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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

selbst einen Vorschlag machte, ein neues Vergnügen ersann, so war er doch kein Spielverderber, er machte mit guter Manier den tollsten Unsinn, das ausgelassenste Zeug mit …. folglich mußte er doch auch seinen Spaß daran haben!

Die Menschen, die sich hier zusammenfanden, waren ein leichtlebiges Völkchen, sie besannen sich nicht viel, ergriffen, was sich ihnen bot, und nahmen es mit dem Wort „Freundschaft“ nicht so genau. Sie waren samt und sonders gutmütig und halfen anderen gern, vorausgesetzt, daß sie selbst etwas hatten. War das nicht der Fall, nun, dann ließen sie sich eben helfen und machten sich weiter keine Gedanken darüber. Herr Theobald Schrader hatte neulich vor versammelter Tafelrunde erzählt, wie er und seine Gattin vor Jahren, als sie gerade „auf einem besonders grünen Zweig“ saßen, eine ganze Familie, bestehend aus fünf Köpfen, fast ein Vierteljahr unterhalten hatten, bis der brotlose Hausvater eine neue Stellung fand. Wer das ohne weiteres leistete, der konnte sich unbesorgt an anderer Leute Tisch setzen, gleichviel, wo dieser Tisch stand. Das war die Moral von der Geschichte, und sie leuchtete jedem ein, das stand fest, so oder so.

Auch Doktor Röder selbst faßte die Sachlage richtig auf. Die Leute hatten nichts zu thun, sie hielten ihn für einen reichen Mann, der nur zum Vergnügen hier und da einen kleinen Artikel schrieb, die Villa mit ihrer bequemen Lage und ihrer schönen gesunden Luft sagte ihnen sehr zu, und so blieben sie bei ihm, zumal sie ihm, dem einsamen Junggesellen, mit ihrer muntern Gesellschaft sicher einen großen Gefallen thaten und ihm die Grillen vertreiben halfen. Wie konnten sie es wissen, daß ihr Hausherr jahrelang nach Ruhe, nach Einsamkeit gelechzt hatte, daß seine Arbeit ihm lieb und keineswegs bloß Luxus, sondern einfach Lebensbedürfnis war, daß seine Nerven, durch langes Reiseleben übermüdet, dringend der Ruhe bedurften? Wer von ihnen ahnte, was sein „Buen Retiro“ ihm hatte werden sollen, mit welchen Augen er es angesehen, wie er sich darauf gerettet hatte wie auf eine stille Insel, an die kaum eine vereinzelte müde Welle einmal schlagen sollte? Jetzt brandete es stark heran, o ja! Von Ruhe und Sammlung keine Spur – Menschen, Menschen überall, in den Zimmern, im Garten, in der Veranda! Sein Arbeitszimmer war eine Art Sammelplatz für die Gesellschaft geworden, „es war so himmlisch kühl und so schön groß!“ Gabrielens Einwurf, der Doktor könne arbeiten wollen, wurde von allen Seiten voller Entrüstung zurückgewiesen: „Arbeiten? Jetzt, bei dieser Jahreszeit, diesem Wetter?“ „Aber kein Gedanke, wo denken Sie hin, Kind!“ „Ja, ich bitte Sie, wer hat denn Lust, jetzt, mitten im Sommer, etwas zu lesen?“ „Das ist ja der reine Mord!“ „So unvernünftig ist der Doktor nie und nimmer, schon aus Rücksicht auf seine Nebenmenschen nicht, denen er doch jetzt keine wissenschaftliche Lektüre zumuten kann!“ Kurz, Gabrielens Antrag wurde mit Majorität abgelehnt, und es wurde über den Kopf des Hauptbeteiligten weg, der gar nicht zu Wort gekommen war, zur Tagesordnung geschritten. Der Hausherr wurde ja so verehrt, so geliebt! Etwaige wissenschaftliche Streitfragen wurden ihm ohne weiteres zur Entscheidung vorgelegt, und seine Aussprüche bedingungslos als richtig angenommen. Die Damen bedienten und umschmeichelten ihn wie einen Pascha, die kleine Lonny nannte ihn Onkel – er hatte es also sehr gut.

