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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

der alten und der jungen, im Kopfe hatte und der es ihnen oft aufs unbarmherzigste sagte. Aber ich hörte nicht auf seine Frage.

„Was soll ich ihm nun schenken?“ stöhnte ich. „Ich besaß noch sechs Bankschillinge, aber ich habe mir gerade Chokolade gekauft!“

„Wie kannst Du nur so naschhaft sein!“ schalt der Propst, der verdrießlich geworden war. „Sieh’ ’mal, wenn Du das Geld noch hättest, dann würde ich Dir auch etwas dazu geben und Du könntest einen neuen Kasten kaufen!“

„Dieser war ja neu!“ erklärte ich, und der alte Herr betrachtete ihn nachdenklich. Dann seufzte er erleichtert.

„Ich will ihn Dir wieder zusammenkleben und Du holst ihn morgen früh bei mir ab. Mein Leim ist gut und er wird dann wie neu!“

Mit diesem Versprechen ging er davon und steckte die Trümmer des neuen Federkastens in die Tasche. Ich bedachte mich einen Augenblick, ob ich weinen sollte oder nicht; da aber gerade unsere große Hauskatze mit einem Hunde angebunden hatte und ihn ohrfeigte, so vergaß ich über diesem Anblick allen Kummer dieser argen Welt.

Aber den Federkasten vergaß ich deswegen doch nicht und der folgende Morgen sah mich in sehr früher Stunde in der Propstei. Dort wurde noch die große Diele gescheuert und das Mädchen erklärte, der Herr Propst sei noch nicht zu sprechen. Als ich dann nach einigen Stunden wieder vorsprach, hieß es, ich dürfe den Herrn nicht stören, er sei bei seiner Predigt. Ich war in großer Betrübniß, denn nun hatte die Uhr schon Neun geschlagen; ich mußte bald in die Lernstunde und hatte später wenig Zeit, herumzulaufen und ein Geschenk zu kaufen, selbst wenn ich mir das Geld dazu erjammert hätte. Nachdenklich ging ich über den Kirchhof, an den das Haus des Propstes grenzte, und als ich mich hier auf den grünen Erdwall setzte, der den Friedhof von der Straße trennte, liefen einige Thränen ganz von selbst über meine Wangen.

„Was weinst Du?“ fragte eine Stimme neben mir.

Der Sprecher, ein kleiner dicker Mann mit rothem Gesicht, stand plötzlich bei mir, und ich sah ihn ganz erschreckt an, weil ich ihn gar nicht bemerkt hatte.

„Was weinst Du?“ fragte er noch einmal und ich schluchzte tief und lange. „Heinz Behrens Geburtstag ist, und da –“ ich konnte nicht weiter vor Schmerz. Der Fremde zog ein rothes Taschentuch hervor. „Na, wisch’ Dich ’mal ab! Ist das denn schlimm, wenn Heinz Behrens’ Geburtstag ist?“

„Ich wollte ihm ja etwas schenken!“ erklärte ich und dann breitete ich das Taschentuch ats und betrachtete es unter Thränen und doch mit Entzücken. Es war auch ein wunderbares Taschentuch. Zwei Schiffe waren darauf abgebildet, die beide in Flammen standen, und in der Luft flogen Menschen herum.

Der Mann sah mir wohlgefällig zu. „Nicht wahr? Is ein feines Tuch und ganzen rein, weil ich eigentlich niemalen ein Taschentuch brauch’. Kannst Dich gern die Nase in putzen!“

„Weinst Du denn nie?“ fragte ich, seine Erlaubniß mit Freuden benutzend. Er lachte ein wenig.

„Nee – dieses thue ich nicht mehr!“ Manchmal sprach er nämlich richtig und manchmal verkehrt hochdeutsch.

„Ein fein Bild, nich?“ fuhr er fort und setzte sich neben mich. „Das is ‚Krischan[1] der Achte‘, der in Luft fliegt, und das is ‚Gefion‘. Weißt, was ‚Gefion‘ war? Das war auch ein Schiff und die Leute, die hier oben fliegen, sind tot. Na, und nu verzähl’ mich ’mal, warum Du weintest!“

„Ich habe ja kein Geburtstagsgeschenk!“ rief ich kläglich.

„Nun, freut Heinz Behrens sich nicht, wenn Du ohne Geschenk kommst?“

„Wie sollte er das thun? Das thut niemand. Er steht schon auf der Straße, ganz weit von seinem Hause entfernt, und wenn einer kommt, der bei ihm eingeladen ist, dann schreit er ganz laut: ‚Nu man rut mit de Geschenkens!‘“

Ich weinte schon wieder. Der Gedanke, vor versammeltem Volke mit leeren Händen zu kommen, erschien mir unerträglich. Dann erzählte ich die Geschichte vom Federkasten und der fremde Mann hörte mir theilnehmend zu.

