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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Emin Pascha.

Von Paul Reichard.

Schon seit lange drang[e]n aus Afrika düstere Gerüchte zu uns herüber, daß einer der bedeutendsten Männer, die sich dort das Feld ihrer Thätigkeit gewählt haben, nicht mehr unter den Lebenden weile. Immer deutlicher und bestimmter traten diese Gerüchte auf, und jetzt ist kaum noch ein Zweifel möglich, daß Emin Pascha tot ist. Der belgische Kommandant Dhanis sendet die Nachricht, daß er in den Besitz einer Kiste mit Gegenständen aus dem Nachlasse des berühmten Forschers gelangt ist, und das kann bei Reisenden als Beweis ihres Todes gelten.

Wir haben mit Emin Pascha einen weltberühmten Landsmann, eine wissenschaftliche Kraft, einen im Grunde seines Herzens guten Menschen verloren. Daß Emin in Afrika sterben mußte, ehe er uns über sein reich bewegtes Leben Bericht erstatten und selbst die Summe aus seinen Erfahrungen ziehen konnte, ist und bleibt ein unersetzlicher Verlust.

Emin Paschas wirklicher Name ist Eduard Schnitzer. In Oppeln in der preußischen Provinz Schlesien stand seine Wiege, am 28. März 1840 ist er dort von israelitischen Eltern geboren worden. Als Eduard Schnitzer in seinem sechsten Lebensjahre stand, trat seine Mutter zur protestantischen Kirche über, da sie in zweiter Ehe einen Christen heirathete; damals empfing auch der Knabe die Taufe. Im Jahre 1842 siedelte die Familie nach Neiße über und dort lebt heute noch eine leibliche Schwester Eduards, Fräulein Melanie Schnitzer, die, wie die Leser aus Nr. 40 der „Gartenlaube“ erfahren haben, nunmehr auch ihres Bruders verwaistes Töchterlein Ferida bei sich aufgenommen hat. Gegen Ende des Jahres 1889 starb Emins Mutter in Oppeln, nachdem sein zweiter Vater ihr längst im Tode vorangegangen war.

Seine Erziehung erhielt Emin, wie wir ihn immer nennen wollen, da er sich zuletzt nie mehr anders unterschrieb, in den Grundsätzen der protestantischen Religion auf dem Gymnasium zu Neiße. Schon früh machte sich bei ihm die Neigung zu wissenschaftlichen Forschungen geltend. Nach dem Besuch des Gymnasiums widmete er sich an der Universität zu Breslau dem Studium der Naturwissenschaften, im besonderen dem der Medizin, siedelte 1863 an die Berliner Hochschule über und erwarb sich dort den Doktorgrad.

Ein unwiderstehlicher Drang in die Ferne erfüllte von früh auf seine Seele. Als Mediziner ging er zunächst nach Triest, dann nach Antivari, wo er den Wali Ismael Hakki Pascha kennenlernte. Letzterer fand an dem jungen Deutschen ein so großes Gefallen, daß er ihn in sein Gefolge aufnahm. In des Paschas Begleitung kam Emin nach Konstantinopel und erhielt dort von der türkischen Regierung eine Anstellung als Militärarzt mit Hauptmannsrang. Emin hatte außerordentliche Sprachtalente. Englisch und Französisch beherrschte er schon, als er nach der Stadt am Goldenen Horn kam, und dort lernte er sehr rasch Türkisch, so daß ihn die Regierung des Sultans als Dolmetscher nach Tripolis senden konnte, wo er auch noch Italienisch lernte. Nach Konstantinopel zurückgekehrt, wurde er schon nach einigen Monaten als Begleiter eines militärischen Streifzugs nach dem Libanon entsandt, wie er auch in Hakki Paschas Gefolge den arabischen Feldzug mitmachte.

Als Emin wieder am Bosporus weilte – inzwischen hatte er auch Arabisch gelernt – ließ er sich dazu bestimmen, die Leitung eines politischen Oppositionsblattes zu übernehmen. Wie indessen nicht anders zu erwarten war, wurde das Blatt schon nach wenigen Monaten unterdrückt und Emin mußte, gleich dem dabei betheiligten Hakki Pascha, im die Verbannung nach Trapezunt. Glücklicherweise blieb ihm soviel Freiheit, daß er ausgedehnte Reisen nach Armenien unternehmen konnte.

