Seite:Die Gartenlaube (1895) 115.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Jahren des Gewässers Vertrauter geworden, der alle seine Launen und Tücken kannte. Seinen scharfen Augen entging nicht die kleinste Veränderung an den Ufern, keine mit heimlicher List vollzogene Unterwaschung, kein langgeplanter Ausbruchsversuch, so unverdächtig er auch unternommen war.

Dicht an der Stelle, wo der Bach einige Meter jäh abfallend die Bergschlucht verläßt, lag das Heim des Flori, eine Bretterhütte, aus welcher seitwärts ein verrostetes Rauchrohr herausragte. Hier waren die Arbeitsgeräte aufbewahrt, Spitzhacken, Schaufeln und langgestielte Steinhämmer. Ein alter Kochherd, ein Heulager bildeten die Einrichtung.

Flori bewohnte die Hütte den ganzen Sommer. Auf der Seite des Baches war aus Brettern ein Vordach gefügt; seine Stütze bildeten zwei verwetterte Fichten, welche der Farrenbach vergebens seit einem Jahrhundert anfeindete; nur die freiliegenden zerschundenen Wurzeln, in welche von elementarer Gewalt geschleuderte Felsblöcke sich eingeklemmt hatten, zeugten von der Erbitterung, welche dieser Widerstand hervorrief.

Unter diesem Bretterdach, geschützt vor Sonnenschein und Regen, schwang der Flori unermüdlich seinen langgestielten Hammer und häufte Berge von Schotter neben sich, während ringsum sich streng geordnete Steinhaufen in abgemessenen Rechtecken reihten. Er war in seiner beständigen Einsamkeit ganz verwachsen mit dieser steinernen Welt.

Er kämpfte einen unerbittlichen Kampf mit den Steinen, er redete auf sie ein mit grimmen Worten, züchtigte sie mit wuchtigen Hieben. „Wart’, Tropf verdammter, dir werd’ i’s scho lerna!“ und jedes Wort begleitete ein zorniger Hammerschlag, bis die Stücke stoben. „Was druckst denn alleweil so eina? I brauch’ di net! Taugst eh’ nix!“ und fort flog der Gescholtene. Er bezog auch alles auf sie, wenn einmal seine Gedanken weiter schweiften, als sein Blick hinter der großen Drahtbrille, durch die seine Augen vor den kleinen Splittern geschützt wurden, reichte.

„D’ Mensch’n san um ka Haar anders als wia die Stoan’r; die ein’n zerspringa auf an Schlag in tausend Stück’, auf die andern kannst loshammern, so lang d’willst – all’s umsonst! Den ein’n mußt von der Seit’n anpack’n, den andern von der, die ein’n schau’n recht g’fügig aus und manst, weiß Gott, was dran is, und Racker san’s, nixnutzige, ’balst nur hintupfst. Wid’r ei schau’n aus, daß dir glei graust, und bal’ ’s auseinander san, san’s die best’n!“

Der Schluß dieser Betrachtungen war stets, daß er ganz zufrieden war mit seiner stillen Gesellschaft und sich keine andere wünschte.

Nur hie und da dämmerten Bilder in ihm auf aus längst vergangenen Tagen, deren er sich vergeblich durch doppelte Kraft des Hammerschlages erwehrte, Bilder, die zu der Steinwüste umher schlecht stimmten – –. Das begann mit dem grünen Wald, in dem er als junger Holzknecht arbeitete. Es roch so kräftig nach Harz, und die Arbeit ging ihm so gut von der Hand wie keinem – dann der Abend in dem Rindenkobel oder der Holzhütte bei den lustigen Kameraden – man sah von da aus die Roßalm liegen, wo die schwarze Res’ hauste, sein Schatz. Dann Sonntags der Tanzboden.

Schuhplatteln war sei’ Leibsach’, und die Madl’n hab’n ’n gern g’seh’n. Dann – ja dann – dann is sie komm’n, die rote fremde Dirn’, die Loni, und – da war’s aus mit der Arbeitsfreud’, mit die Madl’n – da hat’s nur mehr eine geb’n – die Loni! So is’ aber all’n ganga, all’n Buab’n, alle waren vernarrt d’rein. Und ihn hat’s all’n vorzogen, ihn, den Flori, die andern hat’s g’rad zum Best’n g’habt, und gefreut hat sie’s, die arme heimatlose Dirn’, daß sie so an Gewalt ausübt üb’r die Mannsleut’, und ihn hat’s aa ’freut! Das war a Liab, wia der Farrenbach beim Hochwetta, so grausi wild, so unbezwingli! Was war d’ Res’ auf der Roßalm gegen d’ Loni! – Mei Gott, sie wissen’s ja all’ mitanand net, was d’Liab is, nur i – i weiß’s, der Stoanerflori.

Da hat’s ihm der Mentner g’nomma mit sei’m Geldsack, aus Trotz, aus Haß gegen die andern, net aus Liab, und der Loni is’ halt in’ Kopf g’stieg’n, Bäuerin z’ werd’n, a Heim z’ hab’n, sie, die ihr Sach’ alls im Schnupftüchl mitbracht hat, und da is sie ’s halt wor’n und der Abschied is komma im Mentner sei’m Garten! D’ Welt war aus – Nacht, schwarze Nacht – nur aa Stern mitten in der Finsternis – „wer weiß, wia’s no’ kommt!“ – Und wia is’ komma?

