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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Also Sie sind zufrieden? Freut mich ungemein! Mein Freund hat auch an mich geschrieben, wenn auch nur wenig . . . cr wünscht von mir einige vorbereitende Einzelheiten.“

„Ueber was denn?“

„Ist das eine Frage! Ueber Sie natürlich!“

„Geben Sie ihm keine, gar keine, ich bitte Sie! Er und alle sollen einen ganz unmittelbaren Eindruck bekommen – kein Vorurtheil, kein Einfluß! Denn wenn ich auch nicht denke, daß Sie mich sehr loben würden –“

„Wer weiß!“

„So sind Sie doch,“ fuhr sie unbeirrt fort, „Kavalier genug, um nichts Unvortheilhaftes über mich zu schreiben.“

„Hm, also Sie wollen ganz persönlich wirken wie Cäsar: ich kam, ich sah, ich siegte!“

„Pfui, nun sind Sie schon wieder mit Ihrem spöttischen Gesicht und Ihren sarkastischen Redensarten da!“

„Sie thun mir großes Unrecht! Wie würde ich mir erlauben –“

„Damit können Sie sich mir ganz verleiden!“

„Aber ich habe es nicht spöttisch gemeint, im Gegentheil!“

„Schweigen Sie nur still, ich glaub’ Ihnen kein Wort! Ich bin ganz böse!“

„Ganz und gar?“

„Ja!“ Der Professor seufzte so schwer, daß Annaliese gegen ihren Willen lachen mußte. „Für diesmal will ich Ihnen noch verzeihen, weil Sie den Königsberger Plan so schön gefördert haben!“

Gregory hoffte, daß zum Zeichen der Versöhnnug wieder das Händchen aus dem Muff schlüpfen werde, aber nein – es blieb, wo es war.

„Ich kann es nämlich kaum mehr abwarten,“ fuhr das junge Mädchen fort, „bis ich hier die ganze Stadt und alles, was damit zusammenhängt, im Rücken habe. Sie werden wieder von meiner fixen Idee sprechen, und vielleicht mit Recht, wenn ich Ihnen sage, daß ich es gar nicht mehr ertragen kann, einen Offizier zu sehen!“

„Glauben Sie denn, daß Sie in Königsberg keinen einzigen Offizier –“

„Mein Himmel, natürlich glaub’ ich das nicht, ich bin ja nicht ohne Menschenverstand! Aber die dort gehen mich nichts an, während hier alles, aber auch alles, was in zweierlei Tuch steckt und den Degen trägt, mich kennt und sich für verpflichtet hält, mir zu huldigen und zu schmeicheln!“

„Und Sie wollen wirklich schon zu Weihnachten fort? Das Fest fern von den Ihrigen –“

„Sie denken sich das wohl anders, als es ist!“ Annaliesens bewegliches Gesichtchen verlor den unmuthigen Ausdruck und wurde ernst, beinahe traurig. „Was ist denn das für ein Weihnachtsfest, das ich habe? Großmama ladet so und soviele Menschen ein, die mir gleichgültig sind – es ist nicht ein einziger darunter, den ich lieb habe, denn meine Freundinnen sind natürlich alle in ihrer Familie, Dann wird im großen Tanzsaal ein pomphafter riesengroßer Tannenbaum, der vom Boden bis zur Decke reicht, mit hundert Kerzen und glänzenden Ketten und Sternen geschmückt und kostbare Geschenke für alle werden hingelegt. Die Leute dürfen nicht hereinkommen, sie erhalten ein reiches Geldgeschenk, und damit sind sie abgefunden. Armen Menschen wird nicht beschert, Großmama zeichnet in ihrem und in meinem Namen einige hundert Mark für die verschiedenen Vereine, und damit ist auch das abgethan. Kein vergnügtes Kind tanzt bei uns um den Weihnachtsbaum, kein Choral wird gespielt, keine feierliche Stimmung herrscht. Jeder nimmt seine eleganten unnützen Dinge in Empfang und bedankt sich bei der theuern Excellenz und sagt ihr Komplimente; nebenbei steht die Chmnpagnerbowle bereit, und im Eßsaal ist ein feines Souper hergerichtet – das ist Weihnachten bei uns!“

„Sie möchten es anders haben?“

„Ganz anders! Ich weiß doch, wie manche von meinen Freundinnen das Fest feiern – Meta von Thielen zum Beispiel. Je älter ich werde, um so trauriger bin ich am Heiligen Abend.“

Gregory nickte ihr ermuthigend zu. „Im Hause meines Freundes sind Kinder, herrscht ein glückliches Familienleben, ich hoffe, dort wird es Ihnen behagen, dort wird Ihnen auch das Weihnachtsfest zur wirklichen Feier werden.“