Zuweilen, wenn er humoristisch gestimmt war, sagte er sich dies selbst, mit einem feinen ironischen Schmunzeln. Aber im ganzen geschah ihm das doch recht selten, und bald kam die Zeit, da ihm der Humor wie das Ironisieren verging. Seine Leidenschaft für Gabriele machte gefährliche Fortschritte. Je mehr er sich fragte: wie kommt sie in diese Gesellschaft? wie paßt sie mit diesen Menschen zusammen? – je mehr er sie beobachtete, desto schärfer trat der Gegensatz zwischen ihr und den übrigen hervor, desto mehr stach ihr vornehmes gelassenes Wesen vorteilhaft ab von der grellen vorlauten Lustigkeit der andern. Im ganzen that sie wie er: sie war keine Spielverderberin, sie ließ die Gesellschaft gewähren und war jederzeit bereit zu Bootfahrten und Lawn-Tennispartien, zu Waldpicknicks und Mondscheinpromenaden. Nie aber, auch nicht für eine halbe Stunde, stimmte sie in die allgemeine Ausgelassenheit ein. In ihrer mädchenhaft lieblichen Art, ihrem feinen Taktgefühl war sie ihm nie so anziehend erschienen wie in dieser Zeit. Gleich einer Prinzessin bewegte sie sich in den einfachen weißen Kleidern, die sie jetzt meistens trug, unter dem lärmenden Troß der unternehmenden Gesellschaft. Sie war stets gleichmäßig freundlich gegen alle und hatte nichts Ueberhebendes in ihrem Wesen. Dennoch konnte es nicht ausbleiben, daß man ihre hier und da hervortretende Zurückhaltung und Kühle für Hochmut hielt. Aeußerungen, wie „Gabriele will doch immer etwas Besonderes sein!“ „Gabriele dünkt sich natürlich für solch harmlosen Unsinn wieder zu gut!“ und ähnliche, kamen Röder oft zu Gehör, im ganzen fand man sich aber darein, ebenso wie in des Hausherrn etwas schwerlebige Art; man war zu vergnügt und fühlte sich zu wohl, um sich durch solche Kleinigkeiten ernstlich stören zu lassen.

(Fortsetzung folgt.)


Der Kampf wider die Geheimmittel.

Es ist eine betrübende, aber unabweisbare Pflicht der Presse, den Kampf gegen die Hydra der Geheimmittel immer wieder aufzunehmen und weiterzuführen. Unabweisbar ist diese Pflicht, weil immer noch durch das Unwesen der Geheimmittel dem Volkswohlstand riesige Summen abgepreßt werden zu gunsten einiger gewissenloser Schwindler, weil immer noch eine Menge Menschen durch unsinnige Kuren an ihrer Gesundheit Schaden erleidet, und wenn es – das ist noch der günstigste Fall – auch nur dadurch wäre, daß sie über den Quacksalbereien die beste Zeit zu einer richtigen Kur unter Leitung eines ernsthaften Arztes versäumen. Betrübend aber ist diese Pflicht um deswillen, weil die fortgesetzte Notwendigkeit dieses Kampfes einem offenbar nicht unbeträchtlichen Teile unserer Mitbürger und Landsleute das beschämende Zeugnis ausstellt, daß sie für diese Art Schwindel noch immer empfänglich sind. Wie oft haben nicht die „Gartenlaube“ und andere Blätter vor allen diesen in pomphaften Zeitungsreklamen angekündigten Wundermitteln gewarnt! Welche Mühe haben sich Aerzte und Behörden gegeben, durch Veröffentlichungen aller Art die weitesten Kreise über das Gemeinschädliche und Gemeingefährliche dieser im Dunkeln hantierenden Heilkünstler aufzuklären! Und immer noch scheint es viele Leute zu geben, die von diesen Warnungen nicht erreicht oder nicht überzeugt werden, oder die sie in sträflichem Leichtsinn allzu rasch wieder vergessen. Denn es läßt sich kaum eine Abnahme in der Zahl der Geheimmittelanzeigen bemerken. Ist irgend ein Mittel einmal öffentlich recht tüchtig gebrandmarkt worden, flugs wird die Flagge, unter der es segelte, ein- und eine andre aufgezogen. Ein und dasselbe Tränkchen, Sälbchen, Pillchen oder Pülverchen half vor Jahren gegen Asthma, später gegen Nervenleiden und heute soll’s gegen Gehörschwäche helfen. Und hieß sein „berühmter“ Erfinder gestern X, so heißt er heute Y und morgen Z. Oder der Erfinder schiebt zwischen sich und das Publikum, d. h. eigentlich zwischen sich und die Polizei einen Strohmann – kurz, diese Hamster im Getreidefelde der Medizin finden immer neue Schliche, ihre Backentaschen zu stopfen.

