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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

die Bretter; sein erstes Auftreten geschah an einer sagenumsponnenen Stätte, in dem Meidlinger Musenstall des vielbelachten, im deutschen Bühnenklatsch unsterblich fortlebenden Direktors Groll. Auf dieser Ulkbühne debutierte ab und zu ein Anfänger, der späterhin wie Ferdinand Raimund ein Ruhm der Volksbühne oder wie der Heldenspieler Joseph Wagner eine Größe des Burgtheaters wurde; zumeist aber fanden sich hier Spaßvögel und Verkannte, übermüthige Hausherrnsöhne und unternehmende Selcherstöchter zusammen. Ein Jugendfreund des Dichters, der späterhin sein Schwager werden sollte, der Wiener Magistratsbeamte Franz Lipka, bewahrt noch ein von Anzengruber eigenhändig geschriebenes und gezeichnetes Büchlein aus jener Zeit auf, in dem der Dichter in der Manier der englischen Humoristen – in dem folgenden Fragment eines komischen Romans „Unter dem Mond“ – seiner Begegnungen und Abenteuer mit Groll gedenkt.

„Erstes Kapitel. Der Leser lernt mehrere Personen kennen, mit denen er wohl noch ferner zu thun haben wird. Es war am 4. Juni 1860 vormittags, als in drückender Hitze ein junger Mann nach Meidling, das nahe bei Wien liegt, schritt. Sommerliches Gewand, weicher runder Filzhut kleidete den bald hoch aufgerichtet, bald wieder nachlässig dahinschreitenden Lanz,[1] so hieß nämlich der junge Mann. So über Kothlachen und Gräben hinwegsetzend, gelangte er an den ersehnten Ort, marschierte nach dem daselbst befindlichen ‚Theresienbad‘, fragte dort nach Direktor Groll und eilte in dessen ebenerdige Wohnung. Schon drückte er an die Schnalle der Glasthür, über welcher ein Schild mit dem goldnen ‚Theaterdirektion‘ prangte, als eine Stimme aus einem nahen Fenster rief: ,Was wollen Sie denn?‘ Unser Mann wandte sich um, schritt dem Fenster zu und rief zu dem Stimmabgeber, einem Mann mit Schlafrock und Schlafmütze: ‚Ich möchte gern den Herrn Direktor Groll sprechen.‘ ‚Der bin ich, was wünschen Sie?‘ ‚Ich wollte fragen, ob Sie niemanden branchen können,‘ sagte den Hut rückend Lanz. ‚Engagement?‘ ‚Ja.‘ ‚Alles schon besetzt,‘ bemerkte mit nachdrücklicher Pantomime der Direktor. ‚Das heißt,‘ fuhr der Untenstehende fort, ‚Engagement ohne Gage.‘ ‚Ja, waren Sie schon auf Theater?‘ ‚Nein, aber ich habe längere Zeit bei – dem berühmten Komiker – C. Treumann gelernt; dann mich selbst vorbereitet für meine theatralische Laufbahn.‘ Jetzt wurde der Direktor etwas freundlicher. ‚Haben Sie noch Eltern? Sind Sie noch minorenn?‘ Da der junge Mann erst 20 Jahre zählte, verlangte Groll einen von der Mutter unterfertigten ‚Sustentationsrevers‘ und auf die mit sehr sarkastischem Ausdruck gegebene Zusage des Jünglings erklärte der Direktor: ‚Nachmittag 8 Uhr ist Probe von den ‚Modethorheiten‘, die nächsten Sonntag zur Aufführung kommen; es ist noch ein Fiaker da: eine kleine Rolle.‘ ‚Ganz gut, ich werde vor 8 Uhr eintreffen. Ich empfehle mich.‘ ‚Mein Kompliment,‘ sagte der Direktor und rückte seine Mütze. ‚Wünsche wohl zu speisen.‘ ‚Danke, gleichfalls,‘ sagte nachlässig lächelnd Lanz, ging rasch voran und hüpfte übermüthig den Ausgang zum Theater hinab.“ Diesen „Fiaker“ und allerhand andere ähnliche Röllchen, Reitknecht Sam in der „Waise von Lowood“, Pereles in „Einer von unsere Leut’“ etc., durfte Anzengruber aber nur spielen, nachdem seine Mutter schriftlich ihre Einwilligung zur Berufswahl ihres Sohnes gegeben hatte; zugleich mußte sie feierlich versichern, für die „Subsistenzmittel ihres Sohnes zu sorgen, bis derselbe ein festes Engagement anzutreten imstande sein wird“.

Katharina Schratt,
die Darstellerin der Vroni in Anzengrubers
„Meineidbauer“ am Burgtheater zu Wien.
Nach einer Aufnahme des k. u. k. Hofateliers Adèle zu Wien.

