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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Zu einem ganz fremden?“ – Die Frauen blickten sich ratlos an. Nach einer Weile meinte Franzel zaghaft: „Das würde Ernst ebenso ungern sehen.“

Frau Lorenz lächelte. „Den will er nicht, und den will er auch nicht – was bleibt uns da? Wie heißt denn der Bewußte?“

„Doktor Sonnenthal.“

„Sonnenthal, so! Weißt Du, Franzel, der soll aber gerade sehr tüchtig sein.“

Franziska nickte. „Das war er schon früher, und er hat mich gebeten, wenn er mir je im Leben einmal nützen könne, mich an ihn zu wenden. Er würde mir stets der treueste Freund bleiben.“

„Nun also! ’s ist schon einerlei, Franzel. Wie wir die Sache auch drehen, einen Rechtsanwalt müssen wir haben. Und ich meine, da gingen wir am ehesten zu dem, der Dich kennt. Da weiß er doch gleich, mit wem er zu thun hat, und wird Deine Sache schon durchbringen. Ich begleite Dich, so kann kein Mensch etwas darin finden. Selbst Dein Mann nicht. Also abgemacht, Kleine?“

„Abgemacht!“ stimmte Franziska, wenn auch mit innerem Widerstreben, zu und legte ihre kleine kalte Hand in jene der Freundin.

„Und morgen nachmittag um vier Uhr gehen wir hin.“

Franziska ging nach Hause, um nichts getröstet; im Gegenteil, zu der einen Last, die sie trug, kam noch eine neue, schwerere hinzu. Aber wie sie auch sann, einen anderen Ausweg fand sie nicht. So blieb es eben dabei.

Am nächsten Nachmittag, als ihr Mann ins Bureau gegangen war, bereitete Franzel sich schweren Herzens zu dem heimlichen Gange vor. Im Begriff, ihre Pelzmütze aufzusetzen, ward ihr ein Besuch gemeldet, was die junge Frau in nicht geringe Bestürzung versetzte. Ehe sie noch eine ausweichende Antwort geben konnte, folgte der Gast dem meldenden Mädchen ins Wohnzimmer nach. Es war ein Fräulein von Hagen, eine ältliche Cousine des Regierungsrates, die seinem Hauswesen mehrere Jahre lang vorgestanden, seit seiner Verheiratung aber die junge Frau unter ihre Fittiche genommen und nach Kräften bemuttert hatte – sehr gegen Franzels Willen freilich, aber daran war leider nicht viel zu ändern.

Zu dieser Stunde wäre Franziska Wodrich wohl von keinem Besuch sonderlich erbaut gewesen – der Anblick dieser liebenswürdigen Cousine brachte sie indes völlig um ihre Fassung. Die Dame ließ ihr übrigens nicht Zeit, irgend etwas, vielleicht recht Unliebenswürdiges, zu sagen; sie eilte auf Franziska zu, begrüßte sie mit viel schönen Worten und fing sogleich wieder mit dem Bemuttern an, indem sie vorwurfsvoll sagte: „Bei diesem tollen Wetter willst Du doch nicht etwa ausgehen, Franziska?“

„Du bist doch auch ausgegangen,“ erwiderte die junge Frau mit schlagender Logik.

„Ich? ja, liebes Kind, das ist auch ganz ’was anderes. Dich bläst ja der Wind um, so klein und zart, wie Du bist. Du bist eben ein Nippfigürchen, Franziska, das vergißt Du immer wieder.“

„Danke für die Rolle! – Uebrigens gehe ich nicht allein, Frau Rätin Lorenz kommt mich abholen. – Aber bitte, setze Dich doch, ich habe noch ein wenig Zeit,“ fügte Franziska mit einer reumütigen Anwandlung hinzu, weil sie einsah, daß sie ihre Hausfrauenpflichten diesem Gast gegenüber doch gar zu sehr vernachlässigte.

„Bitte, bemühe Dich nicht,“ erwiderte Aurelie von Hagen kühl, indem sie sich einen Stuhl herbeizog. „Also mit Frau Lorenz. Sag’ mir bloß, was Du an der alten Person hast.“

Franziska, die im Zimmer hin und herging, wandte hastig den Kopf und blickte die Fragende mit ihren dunklen Augen zürnend an. „Frau Lorenz ist ehrlich, klug und gut, drei Eigenschaften, die ich sehr hoch schätze. Und im übrigen bitte ich Dich, in anderem Ton von meinen Freunden zu reden.“

Fräulein von Hagen hatte ihren Kneifer aufgesetzt und die junge Frau mit sichtlichem Amusement betrachtet. „Rege Dich nicht auf, Kleine! Erzähle mir lieber, wohin Ihr geht, Du und die Frau Lorenz.“

„Einkäufe machen,“ entgegnete Franziska kurz.

„So – das ist mir lieb. Da ich auch einiges zu besorgen habe, werde ich mich anschließen, wenn Ihr nichts dagegen habt.“

Franzel titulierte sie im stillen eine unausstehliche aufdringliche Person und grübelte über einen Ausweg, sie los zu werden. Doch ehe sie sich hierüber klar wurde, klopfte es, und die Rätin Lorenz trat herein.