Schon bei den „brieflichen Kuren“ fängt oft der Schwindel an. Da erbietet sich der oder jener „Arzt“, lediglich auf schriftlichen Bericht eines Patienten brieflich Rat erteilen zu wollen. In den meisten Fällen wird man bei genauerer Untersuchung finden, daß derartige Anerbietungen schwindelhafter Natur sind. So hat der unermüdliche Karlsruher Ortsgesundheitsrat, der neben dem Berliner Polizeipräsidium diejenige Behörde ist, welche am eifrigsten den Geheimmittelkrämern auf die Finger sieht, kürzlich die Ankündigungen eines „Spezialarztes“ Dr. Lell in Berlin und eines „Lehrers der Naturheilkunde“ Karl Griebel in Lichtenthal der allgemeinen Nichtbeachtung empfohlen.

Am stärksten entwickelt aber ist natürlich das Geheimmittelunwesen im eigentlichen Sinne. Das Berliner Polizeipräsidium teilte uns kürzlich eine Liste der auf seine Veranlassung chemisch untersuchten Geheimmittel mit – sie umfaßte gegen 250 Nummern und hat zweifellos seither noch manche Bereicherung erfahren. In der neuesten Auflage von Brockhaus’ Konversationslexikon nimmt die Aufzählung der „bekannteren“ Geheimmittel über sechs Spalten engsten Drucks ein! Und der Karlsruher Ortsgesundheitsrat hat alle paar Monate wieder einige neue Fälle öffentlich anzunageln – neue Mittel aus neuen Laboratorien oder auch alte bekannte, die nur, wie oben geschildert, unter neuer Flagge segeln. Wir zählen hier kurz die Warnungen auf, die er im Laufe des Jahres 1894 erlassen hat. Da ist ein gewisser Rechtsanwalt a. D. Martin Glünicke in Berlin, der sich bald als „Studierender der Medizin“, bald als „praktizierender Vertreter der natürlichen Heilweise nach eigenem System“, bald als „medizinischer Privatgelehrter“ etc. bezeichnet, im übrigen in Berlin bereits mehrfach wegen Vergehens gegen die Gewerbeordnung und unerlaubten Verkaufs von Heilmitteln bestraft worden ist. Er preist in Flugblättern und Broschüren sein neues Heilsystem als „neue Cellular-Therapie“ mittels „giftfreier Pflanzenstoffe“ an, das nicht weniger und nicht mehr helfen soll als „gegen alle als unheilbar geltenden Krankheiten“. Wer sich an ihn wendet, fällt natürlich glänzend herein. Um den unerhörten Preis von 14 Mark erhält er eine Sendung fast wertloser und sehr leicht in Zersetzung übergehender Flüssigkeiten; und eine Sendung soll dem Patienten erst nicht einmal genügen!

Auf Gicht- und Nervenleidende haben es die Dunkelmänner besonders abgesehen – vielleicht weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß diese Leiden für die schmeichelnden Einflüsterungen einer großartigen Zeitungsanzeige besonders empfänglich machen. Ein gewisser Adolf Winter, Fabrikbesitzer in Stettin, will mit seinen „verbesserten Gichtapparaten“ – Kostenpunkt 8 Mark – sicherste Hilfe gegen Gicht und Rheumatismus und „außerdem noch gegen eine große Anzahl anderer Krankheiten“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_075.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)