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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


„Kann ich vielleicht irgendwie behilflich sein, gnädige Frau?“ warf der Assessor eifrig ein. „Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung. Gestatten Sie mir, daß ich in die Stadt eile.“

„Danke, nein, das geht nicht! Nehmen Sie mir’s nicht übel, aber den Schlüssel zu meinem Schreibtisch kann ich nicht aus der Hand geben. Das ist eine meiner Eigenheiten. In meine Schubfächer darf auch mein Mann keinen Blick werfen. – Es ist ein Glück, daß Sie einen Wagen genommen haben, Lisette! So leid es mir ist, ich muß Sie auf ein Viertelstündchen allein lassen, liebe Dora. Es kann ja auch jeden Augenblick Gesellschaft kommen. Sie machen dann an meiner Stelle die Honneurs, nicht wahr? Ich fliege!“ Und sie eilte hastig dem Wagen zu. (Fortsetzung folgt.)     


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Fürst Bismarck in Kissingen.

Mit banger Sorge haben in den letzten Wochen viele deutsche Herzen auf die Nachrichten gelauscht, die von Kissingen aus über das Befinden unseres alten Reichskanzlers in die Welt drangen. Fürst Bismarck war dort krank geworden, so krank, daß um ihn, den Achtundsiebzigjährigen, ernste Besorgnisse sich aufdrängen mußten. Glücklicherweise aber hat er sich doch wieder leidlich erholt und den Kurort nach einem sehr unfreiwillig verlängerten Aufenthalt wieder verlassen, nicht in jener Rüstigkeit wie vor fast zwanzig Jahren, als er mit General von der Tann dort tapfer über Berg und Thal schritt, aber doch so erheblich gekräftigt, daß er in der heimathlichen Ruhe die baldige völlige Gesundung mit Zuversicht erwarten darf, in der heimathlichen Ruhe, die ihm sein getreuer Leibarzt Schweninger so sehr empfahl, daß der Fürst sie dem Anerbieten Kaiser Wilhelms II., den Winter über auf einem der kaiserlichen Schlösser Wohnung zu nehmen, vorzog.

Seit dem Jahre 1874 ist Fürst Bismarck ein ziemlich regelmäßiger Gast von Kissingen und seit jener Zeit nur in den Jahren 1875, 1882, 1884, 1888 und 1889 ausgeblieben. In den drei ersten Jahren mag sowohl das mangelnde Bedürfniß für eine Badekur als auch die große Vorliebe des Fürsten und der Fürstin für die ländliche Abgeschlossenheit von Varzin zu gunsten des pommerschen Landsitzes entschieden haben; 1888 und 1889 gestattete die Geschäftslage eine Badereise nicht, auch erfreute der Kanzler sich in dem Sommer des verhängnißvollen Drei-Kaiser-Jahres glücklicherweise einer guten Gesundheit.

Seine erste Kissinger Badereise war durch ein schweres rheumatisches Fußleiden verursacht, an welchem der Fürst in der Nacht vom 5. zum 6. März 1874 erkrankte und das ihn über sechs Wochen an das Krankenlager und an das Zimmer fesselte. Auf seinem Krankenbett empfing er damals nicht nur die wiederholten Besuche seines alten Kaisers, sondern er hatte dort auch noch die Verhandlungen mit den Fraktionsführern des Reichstages über das damals schwebende und arg gefährdete erste Militärgesetz zu führen. Es war am 9. April, als Kaiser Wilhelm nach einer langen Unterredung mit dem Fürsten, an dessen Krankenlager auf einem Lehnsessel sitzend, seine Genehmigung zu dem Kompromißvorschlage des „Septennats“ gab. Erst 14 Tage später konnte Fürst Bismarck einen Versuch zum Spazierengehen im Garten seines Hauses machen. Er verlief aber wenig befriedigend, und erst am 8. Mai folgte die erste Ausfahrt.

Um die Nachwirkungen der überstandenen Krankheit vollends zu beseitigen, traf Fürst Bismarck am Vormittage des 4. Juli 1874 mit seiner Gemahlin und seiner Tochter, der Gräfin Marie, zum ersten Male in Kissingen ein und nahm im Hause des Dr. Diruf senior daselbst Wohnung. Selbstverständlich übten der Fürst und die Seinen vom ersten Tage an die größte Anziehungskraft auf das Badepublikum aus, und zwar dergestalt, daß schon nach einigen Tagen das Kissinger Tageblatt die Bitte aussprach, man möchte doch den Fürsten auf der Kurpromenade mit Grüßen verschonen. Am 18. Juli erfolgte das Attentat des Böttchergesellen Kullmann, gerade in dem Augenblick, als der Fürst im Wagen das Haus zu einer Ausfahrt verließ. Zur Erinnerung daran ist das Haus jetzt mit einer Gedenktafel verziert und die Straße hat in diesem Jahre durch Beschluß der städtischen Behörden nach eingeholter Zustimmung des Fürsten den Namen „Bismarckstraße“ erhalten. Einer ihn zu seiner Rettung beglückwünschenden Abordnung der Badegäste erwiderte damals der Kanzler: „Die Sache ist zwar nicht kurgemäß, aber das Geschäft bringt es so mit sich.“

