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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

ein kleines Ungeheuer von Stillosigkeit entstehen müssen, und ebenso konnte bei der Nachtarbeit und der allgemeinen Ueberstürzung kein sorgfältiges Mauerwerk zustande gebracht sein.

Trotzdem zeigte wenigstens Onkel Meinhard eine große Verliebtheit für sein mißrathenes Kind. Auch Arnolds Gesicht strahlte, wenn auch aus anderen Gründen.

Ein so bedeutender, unter so ungewöhnlichen Umständen vollendeter Bau verlangte einhelliger Ueberzeugung gemäß ein gehöriges Richtfest, und mit der entsprechenden Schnelligkeit wurde es auch begonnen.

Das Festpublikum in Person der Baulieferanten, sowie Magdas und der Erbtochter, befand sich bereits zur Stelle; nur der als „Ehrengast“ eingeladene Herr Pistor war noch nicht erschienen.

Magda nahm den Arm des Gatten. „Siehst Du, Schatz, wie recht ich gehabt habe! Das Haus steht – und nun werden wir auch über den für unsere Verhältnisse immerhin recht erheblichen Schuldenberg wegkommen. Davor ist mir gar nicht mehr bange!“

„Mir auch nicht, Kind, wenigstens in diesem Augenblick nicht. Aber – alle Wetter, da habe ich endlich die Idee gefunden!“ rief er, hier sich unterbrechend, zu Onkel Meinhard hinüber, der sich soeben ein Paar Gummimanschetten vorknöpfte, was bei ihm als Zeichen einer sehr feierlichen Stimmung angesehen werden mußte. Meinhard nickte. Er wußte, der freudige Ausruf bezog sich auf die Entdeckung eines passenden Namens für die „Villa“, um den die betheiligte Künstlerschaft sich lange gestritten hatte.

Jetzt sammelte sich das Festpublikum im Halbkreis und erwartete den Redner, dessen Rolle der Bauherr selbst übernommen hatte. Von den Untenstehenden freudig begrüßt, steckte Arnold den malerischen Kopf aus dem kleinen Giebelfenster und nahm, ein gefülltes Weinglas herausstreckend, das Wort. Zunächst stattete er tief gerührt allen Helfern, dem Onkel Meinhard obenan, seinen herzlichsten Dank ab. Mit wachsender Schelmerei gab er dann die Baugeschichte zum besten. „Aber nun,“ schloß er, „bleibt mir noch übrig, diesem stattlichen Bau einen würdigen Namen zu verleihen. So taufe ich Dich denn, liebes Haus, weil Du luftig bist wie ein italienischer Palazzo und vornehmlich, weil alles an Dir auf Borg genommen ist bis zum letzten Nagel – Villa Borghese!“

Das zerschellende Glas besiegelte diese launige Selbstverspottung, die jubelnden Beifall erweckte. Mit fürstlicher Würde stieg Arnold herunter und nahm die dargebrachten Glückwünsche entgegen, und dann lagerte man sich zu einem kleinen aus Bier und Butterbrot bestehenden Festschmaus auf dem freien Platze vor dem Eingang.

Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Der Himmel verhüllte plötzlich sein Haupt über den Fröhlichen, schwarze Wolken ballten sich zusammen, die einen prasselnd daherjagenden Regen ausschütteten. Die „Villa Borghese“ wurde gleich auf eine harte Probe gestellt.

„Auf, in den Salon!“ befahl Arnold, indem er mit Toni und seinem Bierkrug voran ins Haus flüchtete. Und in großer Heiterkeit wurde die Feier im „Salon“ fortgesetzt, nachdem man schnell ein paar Bänke aus Tonnen und Brettern zugerichtet hatte. Doch alsbald stellten sich auch zwei ungebetene Gäste ein. Darüber, daß der Wind mit hereinkam, wunderte man sich freilich nicht weiter; daß aber auch der Regen in ergiebigster Fülle seinem Beispiel folgte, das erregte doch einiges Kopfschütteln. Zum Kuckuck, er that so, als ob weder Dach noch Mauern vorhanden wären!

„Nur Muth! Das giebt sich schon wieder, wenn es erst draußen aufhört!“ tröstete Onkel Meinhard.

„Freilich, das macht nur die Neuheit!“ pflichtete Magda bei.

„Donnerwetter, eigentlich kann hier doch noch kein Mensch wohnen!“ rief Arnold unüberlegt.

„Nicht?“ antwortete. eine laute Stimme von der Thür her. „Nun, meine Herschaften, dann begreife ich wirklich nicht, warum Sie sich mit der Errichtung dieses windschiefen Vogelbauers so viel Mühe gegeben haben. Da kein für Menschen bewohnbares Haus auf diesem Grundstück errichtet wurde, hat Herr Arnold, wie ich hiermit feststelle, endgültig sein Besitzrecht verloren.“

Der Redende war natürlich Herr Pistor, der mit aufgeschlagenem Rockkragen, unter einem triefenden Regenschirm, in der Thür stand; hinter ihm ein anderer Herr, wahrscheinlich sein Sachverständiger.