„Bist Du bereit, Franzel? – Ah, guten Tag, Fräulein von Hagen, Sie entschuldigen wohl, daß ich Ihnen meine kleine Freundin entführe?“

„Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde die dritte!“ citierte Aurelie und zupfte vor dem Spiegel ihre weiße Riesenboa zurecht, indes sie beide Damen scharf beobachtete. Sie mußte lächeln. Franzel wechselte einen ratlosen Blick mit der alten Freundin ihrer Mutter, doch diese nickte ihr zu, als wenn sie sagen wollte: „Laß mich nur machen!“

So begaben sich die drei Damen auf ihre Wanderung, Frau Lorenz machte zum Schein einige Einkäufe, als Fräulein von Hagen sich jedoch immer noch nicht entschloß, sie zu verlassen, sagte sie plötzlich: „Kinder, ich bin müde geworden, will mich bei meiner Nichte etwas ausruhen. Franzel, kommst Du mit?“

Diesen Wink mußte Aurelie verstehen. Sie empfahl sich, aber während sie allein weiter ging, zerbrach sie sich den Kopf mit allerlei wunderlichen Gedanken.

„Was sie wohl vorhaben? sie wollten mich doch zu gern los sein! Franziska war auch so sonderbar verstört, als ich zu ihr kam. Da ist etwas nicht in Ordnung!“ Ihr nie ruhendes Mißtrauen war wieder einmal wach geworden – sie machte kehrt und ging mit schnellen Schritten denselben Weg zurück. Frau Lorenz war nicht gut zu Fuß, und dazu der starke Wind – so durfte sie hoffen, die beiden Damen einzuholen. Und richtig, als Aurelie den Obstmarkt erreichte, sah sie dieselben, gegen den Wind ankämpfend, quer über den menschenleeren Platz gehen. Hastig folgte sie ihnen nach. Sie brauchte nicht weit zu gehen, an einem stattlichen Hause der Hauptstraße blieben die Damen sekundenlang wie zögernd stehen. Aurelie glaubte deutlich zu erkennen, wie Frau Lorenz auf Franziska einsprach, dann betraten beide das Haus.

„Also hier wohnt ‚die Nichte‘,“ sagte Fräulein von Hagen spöttisch, als sie eine Minute später an dem nämlichen Hause vorüberging. Ein Schild neben der Hausthür fiel ihr auf – sonderbar, sie hatte es nie zuvor bemerkt. „Sonnenthal, Dr jur. Sonnenthal,“ sprach sie vor sich hin; sie prägte sich unwillkürlich den Namen ein und ging dann ruhig ihrer Wege.

Der Besuch bei Doktor Sonnenthal war nicht halb so peinlich, wie Franzel sich denselben ausgemalt. Nach der ersten, etwas verlegenen Begrüßung nahm Frau Lorenz das Wort und klärte den Rechtsanwalt über Franzels Anliegen auf. Sie deutete auch an, daß Regierungsrat Wodrich von der ganzen Geschichte nichts erfahren solle, weil es ihm grenzenlos peinlich sein würde, seine Frau als Angeklagte zu wissen.

Doktor Sonnenthal hörte sie aufmerksam an, richtete einige sachgemäße, scharf präzisierte Fragen an Franziska, dann sagte er ruhig: „Haben Sie keine Sorge, gnädige Frau! Soweit ich die Sache beurteilen kann, sind Sie vollständig in Ihrem Recht. Ich werde Ihnen den Fall vorlegen, wie ich denselben nach Ihrer Erzählung ansehe. Also: Sie machen eine Bestellung bei dem Kaufmann Müller. Diese Bestellung wird miserabel ausgeführt. Sie verweigere die Annahme, gehen zu dem p. p. Müller und sagen ihm in aller Ruhe Ihre Meinung. Darauf wird der Mann grob, zieht Ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel, insultiert Sie. Sie bestehen auf Ihrem Recht, werden heftig und sagen, das sei ein schönes Geschäft, das nicht einmal Garantie für seine Waren übernähme. Habe ich recht verstanden.“

„Ja,“ nickt mit heißen Wangen die junge Frau, die bei der klaren Darlegung des Rechtsanwaltes die ganze peinliche Scene noch einmal wieder durchlebt.

„Sie haben trotz Ihrer Erregung kein Schimpfwort gebraucht, gnädige Frau?“

„Nein,“ erwidert die Angeredete fest.

„Hätt’s mir auch nicht denken können,“ murmelt Doktor Sonnenthal. Dann schweigt er und scheint angestrengt nachzudenken. Franziska streift sein weiches und dennoch energisches kluges Gesicht mit einem ängstlich forschenden Blick. Da hebt er das Auge und sieht die junge Frau an – sein Blick hat etwas, das sich nicht leicht beschreiben läßt – zuversichtlich und vertrauenerweckend zugleich.

„Sie haben die Ihnen zur Last gelegten Schimpfworte ‚Lump‘ und ‚Schwindelgeschäft‘ nicht gebraucht, der Mann muß Sie also

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_014.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)