Von dem Tage des Attentats datiert aber auch die erste Kissinger Rede des Fürsten Bismarck. Sie war an das Publikum gerichtet, welches ihm am Abend eine Serenade und einen Fackelzug darbrachte. In dieser Rede sagte der Kanzler: „Das aber darf ich wohl sagen, daß der Schlag, der gegen mich gerichtet war, nicht meiner Person galt, sondern der Sache, der ich mein Leben gewidmet habe: der Einheit, Unabhängigkeit und Freiheit Deutschlands. Und wenn ich auch für die große Sache hätte sterben müssen, was wäre es weiter gewesen, als was Tausenden unserer Landsleute passiert ist, die vor drei Jahren ihr Blut und Leben auf dem Schlachtfelde ließen? Das große Werk aber, das ich mit meinen schwachen Kräften habe mit beginnen helfen, wird nicht durch solche Mittel zu Grunde gerichtet werden, wie das ist, wovor mich Gott gnädiglich bewahrt hat. Es wird vollendet werden durch die Kraft des geeinten deutschen Volkes. In dieser Hoffnung bitte ich, mit mir ein Hoch zu bringen auf das geeinigte deutsche Volk und auf seine verbündeten Fürsten!“

Kaiser Wilhelm befand sich damals auf der Reise nach Gastein. Er und König Ludwig von Bayern hatten die Nachricht aus Kissingen empfangen, während sie im Fürstensalon des Münchener Bahnhofs bei der Tafel saßen. Der Glückwunsch, welchen König Ludwig dem Fürsten sandte, schloß mit den Worten: „Mögen Sie Trost und Befriedigung finden im Rückblick auf eine ruhmvolle Vergangenheit, welche Ihnen Buben zu Feinden, Männer zu Freunden gemacht hat.“ Die Zahl der Glückwunschtelegramme und -schreiben belief sich auf nahezu zweitausend. Das Attentat ist später auch Anlaß zur Errichtung des Bismarckstandbildes bei der unteren Kissinger Saline geworden, welches jedem Besucher des weltberühmten Bades wohlbekannt und nächst der Saline selbst der Zielpunkt vieler Tausende von Spaziergängern ist. Dort steht das Denkmal nahe der Stätte, welche am 10. Juli 1866 der Schauplatz heißen Kampfes zwischen Bayern und Preußen war, und es ist eine versöhnende Fügung der Geschichte, daß gerade Kissingen, um welches das hartnäckigste Treffen des Mainfeldzuges tobte, in dem weiteren Werdegang des nunmehr geeinigten Deutschen Reiches und Volkes zu einer so hervorragenden Rolle gelangt ist.

Bei seinen späteren Besuchen Kissingens hat Fürst Bismarck auf der oberen Saline Quartier genommen, fernab von dem Gewühl des Badelebens, inmitten einer ländlichen Umgebung, wie sie ihm und seiner Gemahlin so sehr zusagt. Eine kleine halbe Stunde nördlich von Kissingen, auswärts am linken Ufer der Saale, befindet sich das große Salinenwerk Friedrichshall, aus dem Gradierwerk, dem Badehause und zwei etwa zehn Minuten auseinander liegenden umfangreichen Wohngebäuden bestehend. Der Besucher hat die Auswahl zwischen drei Wegen. Eine schöne schattige Allee zweigt vom Kurgarten ab zum Gradierwerk; in der Nähe derselben führt die Fahrstraße, die Landstraße nach Hausen, entlang; Liebhaber können auch den Wasserweg auf den kleinen Saaledampfern wählen. Wer einen Umweg nicht scheut, findet eine hübsche Straße am jenseitigen Saaleufer, am Clauswald entlang über das Altenburger Haus nach Hausen. Dieser Weg gewährt namentlich einen hübschen Blick auf die saftigen Wiesen, welche die munter dahinfließende Saale umsäumen. Das Altenburger Haus, hart am Walde der oberen Saline gegenüber gelegen, ist ein beliebter Ausflugspunkt für das Badepublikum, welches dort gern den Nachmittagskaffee einnimmt und dabei oft Gelegenheit hat, den alten Kanzler auf seinen Ausfahrten zu begrüßen. Aber das Altenburger Haus ist auch ein geschichtlich denkwürdiger Punkt, denn hier traten die vom Claushof gegen Kissingen vordringenden Bataillone des 15. preußischen Regiments aus dem deckenden Walde und eröffneten das Feuer gegen die bayerischen Truppen, welche die Salinen, Hausen und die hinter den Salinen ansteigenden Höhen besetzt hielten und bis zum Nachmittag in mehr als sechsstündigem Feuergefecht vertheidigten, bis ein umfassender Angriff des Generals v. Manteuffel von Hausen her sie zum Rückzug nöthigte. Den Salinen gegenüber findet der Wanderer rechts an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_720.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2023)