Im Jahre 1873 wurde Hakki Pascha, dank den Bemühungen Emins, der heimlich in Konstantinopel erschienen war, wieder begnadigt und mit ihm Emin selbst. Doch ihr Zusammensein sollte nicht mehr lange währen. Hakki Pascha starb, und Emin, der in der Folge die Witwe seines Gönners, eine Griechin, heirathete, kehrte in seine deutsche Heimath zurück.

Aber nur auf kurze Zeit! Der Süden hatte es ihm angethan, er hielt es zu Hause nicht aus, ging von neuem nach Konstantinopel und ließ dort wieder seine Zeitung erscheinen. Nach Vita Hassans Schrift „Die Wahrheit über Emin Pascha“ wurde er daraufhin aus der Türkei ausgewiesen und wandte sich, mit ausgezeichneten Empfehlungen versehen, 1875 nach Alexandria. Von dort aus machte er sich nach dem Sudan auf und dank seinen Verbindungen konnte es ihm nicht schwer werden, als Militärarzt von Gordon Pascha, dem damaligen Gouverneur des Sudan, angestellt zu werden.

Es ist nothwendig[WS 1], hier auf einen Punkt zu kommen, der in vieler Augen einen Makel auf Emins Charakter zu werfen geeignet ist; auf seinen angeblichen Uebertritt zum Islam.

Schon bei Emins Aufenthalt in Konstantinopel, ausgangs der sechziger Jahre, war der Vermuthung Ausdruck gegeben worden, er sei zum Islam übergetreten. Aber schon damals, 1871, schrieb er an seine Schwester: „Keine Furcht, es ist nur der Name (Emin), und ich bin nicht Türke geworden.“

Und ich selbst bin in der Lage, mitzutheilen, daß Herr Georg Schweitzer in Berlin, ein Neffe Emins, einen Brief von diesem besitzt, worin Emin nochmals versichert, daß er nicht zum Islam übergetreten sei. Auch der Begleiter Emins auf der letzten Reise, der bekannte Forscher Doktor Stuhlmann, dessen Reisewerk demnächst erscheinen wird, versicherte mich, Emin sei nicht Mohammedaner gewesen. Oft habe er diesen abends protestantische Gebete verrichten hören, und eines Tages habe Emin zu ihm gesagt: „Ich bin zwar der Ueberzeugung, daß Darwin recht hat, aber es ist mir ein großer Trost, mich in mißlichen Lagen an ein höheres Wesen im Gebete wenden zu können, wenn ich auch nicht gerade mit allen Satzungen der christlichen Kirche übereinstimme.“ Stuhlmann hält Emin für einen tief religiösen Menschen.

Allerdings hat Emin alle Gebräuche und Vorschriften des Koran genau gekannt und auch dessen Satzungen den Mohammedanern gegenüber gehalten. Dadurch hat er den Schein erweckt, als sei er ein Bekenner des Islam. So erklärt es sich auch, daß ihn Vita Hassan ebenso wie Doktor Junker thatsächlich für einen Mohammedaner hielten.

Man könnte darum Emin einer Unaufrichtigkeit zeihen. Aber man vergesse nicht seine Lage. Der Glaubensfanatismus seiner Umgebung, die Verantwortung, die auf ihm lastete, die tausendfachen Erfahrungen, die er im Orient gesammelt hatte, ließen es ihm zweifellos erscheinen, daß er das Gute, das er wollte, nur unter der Maske eines Mohammedaners erreichen könne. Und der Erfolg hat ihm recht gegeben. Einen Schaden hat er niemand damit zugefügt.

Der leider so früh verstorbene Wilhelm Junker, welcher lange Jahre Emins Gefährte gewesen ist, und zwar in Zeiten ärgster Bedrängniß, sagt über sein Aeußeres:

„Emin ist ein schlanker, fast magerer Mann, von etwas mehr wie Mittelgröße, mit schmalem, von einem dunklen Vollbart umrahmtem Gesicht und tiefliegenden Augen, welche durch die starken Krystallgläser der Brille beobachtend hervorschauen. Seine starke Kurzsichtigkeit zwingt ihn zur Anstrengung und Konzentrierung seines Sehvermögens auf die vor ihm befindliche Person, was seinem Blick einen harten, scheinbar lauernden Ausdruck verleiht. Der auch malerisch interessante Kopf, in welchem sich unverkennbar eine bedeutende Intelligenz ausspricht, läßt in nichts den Deutschen vermuthen. Das unleugbar orientalische Gepräge

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nothwenig
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_730.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)