„Das nennt man den Neid der Götter!“ seufzte Onkel Meinhard mit tragischer Gebärde. Und Arnold schaute Magda an und Magda Arnold; beiden sah dieselbe Trostlosigkeit aus dem Gesicht.

Die übrige Gesellschaft war indessen keineswegs gewillt, sich stören zu lassen. „Hinaus! Hinaus!“ tönte es aus allen Ecken dem „Ehrengast“ entgegen, und Herr Pistor, der seinen Protest angebracht hatte, des weiteren aber nur unliebsame Folgen für seine werthe Person voraussah, verschwand nebst seinem Begleiter schleunigst aus dem Bereich der geschmähten Blüthe moderner Baukunst.

Als er gegangen war, nahm Onkel Meinhard mit Stentorstimme das Wort. „Nur nicht den Kopf hängen lassen, meine Herren! Bis Mitternacht, wo der Termin abläuft, ist es noch Zeit genug. Ich fahre sofort zur Stadt. Erwarten Sie alle hier meine Rückkehr; ich sage Ihnen, Sie werden Ihr blaues Wunder erleben!“

Diese zuversichtliche Sprache Meinhards, der eilig durch den Regen davonrannte, stellte das arg erschütterte Vertrauen auf den Sieg der guten Sache wieder her. Arnold brachte die durch die außerordentlichen Eindrücke abgespannte Erbtochter samt ihrer Mutter im Pappelfelder Gasthof unter, und dann harrten die Mannen geduldig aus, die äußere Feuchtigkeit rastlos durch innere bekämpfend, was sich als sehr zweckmäßig erwies.

Der Regen hatte aufgehört, hoffnungsfreundliche Sterne schimmerten aus den Wolken hervor, als zwei Lastwagen angejagt kamen. Auf dem vorderen saß Onkel Meinhard und schwenkte seinen Hut.

„Meinhard! Mensch! Was bringen Sie denn da?“ tönte es ihm im Chor entgegen.

„Dachpappe, meine Herrschaften! Nichts als solide wasserdichte Dachpappe!“

„Ein dreifaches Hurra dem allzeit erfinderischen genialen Baumeister der Villa Borghese!“ schrie Arnold.

„Danke, mein Sohn!“ entgegnete Meinhard, „und hier sind noch Fackeln und Laternen, da ich nicht so leuchtend bin wie der Kollege am Himmel da droben, der heute abenb streikt.“

Eine äußerst spukhafte Scene entwickelte sich nun. Die Villa Borghese sah aus, als wäre sie aus Dantes Hölle und würde von oben bis unten, an Dach und Wänben, von wildhämmernden Teufeln mit Pappe benagelt.

Aber ehe noch die Geisterstunde schlug, endigte der Spuk. Ein Wunder war dem andern gefolgt; nur konnte man es nicht gerade als ein „blaues“ bezeichnen – es war schwarz geworden, höllenmäßig schwarz!


Seit jener Nacht ist noch manche andere, minder unheimliche vergangen und mancher Tag. Mancher glückliche Tag kann man sagen, glücklich wenigstes für die Familie Arnold.

Wenn man heute die bei Regenwetter für jeden Fußtritt tief empfängliche, bei Sonnenschein ihren Staubreichthum neidlos verschwendende Pappelfelder Pappelallee entlang geht, an den in allen glaubhaften und unglaubhaften Stilarten erbauten Landhäusern vorbei, so bekommt man schließlich einen heftigen Schreck.

Dieser Schreck wird verursacht durch ein düsteres Objekt, das einer nachtschwarzen, viereckigen, ziemlich hoch geratenen Pappschachtel auf ein Haar gleicht. Erst eine nähere Betrachtung ergiebt, daß man es mit einem Hause, ja mit einer „Villa“ zu thun hat, und mit Wohlgefallen bemerkt man blanke, wenn auch auffallend wenige Fenster, dahinter schimmernde Vorhänge und blühende Blumen. Rings um das Haus zieht sich ein junges Gärtchen, in dem zur Zeit bunte Astern und hohe gelbe Sonnenblumen in stiller Herbstschönheit prangen.

An der grüngestrichenen Gartenpforte leuchtet ein Porzellanschild, das von einer gewissen Besitzfreudigkeit zeugt, und wer sich sehr guter Augen rühmen kann, entdeckt unter dem schiefen Giebel eine kleine Inschrif – das einzige, was an den Außenwänden weiß ist, und das einzige, was nicht aus Pappe zu bestehen scheint. Sie lautet: „Villa Borghese“. Heute, eben jetzt, zieht ein wohlgekleideter lockenköpfiger Herr die Klingel, die neben dem erwähnten Porzellanschild hängt. Dieser Herr ist der Eigenthümer selbst, der Privatbaumeister Eduard Arnold. Kaum ist der schrille Klang ins Haus gedrungen und das Schloß der Pforte zurückgeschnappt, so kommt ein kleines dickes etwa

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_663.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)