„I, so kuck ’mal an! Der Propst hat Dein Kasten entzwei gemach und mach ihn nich wieder heil! Da soll doch ein Donner einslagen!“

„Er macht seine Predigt!“ entschuldigte ich; der andere zuckte die Achseln. „Da hat er nich viel Arbeit von. Lauter Bibelsprüchens und Gesangbuchversens. Das kann unsereiner auch! Sag’ ihn das man von mich, wenn ihm wieder siehst!“

„Wie heißt Du denn?“ fragte ich. Mein neuer Freund schob an seiner blanken Wachstuchmütze.

„Wie? Du kennst mir nich und ich bin doch Kaptein gewesen? Kaptein von die Brigg ‚Helene‘ aus Glückstadt. Abers ich mochte nich mehr – da is mich zu viel Verdruß bei die Segelei heutzutage – da wollt’ ich mir lieber ein büschen ausruhen!“

Es schlug vom Thurm halb Zehn und ich fuhr in die Höhe. „Ich muß in die Stunde und habe kein Geschenk für Heinz!“ rief ich kummervoll, aber der Kapitän legte seine braune Hand auf meinen Arm.

„Komm’ Du heut’ zu mich! Auf’n Norderende, Nümmer dreiunddreißig. Da kannst mir besuchen um den Glockenslag Drei, und wenn ich Dich denn nich ein Geschenk geb’, was Du mit Fug und Rech verschenken und vergeben kannst, denn will ich nich Friedrich Franz Weber heißen. Komm’ man und denn laß das Weinen!“

Punkt drei Uhr stand ich vor einer kleinen, sehr grellgrün bemalten Hausthür, die zur Hälfte offen stand. Es war noch eine von jenen Thüren, die aus einer oberen und einer unteren Hälfte bestanden. Da konnte man, wenn man den unteren Flügel schloß, bequem aus der Hausthür sehen, ohne daß sie doch geöffnet war, und konnte sich außerdem behaglich auf sie stützen. Kapitän Weber sah auf diese Weise aus der Thür. Er war in Hemdärmeln und trug eine rothkarrierte Zipfelmütze. Als er mich erblickte, öffnete er die untere Thür.

„Nu komm’ man ein! Gut, daß Du gekommen bist. Der alte Kaptein ist auch keiner von den Leuten, die zuerst ’was versprechen und dann gar nichts halten. Wenn ich Ja sage, denn meine ich auch Ja!“

Er lobte sich noch eine Weile und ich blickte mich inzwischen um. Auf der kleinen, mit rothen Ziegelsteinen belegten Diele sah es auch bunt genug aus. An der Wand prangten nicht allein Bilder von Schiffen verschiedener Art – von der Decke hing ein großer, ausgestopfter Fisch herunter, der das Maul weit geöffnet hatte und sehr durchdringend roch. Dazu lagen auf einem Wandbrett eine Reihe von schönen rosarothen und weißen Muscheln, die auf beiden Seiten von ausgestopften Vögeln bewacht wurden.

„Magst es leiden?“ fragte der Kapitän und ich nickte, während ich doch etwas zweifelhaft den großen Fach betrachtete.

„Nu, was möchtest Du dann wohl haben?“ fragte Friedrich Franz Weber, behaglich seine Zipfelmütze von einem Ohr auf das andere rückend, und ich sah mich noch einmal um.

„Den Fisch will ich nicht!“ erklärte ich dann nach einigem Besinnen. „Ich glaube, Heinz würde sich auch nicht darüber freuen!“

„Weshalb nicht?“ erkundigte sich der Kapitän lächelnd.

„Nun – er ist so groß und dann riecht er auch. Beinahe so wie Herrn Metzgers Eau de Cologne, das ich voriges Jahr zum Geburtstag bekam!“

„Den Fisch hättst auch nich gekriegt!“ erklärte der neue Freund. „Das ist ein Haifisch, der mir beinahe ’mal den Kopp abgebissen hätte. Aber ich war klüger als er! Nun komm’ man in Stube!“

Nach hinten lag ein kleines Zimmer, das wie eine Kajüte ausgestattet war. Alles sah sehr blank und sauber aus und auf dem Tische lagen verschiedene Kästchen aus Strohgeflecht oder Sandelholz. Von ihnen durfte ich mir eins aussuchen und dann entfernte ich mich unter vielen Dankesbetheuerungen und dem Versprechen, den Kapitän bald wieder zu besuchen.

Auf diese Weise bestand ich mit Ehren an Heinz Behrens’ Geburtstag und konnte meine Chokolade mit dem erhebenden Bewußtsein trinken, etwas geschenkt zu haben, von dem niemand den Preis sagen konnte, wie dies sonst bei den von Herrn Metzger gekauften Sachen immer der Fall war.

Am andern Tage begegnete mir der Propst.

„Nun,“ so redete er mich an, „weshalb hast Du Deinen Kasten nicht geholt? Er ist seit gestern fertig!“

„Dein Mädchen sagte, Du machtest Deine Predigt und ich dürfte Dich nicht stören!“

Er lachte. „So schlimm war’s nicht!“ Ich aber fuhr eifrig fort: „Herr Kapitän sagt auch, an Deiner Predigt könne nicht

  1. Christian.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 872. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_872.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2020)