachte er bei sich.

„Geh! Geh! Ma braucht uns net z’seh’n,“ drängte die Bäuerin.

„So ’was B’sonders hast mit mir z’red’n?“ fragte er mit erzwungener Ruhe, „na, nach’er komm’ nur.“

Er ging mit ihr in die Hütte.

Der Raum war eng, das Lager, die Werkzeuge, ein kleiner Herd und ein Tisch füllten ihn fast vollständig, und doch schloß Loni die Thüre.

Sie war dunkel gekleidet, trotz aller Einfachheit mit auffallender Sorgfalt. Erhitzt vom raschen Gehen, löste sie schwer atmend das seidene Fürtuch. Der Anblick ihres weißen Halses verwirrte ihn. Ihre blauen Augen glänzten noch ebenso wie damals in der Zeit seines Glückes. Die Wärme ihres Atems überrieselte ihn. Und als sie jetzt die volle Hand in die seine legte und ihn ansah, zuckte es in ihm auf. „Was sie jetzt von dir will, das muaß’t thun!“

„Flori!“ tönte ihre Stimme in sein Denken. „Gelt, Du hast’s net vergess’n, wie’s amal war zwisch’n uns zwei?“

„I vergessen? Das fragst mi? Hab’ ja nur immer g’lebt in Gedank’n daran! Glaubst, daß i vergess’n hätt’ können, was D’ mir zum Abschied gesagt hast im Garten?“

Sie entzog ihm rasch ihre Hand, jähe Röte stieg den Hals herauf über ihr Antlitz.

„Ja, das hab’ i mir aa denkt,“ sagte sie unsicher. „Wenn’s dann aa anders komma is, als wir uns damals ’dacht hab’n –“ sie sah auf den Boden und rollte mit dem Fuß ein Steinchen, das sich hierher verirrt, hin und her. „Guate Freund’ bleib’n ma do’, net wahr, Flori?“ Sie warf den Kopf auf und sah ihm scharf in das Gesicht.

Der Wechsel war zu rasch für ihn. Die plötzlich wieder in ihm aufgeflammte Hoffnung war so rasch nicht wieder auszulöschen, alle guten und weisen Vorsätze, die er hier in unzähligen einsamen Nächten, an unzähligen arbeitsvollen Tagen gefaßt, waren zerstoben in der Nähe dieses Weibes. Die alte Leidenschaft packte ihn und er dachte nicht mehr an den lahmen Fuß, an das früh ergraute Haar, an seine schwieligen Steinklopferhände, er sah sich wieder als den Flori von einst, den schmucksten Bursch im Thal, der sich vor keinem Nebenbuhler scheute. Und um solch einen handelte es sich jetzt, um den Anderl, um dessentwillen sie zu ihm kam, den sie liebte, den sie retten wollte!

Er staunte selbst über die Klarheit, die auf einmal über ihn kam.

„Und desweg’n kommt die Mentnerbäuerin zum Stoanerflori, um ’hn nach seina Freundschaft z’ frag’n?“

„Do’ um a bißl mehr,“ erwiderte die Bäuerin, „um glei’ an Freundschaftsdienst z’ verlang’a – den erst’n, Flori, nach langa Zeit!“

„Und der wär’, Bäu’rin?“

„Blnatweni’, g’rad – Du weißt ’s ja eh – weg’n den Anderl!“

Der Steinhauer lehnte sich über den Tisch. „Daß Di des gar so ’packt hat! Was kümmert Di denn der Anderl, daß d’ Di gar so aufregst weg’n eam?“

Loni wurde feuerrot.

„Er is a guater Knecht, der Mentner hat ihn selb’r hoch g’halt’n – und – und – wo i jetz’ ganz allei’ bi –! Um das alles handelt’ si’s aber gar net. I will net, daß die G’schicht mit ’m G’richt wieder angeht. Für was soll’s denn guat sei, sag’ selb’r, Flori!“

„No – so ganz ohne wär’s do’ net, wenn g’rad was d’ran wär’! Der Mentner, Dei Mann, läg’ nimma als Mörd’r auf ’m Kirchhof, s’ Marei, Dei Kind, kunnt mit ’m Willy glückli’ werd’n! Das wär’ scho was, meinat i.“

Loni wischte sich den Schweiß von der Stirne; die Luft ging ihr aus in dem engen Raume.

