Seite:Die Gartenlaube (1893) 780.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

0 Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Weinlese im Rheingau.

Von Ernst Lenbach.0 Mit Bildern von H. Junker.

„Am Rhein, am Rhein, da wachsen uns’re Reben;
  0 Gesegnet sei der Rhein!“

Das köstliche Lied des alten Wandsbecker Boten, wer von uns hat es nicht schon mitempfunden, mitgesungen, wenn ihm des Rheines flüssiges Gold den Sinn erhob und die Zunge löste? Nirgends aber stimmt man doch so fröhlich, so überzeugungsvoll ein als auf einer Rheinfahrt selbst, nach welcher das Herz des Deutschen trachtet wie das des frommen Muselmanns nach der Pilgerfahrt gen Mekka. Da ist nichts als Freude: Freude an dem einen großen deutschen Vaterlande, dessen Ruhm und Herrlichkeit aus dem Kampfe um den Rhein sieghaft emporstieg, Freude an der Natur, Freude an dem Leben selbst, welches in buntschillernden Farben den Wallenden umspielt, Und der Winzer, der droben im Weinberg einen Augenblick von seiner mühevollen Arbeit wegschaut und herabspäht auf das bewimpelte Schiff, darf sich sagen, daß auch er und sein Pflegling, der Weinstock, ein wesentliches Verdienst um all das Vergnügen da unten haben.

Schön wie die ganze Landschaft erscheinen auch sie dem Auge des Wanderers, diese Rebengärten, die sich so keck an den steilen Berghängen emporwinden. Und zweifellos wird ihr Reiz wesentlich erhöht durch den Gedanken an das Köstliche, was sie spenden. Ob freilich der Weinberg so ganz in der Nähe betrachtet auch diese malerische Anmuth bewahrt? Da erkennt man doch zu deutlich die Spuren der unendlichen Mühe, welche nothwendig ist, um die rheinische Erde zu zwingen, daß sie ihren edelsten Schatz hergebe. Nicht als ein freies, üppiges Gewächs, lianenartig mit armdicken Aesten von Baum zu Baum sich schlingend, gedeiht hier die Rebe, wie z. B. in jenen Ländern an der Südküste des Kaspischen Meeres, von wo sie nach manchen Gelehrten ihren Siegeszug über die Erde angetreten hat. Recht kleinbürgerlich bescheiden läßt sie sich an Pfählen zu mäßiger Höhe aufziehen und ist herzlich froh, wenn der deutsche Winter ihren Erzieher nicht zwingt, ihr im Frühjahr als grausamer Arzt das Leben durch Amputation der erfrorenen Glieder zu retten.

Die Rebe ist eben kein einheimisches deutsches Gewächs. Durfte sich doch der Römer Tacitus die schnöde Bemerkung gestatten, daß die deutsche Erde vom Herbst weder den Namen noch Gaben kenne und daß dort niemals ein ordentlicher Obstbaum, geschweige denn ein Weinstock zu reifen vermöge! Und auch am Rheinstrom hat die Rebe von dem Gebiete, welches sie sich allmählich erobert hatte, gerade in unserer neuesten Zeit erhebliche Theile wieder eingebüßt. Bis ins Weichbild der Stadt Köln reichte zu Anfang dieses Jahrhunderts der Weinbau; jetzt mag das schon manchen Bürger der rheinischen Großstadt wie ein Märchen anmuthen, Allerdings bauen noch einige Dörfer nördlich von Bonn, am Abhange des fruchtbaren Vorgebirges, einen trinkbaren Rothwein, der sogar eines sehr berühmten Sohnes Vater ist – die vielgepriesenen Kapweine (vom Kap der guten Hoffnung) stammen großentheils von Reben her, welche die Holländer bei ihren Kriegszügen ins Erzstift Köln aus dieser Gegend mitnahmen. Immerhin aber bleibt die Nordgrenze des Weinbaus am Rheine heutzutage um einen ganzen Breitengrad hinter Schlesien zurück, wo die Rebe von Grüneberg nicht bloß Hunderten von Kranken Erquickung und Genesung in der Traubenkur bietet, sondern sogar einen vielberufenen Wein liefert, den einem bösen Spottliebe zufolge selbst der Teufel nur trinken könnte, wenn er ein geborener Schlesier wäre. Die welfischen Herzöge zogen sich vordem zu Hitzacker im Lüneburgischen ihren Mundwein, und die Kurfürsten zu Brandenburg sind beim Safte jener Reben, welche fleißige Dominikaner am Kreuzberg bei Berlin angebaut hatten, oftmals „sehr fröhlich gewest“.

Bei der Lese.

Der Geschmack ist eben mit der Zeit immer anspruchsvoller geworden, und dem muß sich auch die Rebe fügen. Der Wein ist in Deutschland heutzutage weit davon entfernt, das tägliche Getränk des Volkes zu werden, wie es Fürst Bismarck einmal gewünscht hat. Sein älterer einheimischer Nebenbuhler, das Bier, hat ihm gewaltige Strecken abgewonnen, und seine Pfleger sind darauf angewiesen, in der Herausarbeitung der Qualität zu ersetzen, was er an Quantität eingebüßt hat. Und das gelingt ihnen auch, trotz aller Tücken und Nücken der nicht immer besonders gütigen Mutter Natur. Mehr Wein mögen die alten Ritter getrunken haben als wir heutzutage, wo der statistische Durchschnittsdeutsche sich mit knapp sechs Litern jährlich – man glaubt es kaum! – begnügt; aber solchen Wein, wie ihn heute der Winzer in den besseren Lagen am Rheine zieht, hat wahrscheinlich im Mittelalter nicht einmal der Kaiser getrunken.

Es zeigt sich das schon in der Unmenge von Sorten – besser „Lagen“ – die man heute unterscheidet, und zwar keineswegs bloß auf dem Zettel der Flasche. Eine frühere Zeit faßte schlechtweg alles als „Rheinwein“ zusammen, was von Bacharach, damals dem Hauptweinhandelsort am Rhein, zum Versand kam.

Jetzt unterscheidet man anders; und wenn auch Rheinhessen, die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_780.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)