Ach! es sollte nicht allzu lange währen, bis der Rekrut des Herrn Groll ein festes Engagement erhielt. Anfangs der sechziger Jahre trat Anzengruber seine Kunstreisen an „unter Verhältnissen, wo das Reisen eine Kunst war“; seine ersten Winterquartiere blieben die besten, seine ersten Monatsgehalte von 25–35 Gulden (bei deren Erwähnung ihm nach Jahrzehnten „ein fieberrüttelndes Erinnern aufstieg“) die höchsten. Jahre lang schlug er sich von einer Bettelschmiere zur anderen durch, bei denen er sich bestenfalls zum Hungervirtuosen ausbilden konnte. Alle Winkelzüge und Kniffe der Fahrenden, wie sie von Holteis „Vagabunden“ bis auf den Direktor Striese im „Raub der Sabinerinnen“ so lustig zu hören, in der Wirklichkeit dagegen desto trauriger zu erleben sind, sollte unser Dichter an sich selbst erfahren. 1862 lachte er noch, als er, mit einer Wandertruppe nach Apatin, einer Haltestelle des Donaudampfers in Ungarn, verschlagen, Bäuerles alte „Aline oder Wien in einem andern Welttheil“ unter dem Titel „Aline oder Apatin in einem andern Welttheil“ angekündigt sah; die weltbekannte Strophe: „’s giebt nur a Kaiserstadt, ’s giebt nur a Wien, ah, da muß prächti sein, da möcht’ i hin!“ lautete natürlich: „’s giebt nur in Ungarn a Apatin d’rin“, eine Abänderung, die in der nächsten Station Palanka zu der Neuerung führte: „’s giebt nur in Ungarn a Palanka d’rin“. So gern und so lang Anzengruber „als unverbesserlicher Träumer“ aber auch bereit war, „wie ein Hypnotisierter rohe Kartoffeln für Birnen zu essen“, allgemach fehlten selbst die Kartoffeln für ihn und seine Mutter. In Steiermark, Slawonien und Kroatien trieb er sich herum, mehr als einmal im Stich gelassen von den Direktoren, sobald die mageren Einnahmen getheilt werden sollten. Und tiefer noch traf ihn die Erkenntniß, daß in solcher Umgebung weder für den Menschendarsteller, noch für den Dramatiker Gewinn zu holen sei. Einem Molière gereichten seine Lehr- und Wanderjahre, in denen er zu Beginn seiner Laufbahn auf Kreuz- und Querzügen Frankreich durchstreifte, zum Segen; seine starke schauspielerische, dazumal wie heute besonders dankbar aufgenommene komische Begabung, seine Fähigkeiten als Regisseur und Geschäftsmann machten ihn zum Führer seiner Kameraden. Anlagen dieser Art waren Anzengruber versagt. Er taugte nicht zum Darsteller; im Verkehr schloß er sich selten an oder auf; er hauste zurückgezogen mit seiner Mutter, saß jeden Abend an dem Tisch ihrer einen gemeinsamen Stube und horchte auf, bis sie mit dem Nachttrunk heimkam. „Hatte sie dann die Thür hinter sich geschlossen, so saßen wir noch lange plaudernd, denn wir hatten uns immer gar viel zu sagen.“ Menschliches und Dichterisches beredete das edle Paar. Immer neue ernste und heitere Vorwürfe zu Bühnenwerken jeder Form entwickelte der namenlose Komödiant vor der Einzigen, die ihm gläubig vertraute. Jahraus, jahrein brachte er neue Stücke fertig. „Der Kramer und sei Tochter“, „Ein Deserteur der großen Armee“, „Der Onkel is angekommen“ und allerhand andere Titel sind das einzige, was von diesen Werken auf uns gelangt ist. Denn nicht einmal bei den Direktoren seiner Gesellschaft, geschweige in Wien, fanden diese Erstlinge Beachtung. Die Wiener Theaterkanzleien sandten ein Manuskript nach dem anderen zurück – ungelesen; keine einzige bestand die Probe des ängstlich harrenden Antors, der einzelne Bogen versiegelt oder zusammengeklebt, wie er sie abgeschickt, auch wiederum unberührt zurückerhielt.

Dennoch trieb es den Dichter in die Vaterstadt zurück, wo seiner noch ganz andere Hungerjahre harrten als in der Provinz. 1867 war er im Harmonietheater engagiert. „Eine hübsche Anstalt“, schrieb er dazumal mit grimmigem Humor einem Freunde; „ich übe mich in den schwierigsten Episoden, insofern schwierig, als man wirklich oft nicht leicht die Schlagwörter behalten kann, auf welche man nichts zu reden hat; ich thu’ das für die kleine Erkenntlichkeit von 50 Kreuzer pro Abend und beziehe die horrende Gage von 20 Gulden pro Monat, das alles, um in Wien an der Quelle zu sitzen und mit der Feder arbeiten zu können; bei einer solchen Stellung, wie ich sie jetzt inne habe, wo man von heut’ auf morgen nicht weiß, ‚wirst Du oder wirst Du nicht umschmeißen?‘ mangelt jener Erfolg, den man braucht, um sich einen wenigstens kleinen Namen zu machen, eine Firma, zu der auch andere Vertrauen fassen, damit nicht die Zukunft an die dieses sehr kurzathmigen Institutes gebunden sei. Meine Erlebnisse, die mich auf diese Roßauer Sandbank absetzten, als einen schiffbruch-durchweichten, meergeschaukelten Robinson, dem zwar kein treuer Neger Freitag, wohl aber viele schwarze Freitage i. e. Fasttage bevorstanden, diese

  1. Unter diesem aus den Anfangsbuchstaben L. Anz. gebildeten Leihnamen erschien unser Dichter auch wirklich zuerst auf dem Zettel des Meidlinger Theaters.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_798.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)