„Wenn was d’ran wär’! – Aber aufs Ung’wisse, auf a paar Wort’ von an Halbtot’n hin, an Mensch’n ins Zuchthaus bringa – das möcht’ i do’ um all’s net.“

„I aa net!“ entgegnete gelassen Flori, „und aufs Ung’wisse, auf a Wort hin, kommt er aa net ins Zuchthaus.“

„Also zu was nach’er red’n? Was wär’ ’em Mentner – was wär’ ’em Marei damit g’nützt?“ Loni wurde wieder zuversichtlicher.

„Ganz richtig! – Wenn man aber mehr wüßt’ als a paar Wort’? – – Siehst, wo die zwei Ficht’n steh’n, neben den letzt’n Stoahauf’n, da bin i g’stand’n, und g’rad da, wo Du in’ Bach einig’stieg’n bist, war der Mentner und der Anderl. Und g’wes’n is’ Nachts, um elf umanand, vorig’s Jahr, die Nacht nach dera, in welcher der Förster derschoss’n wor’n sei soll. – Da hab’ i’s g’hört mit meine eigne Ohr’n, wia der Anderl si b’rühmt hat, daß der Förster von seiner Kug’l g’fall’n is!“

Die Bäuerin sah ihn starr an, um ihre Mundwinkel zuckte es verdächtig. „Und wenn i ’s selb’r glaubet, daß der Anderl den Förster derschoss’n hat, wär’ das a Grund, ihn z’ verrat’n? Kunnt’s net so sich begeb’n hab’n, daß i ’hn net verrat’n darf? Wenn er – i sag’ nur – wenn er mit dem Schuß dem Mentner ’s Leb’n g’rett hätt’ – mei’m Mann! Wär’ er dann a Mörder für mi – den i anzeig’n muaß? Thätst Du ’hn dann ins Zuchthaus liefern? G’wiß net! Und kunnt’s net so g’wes’n sein?“

Flori horchte gespannt auf. „So hat er Dir’s d’rzählt?“

Die Bäuerin fuhr entsetzt auf. „Das hab’ i net g’sagt! Flori, um Gott’swill’n, das hab’ i net g’sagt – i hab’ nur g’meint, wenn’s so wär’!“ – Sie hob ihre zitternde Hand flehend auf.

Flori ergriff sie und sah sie voll Mitleid an. „Sei nur stad, Du hast’s ja net g’sagt.“

Da brach die Bäuerin in lautes Schluchzen aus und senkte verzweifelt ihr Haupt auf den Tisch.

Flori hob sie sorgsam auf. „Nur stad sei’, Loni!“

Sie legte den Arm vor das Antlitz, sich vor seinem teilnehmenden Blick zu schützen.

Lange schwieg er. Ihre roten Zöpfe waren aufgegangen und glitten leuchtend über den Tisch.

„Schau, Loni, jetzt gilt’s d’ Freundschaft! Wia i Di hab’ komma seh’n, hab’ i freili g’meint, ’s geltat was anders – fort damit! Schau, i weiß alles, Du hast ’hn gern, den Anderl –“

Eine mächtige Erschütterung ging durch den Körper Lonis.

„Du hast ’hn gern und weißt Dir net z’ helf’n! Aber es wär’ ja net Dei Glück – ’s wär’ Dei größt’s Unglück! A vergoss’ns Bluat schreit zum Himmel, da ändert kei’ Deutung d’ran und über kurz oder lang käm’s Verhängnis daherg’schoss’n wia der Farrenbach nach an G’witt’r und thät Euch verschwemma.“

Loni blickte wirr im Raume umher, während Flori fortfuhr:

„Und ’s Marei, Dei Kind, Dei einzig’s Kind, kannst das so hinsterb’n seh’n am gebroch’na Herz’n? Das thuat’s von Tag z’ Tag! Du hast’s ja so liab, Dei Kind, ’s war ja Dei einz’ger Trost die lange Zeit her.“

„Ja, das war’s!“ entgegnete Loni einigermaßen gefaßt durch den milden Zuspruch Floris – dann wurde sie wieder von der Verzweiflung gepackt. „Aber i will ja nix mehr wiss’n vom Anderl! Wegschick’n will i ’hn – all’s – all’s will i thun – aber anzeig’n, verrat’n kann i ’hn net, darf i ’hn net – um nix in der Welt, aa net um mei eigens Kind. I kann Dir’s net sag’n, warum.“

„Weiß schon warum! Weil er Dir selb’r all’s g’standen hat, in aner Stund’, die koa Verrat net kenna soll.“

Loni erwiderte nichts, ihr Haupt ruhte auf der Hand Floris,

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