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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Köpfchen ernsthaft an und deklamierte: „Süße Klara! Cara Clara! Cara Clara!

„Ach bitte, sperren Sie den Vogel hinein!“ bat Klara in größter Verwirrung. „Ich muß fort. Leben Sie wohl, Herr Doktor!“

Und ehe Franz noch zu Ende gefragt hatte, ob er sie nicht wenigstens zur Bahn begleiten dürfe, war sie die Treppe hinuntergeeilt.

Das war ein trauriger Zwischenfall für Franz. Er war so betrübt, daß er sogar den Raben recht unwirsch anfuhr. Dieser flüchtete sich unter das Sofa, wohin sich Pintsch angesichts der schlechten Laune seines Herrn bereits verkrochen hatte, und tröstete sich dort mit einigen leisen: „Jakob warr brrav! Brraverr Jakob!“ Das rührte den Herrn so, daß er die beiden Thiere hervorlockte und beruhigte. Dabei fiel ihm ein, daß er sich nun aber auch der Katze annehmen müsse. Er wagte es, in Klaras leeres Zimmer hinüberzugehen,

Da fand er eine neue Ueberraschung. Die Katze war nicht da, aber auf dem Arbeitstischchen lag der verhängnißvolle Brief, und daneben ein feuchtgeweintes Taschentuch. Der Brief aber trug eine Fünfpfennigmarke und zeigte den Stadtpoststempel.

In den nächsten Tagen hatte Franz viel zu arbeiten. Gar schwer entbehrte er dabei den Anblick seiner Nachbarin, ihren Gesang, ihr ernsthaftes Plaudern und ihr helles leises Lachen. Um so mehr dachte er an sie, und in den Pausen der Arbeit malte er sich allerlei Zukunftsbilder aus, wobei Jakob noch ganz neue Ausrufe belauschte, die er aber vorläufig verschwiegen in seiner schwarzen Brust verschloß, nachdem ihm seine Indiskretion neulich so übel gerathen war.

Immer wenn ein Schritt auf der Treppe klang, lauschte Franz auf, ob nicht die schlanke Gestalt im dunklen Mantel und dem kleinen Hütchen wieder auf der Schwelle erscheinen werde. Klara blieb aber länger aus, als er dachte, und als sie endlich wiederkam, trafen sie sich auf der Treppe, just als er dringend weg mußte. Sie sah zum Erbarmen angegriffen aus und trug ein schwarzes Kleid; die Tante war einige Tage nach ihrer Ankunft gestorben, Franz empfand das tiefste Mitgefühl. Er suchte krampfhaft nach irgend einer zerstreuenden Bemerkung, die er der Versicherung seines Beileids anfügen könnte. Schließlich meinte er in der Noth seines Herzens: „Denken Sie, der Mones war alle die Zeit über weg und ist erst heute morgen wiedergekommen, ganz mager und wüst sieht er aus.“

Draußen auf der Straße hätte er sich am liebsten selber geprügelt für diese Bemerkung, er konnte sich nichts Dümmeres denken.

Klaras Wesen war viel stiller und zurückhaltender als bisher, was Franz mit Betrübniß empfand. Nur auf Pintsch strömte ihre Gnade in überreicher Fülle aus. Abends war der Doktor jetzt vielfach durch neue Pflichten in Anspruch genommen. Mit dem nachmittäglichen Abholen des Fräuleind war es auch nichts mehr; wie Klara erzählte, hatte ihre Schülerin wegen dringender Weihnachtsarbeiten die Stunden vorläufig ausgesetzt. Sie sagte das mit einiger Verwirrung, die dem guten Franz freilich entging. Wohl aber wunderte er sich sehr, als er Klara mehrmals des Vormittags auf der Straße begegnete oder sie zu Hause fand, zu einer Zeit, wo sie doch in der Schule sein mußte. Als er sie darüber harmlos befragte, meinte sie ausweichend, sie hätten ja jetzt Weihnachtsferien. Damit hätte er sich auch zufrieden gegeben, wenn er nicht gerade zwei Tage darauf im Vorübergehen gesehen hätte, wie sämtliche Schülerinnen aus der Anstalt kamen, mit Büchern und Mappen und in so alltäglicher Stimmung, als ob die Ferien noch in nebelhafter Ferne lägen.

All dies bekümmerte Franz Rainer sehr. Als ein hoffnungsvoller Lichtpunkt schimmerte aber vor ihm das nahe Weihnachtsfest. Frau Schütz, seine wohlbeleibte Wirthin, hatte ihn schon längst zum Heiligen Abend eingeladen mit dem Vermerk, daß auch ihre älteste Mietherin, seit sie bei ihr wohne, das Fest stets bei ihr feiere, Seit seinen frühen Knabenjahren hatte sich Franz nicht so auf Weihnachten gefreut. „An diesem Abend soll sich alles finden, Pintsch,“ sagte er zu seinem Getreuen, „und du und Jakob, ihr sollt dann auch etwas Leckeres bekommen.“

Am Nachmittag vor dem Feste faßte er sich ein Herz und bat seine Nachbarin, mit ihm zusammen „In die Buden“, wie man dort den Weihnachtsmarkt nennt, zu gehen, um auch einige Geschenke für die Wirthin einzukaufen. Klara wollte erst nicht, dann aber, als sie ihn darüber so betrübt sah, stimmte sie mit einem Male muthig zu und machte sich schnell bereit. Auf sein Bitten setzte sie sogar lächelnd das dunkelrothe Pelzmützchen auf, das er so gern auf ihren braunen Flechten sah.

Draußen war es furchtbar kalt, der Schnee knisterte ihnen unter den Sohlen, und der Wind blies so scharf, daß Franz seine Begleiterin ängstlich bat, die Boa dichter umzulegen. Aber Frost und Wind vermochten gar nichts gegen die Herzenswärme, welche das wunderliche Menschenvolk an diesem Tage durchströmte. Ueberall auf dem Markte drängte und aummte es von geschäftigen Menschen. Es war ja Geschäft wie sonst, Kauf und Verkauf, Nachfrage und Angebot. Aber in den Augen der Käufer leuchtete ein anderer Glanz, als den die bloße Besitzlust entfacht, sie wollten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 852. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_852.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)