„Nun, ich muß Ihrem Freunde und den Seinigen natürlich störend sein als fremdes Element, aber ich kann wirklich nicht helfen. Sehen Sie, unter Großmamas eingeladenen Gästen würde sich auch zweifellos ein gewisser Jemand befinden, der das Fest und den Lichterbaum zum Vorwand nehmen würde, um eine Aussprache herbeizuführen. Und wenn ich auch genau weiß, was ich antworten müßte, so bleibt es immer peinlich, und Sie wissen, ich möchte das bestimmt vermeiden, daher geh’ ich ja eben so weit fort – daher habe ich Sie ja auch vorhin so eifrig herangewinkt!“

Der Professor mußte das ebenso gut wissen, dennoch machte er ein enttäuschtes Gesicht. „Also das war der einzige Grund?“

„Der einzige, das hab’ ich nicht gesagt – ich wollte Sie noch so gerne wegen Königsberg ausfragen, ob Sie auch schon einen Brief bekommen hätten, was darin stünde, und so weiter!“

„Sie sind sehr aufrichtig, Fräulein Annaliese!“

„Gewiß bin ich das, aber wenn Sie mir etwas Angenehmes sagen wollen, dann, bitte, machen Sie auch das betreffende Gesicht dazu!“

„Ist Ihnen mein Gesicht so unangenehm?“

„Wer spricht nun wieder davon? Sie hätten Jurist werden sollen – Sie drehen einem ja die Worte im Mund herum, Sie empfindlicher Herr!“

„Ich empfindlich? Das hat mir noch niemand gesagt!“

„Dann bin ich der erste, der es mit vollem Recht thut! Aber genug Gezänk – das können wir dort oben in Ostpreußen bequemer haben! Sagen Sie mir lieber, was Ihr Freund Ihnen sonst noch schreibt!“

„Ich wiederhole: viel ist es nicht. In der freudigen Hoffnung des baldigen Wiedersehens begnügt sich der gute Gustav mit einer zierlichen Karte. Ja doch, eines noch: er schrieb mir, in Königsberg herrsche scharfer Frost und der Schnee liege fußhoch!“

„Prachtvoll!“ Annaliesens schillernde Augen leuchteten auf vor Freude. „Sagen Sie schnell, giebt es gute Eisbahn dort und kann man Schlitten fahren?“

„Die Eisbahn auf dem Schloßteich gilt für ausgezeichnet, und Schlitten kann man schon fahren – es ist nur recht theuer!“

„Das schadet ja nichts!“

„Wenn man als ganz unbemitteltes Mädchen dort auftreten will, das die Malerei als Broterwerb betrachten muß –“

„Ach so!“

„Ich fürchte, Sie werden noch sehr oft: ,Ach so!‘ sagen müssen, denn Sie werden bei jeder Gelegenheit vergessen, daß Sie dort eine kleine Komödie zu spielen haben. Ich erlaubte mir gleich, den ganzen Plan abenteuerlich und romanhaft zu nennen, aber davon mochten Sie nichts hören.“

„Mag ich noch nicht! Es ist doch so einfach: ich will die Probe machen, ob man mich, der Mensch den Menschen, gern haben kann, ohne den Firlefanz von Geld und Ahnen und einflußreichen Verwandten, und zu dem Zweck werfe ich besagten Firlefanz von mir und zeige mich, wie ich bin! Ist das nun ein Verbrechen?“

„Ein Verbrechen nicht, wohl aber ein schwer durchzuführendes Wagestück! Sie werden, fürchte ich, in hundert kleine Verlegenheiten kommen und der Aufgabe nicht gewachsen sein.“

„Doch, ich werde! Sie kennen mich wenig, daher trauen Sie mir nichts zu. Ich werde mich mit Glanz aus der Sache ziehen, Sie sollen sehen! Und außerdem – warum denn Verlegenheiten? Worin sollten die bestehen?“

„In vielen Dingen! Gleich Ihre Reise zum Beispiel! Wie gedenken Sie die in Scene zu setzen?“

„Nun, ganz einfach! Ich setze mich mit der Kanapé in einen Wagen erster Klasse und fahre nach Königsberg!“

„Hm! Eine arme Malerin, die mit ihrer Kammerfrau erster Klasse fährt!“

„Sie meinen, es gehe nicht, man würde sich wundern? Ja, aber allein läßt Großmama mich in keinem Fall reisen. – Wissen Sie, was – zwei Stationen vor Königsberg steige ich in einen Wagen zweiter Klasse, die Kanapé in einen anderen, ich nehme zuvor Abschied von ihr, und gut ist’s!“

„Dritter Klasse wäre noch besser!“

„Ach nein, das wäre doch zu hart . . . in jedem Sinn!“

„Und in einem Aufzug wie heute können Sie sich doch auch dort nicht sehen lassen!“

Annaliese blickte betroffen an sich herunter. „Aufzug? Wieso?“

„Glauben Sie, daß arme junge Mädchen, die sich selbst ihren Lebensunterhalt verdienen, in einem solchen Mantel, in einer solchen – wie nennt man dies Ding doch gleich?“

„Meinen Sie die Boa?“

„Ja, die meine ich – also in solch kostbarer Boa und in so eleganten Kleidern einhergehen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_616.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2022)