Wenn seine Gedanken da angelangt waren, erwachte er gewöhnlich durch ein Schmerzgefühl im lahmen Fuß. Er hielt den eisernen Reif, mit dem er die Steine fing, damit sie ihm nicht unter dem Schlag davon sprängen, unthätig in der Hand und starrte auf die Wüste des Farrenbaches hinaus. Dann aber ging’s zornig los, daß die Funken stoben, Schlag auf Schlag.

„Sei froh, daß d’as hinter Dir hast, die Dummheit’n – wart’ - i werd’ Euch –!“ und bei jedem Wort, das er ächzend vor übermächtigem Kraftaufwand ausstieß, fiel ein Streich und die Steine flogen prasselnd über den Reif hinaus, auf den Haufen vor seinen Füßen. So ging’s auch heute.

In wenig Wochen schneit es die Gegend zu, da heißt es für den Wintervorrat sorgen. Den ganzen Vormittag hatte Flori unermüdlich geschafft. Das Zusammenschleppen der schweren Steine zum Arbeitsplatz, das ging ihm vortrefflich von der Hand, dabei kommt man nicht zum Sinnieren. Alle Muskeln sind angespannt, und was sich allenfalls noch rührt von schlimmen Gedanken, das schwitzt man heraus. Aber dann, nach dem Mittagsmahl, das Steinklopfen, das war für ihn jetzt gefährlich, seit dem Tod des Mentners, er merkte es an dem verarbeiteten Material. Da trieben sich faustgroße Stücke zwischen den kleinen scharfkantigen Steinen umher, die einen zu groß, die andern fast zu Staub zermalmt, das Gleichmaß fehlte, auf das er sonst so stolz war – und der Haufen war das Abbild seiner Seele.

Er hatte sich zuerst alle Mühe gegeben, den Verdacht zu unterdrücken, der damals im Sterbehaus in ihm aufgestiegen war, über das Verhältnis der Loni zum Anderl. Es ließ sich am Ende auch anders erklären, daß sie ihn um sein Schweigen gebeten: die alte Geschichte sollte nicht wieder aufgerührt werden. Doch er blieb dabei: solche Seelenangst verrät man nur um einen, den man liebt.

Der Haß, den er gegen den Knecht empfand, seitdem ihn derselbe so verächtlich als Krüppel behandelt hatte, that das Uebrige. Es war ihm, als sei er verdrängt worden. Den Mentner und alles, was der ihm angethan, konnte er jetzt vergessen, wenn die Erinnerung an sein einstiges Liebesglück in ihm lebendig wurde, der Gedanke an Anderl aber weckte ihn jäh aus seinen Träumen. Dann sah er sich plötzlich selbst, wie er vor ihm, dem schmucken Burschen, gestanden, gekrümmt von der Arbeit, den Scheitel kahl, den wirren struppigen Bart ergraut, mit seinem steifen Gestell.

Dann schüttelte er, sich selbst verlachend, den Kopf. Was soll denn so a verbraucht’r Lod’r mit so an Weib? Als ob das Mandl no’ der Flori wär’! Z’erst mit so an Grobian wia der Mentner ’s Leb’n vertrauern und nachher mit an z’sammg’arbeit’n lahma Steiklopfa! Da wär’ die Loni schön dumm. – Also! Ihm kann’s gleich sei, wen ’s no’ mal nimmt – is ihm aa gleich – nur der ein’, der Anderl, soll’s net sein, der Mörder! Ja, der Mörder! – Daß der sterbende Mentner noch dessen Namen genannt, das war’s nicht allein, was ihm diese Ueberzeugung gab.

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüten.



Internationale Vorsichtsmaßregeln zur See. Unter dem furchtbaren Eindruck des jähen Untergangs der „Elbe“, der so viele Menschen einem grauenvollen Tod überliefert hat, möchten wir die allgemeine Aufmerksamkeit auf die folgenden Ausführungen des bekannten Konteradmiral a. D. R. Werner lenken, die wir einem seiner jüngsten Bücher, „Auf fernen Meeren und Daheim“ (Berlin, Allgemeiner Verein für deutsche Litteratur), entnehmen und welche die Mangelhaftigkeit der internationalen Vorsichtsmaßregeln zur See zum Ausgangspunkt haben. Der ausgezeichnete Fachmann schreibt: Alle international festgestellten Vorsichtsmaßregeln gegen Zusammenstöße von Schiffen haben sich ziemlich ohnmächtig erwiesen. Sie scheitern hauptsächlich an drei Punkten, an unabwendbaren Verhältnissen, gegen welche kein Gesetz Abhilfe zu schaffen vermag, an sträflicher Nachlässigkeit und am Konkurrenzneid der Menschen, gegen welch letzteres Uebel aber sehr wohl mit Erfolg vorgegangen werden kann.

Bei Nebel z. B., diesem gefährlichen Feinde des Seemanns, während dessen Dauer die meisten Unglücksfälle eintreten und der oft so dicht ist, daß man kaum über die Bordwände hinaus etwas sehen kann, wird der Seemann seines vorzüglichsten Hilfsmittels zur Vermeidung von Gefahren beraubt, des Gesichts. Er ist dann nur auf sein Ohr angewiesen, aber welchen Irrtümern und Täuschungen ist er ausgesetzt, welche auch die sorgsamste Aufmerksamkeit nicht verhindern kann, wenn er sich in Engen befindet, wo sich Hunderte von Schiffen nach allen Richtungen hin kreuzen! Was nützen alle Signale mit Schiffsglocke, Nebelhorn, Sirene oder Dampfpfeife, die außerdem ihrer Natur nach immer unvollkommen bleiben müssen,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_115.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2023)