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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Selbstthätige Bahnsteigkarten-Verkäufer. Im November 1891 stellte man auf dem Bahnhof Friedrichstraße in Berlin einen nach dem System Simmes erbauten Automaten in Dienst, der gegen Einwurf eines Zehnpfennigstücks eine zur Betretung des Bahnsteiges berechtigende Karte auslieferte. Der Apparat, welcher einen ganz eigenartigen inneren Mechanismus hat, arbeitete mit großer Sicherheit, gab mit unbedingter Zuverlässigkeit die richtige Karte, genau der Nummer nach, heraus und nahm unter keinen Umständen unrichtige Münzstücke an, die er vielmehr einfach zurückgab. So fand er bei dem Publikum großen Beifall, weshalb er bald auch auf anderen Bahnhöfen in Berlin, in Köln, in Breslau etc. eingeführt wurde.

Was ein solcher Apparat, der im Ankauf 190 Mark kostet, alles leistet, das geht daraus hervor, daß an der Friedrichstraße auf diese Weise gegenwärtig etwa 1000, am Bahnhof Alexanderplatz gegen 900 Karten täglich automatisch verkauft werden. Im ganzen wurden von November 1891 bis Oktober 1892, also in der ersten Zeit, in welcher sich der Apparat bei dem Publikum einbürgern mußte, auf den Berliner Bahnhöfen etwa 408000 Karten auf diesem Wege verabfolgt.

Tag und Nacht muß solch ein stummer Beamter „im Dienst“ sein, denn fast auf jede Minute entfällt eine verkaufte Karte.

Süßes Nichtsthun. (Zu dem Bilde S. 609.) Die Denker des Morgen- und des Abendlandes haben den Frieden des Geistes gepriesen, der sich still in die eigenen Tiefen und die Tiefen des Alls versenkt. Es giebt aber auch ein gedankenloses paradiesisches Ausruhen, und das Bild von H. Coomans – der Name ist ein Pseudonym, hinter welchem sich zwei Malerinnen verbergen – zeigt uns eine solche träumerische Ruhe, der sich einige Schönen unter dem wolkenlosen Himmel des Südens hingeben. Still liegt die Landschaft bis zu den fernen Hügeln, kaum das Rauschen der Wellen dringt herauf, kein Lufthauch bewegt die Blätter und Zweige der Bäume. Das Räucherwerk, das auf kunstvoll gemeißelter Säule entzündet ist, verbreitet einen süßen Duft. Und all den Lebensgeistern der Natur, an Duft und Klang, erquicken sich die Frauen, die sich hier dem ungestörten Genuß schöner Tage hingeben. Die eine, auf dem Tigerfell bequem hingestreckt, hört nachdenklich den sanften Tönen zu, die ihre Gefährtin der Doppelflöte entlockt. Die Züge dieser beiden spiegeln die klare Welt eines ungetrübten Empfindens; es liegt in ihnen ein sanfter ruhiger Reiz. Mehr im Hintergrund aber sitzt eine dunkle Schöne, mit schwarzen Zöpfen und Feueraugen, in der Hand das Instrument, dessen Saiten sie vorher geschlagen. Ihre Züge sprechen von einem reicher bewegten Leben – vielleicht denkt sie einer fernen Heimath, oder in ihrem Herzen flammt die Gluth einer leidenschaftlichen Liebe.

Das Bild ist stimmungsvoll; es versetzt uns aus der Unruhe des Abendlandes in eine Welt, wo das dolce far niente, das süße Nichtsthun, Leib und Seele traumhaft umspinnt.  

Einzug zur Fahnenweihe. (Zu dem Bilde S. 600 u. 601) Auf den kühuen Höhenzügen des Herzogenstand und seines Nachbarn, des Heimgarten, der keck vorgestreckt das Loisachthal beherrscht, leuchtet helles Sonnengold; ein prachtvoller Morgen flammt und blitzt über der herrlichen Gebirgslandschaft. Im Thale wogt noch der Nebel, gejagt von den siegreichen Sonnenstrahlen, bis die einzelnen Nebelstreifen aufsteigen und in Duft zerstieben. Die Felswände mit dem dunklen Fichtenstand spiegeln sich im glitzernden lieblichen Kochelsee, der traumumfangen daliegt. Eine paradiesische Landschaft, gesegnet zumal in alter Zeit, als am Heimgarten noch eine goldhaltige Quelle sprudelte und im Berg bei Schlehdorf eine Goldader war, die den drei Schwestern Ainbet, Vilbet und Vorbet gehörig, in Kriegszeiten zugedeckt und später nicht mehr gefunden wurde. Das Kloster Schlehdorf ist von dem Ertrug gebaut; die aus gediegenem Gold gefertigte Monstranz rührt von dem Goldbächlein her.

Sonntag ist heute und ein herrlicher Sommermorgen dazu. Gestern haben fleißige Hände bis in den späten Abend hinein daran gearbeitet, dem lieblichen Dorfe Festschmuck anzulegen; vorne am Dorfeingang ist eine Triumphpforte errichtet, mit Tannengrün umwunden und mit der blau-weißen bayerischen Fahne und dem Landeswappen stolz geziert. Und aus den Dachfensterchen des Hauses ragen die Fahnen, vom frischen Morgenwind leicht bewegt. Jung und Alt hat Feiertagskleidung angelegt – die Burschen sind in der schmucken „kurzen Wichs“ und die Dirndln haben das beste Tüchl vor dle Brust gesteckt und tragen den Galahut auf den langen Flechten. Die seidenen Schürzen schillern im Sonnenlichte und die Goldquasten glitzern. Das Vereinszeichen am Hut, den mit der Schärpe geschmückten Vorstand an der Spitze, hinter sich die Musik – so erwartet der Veteranenverein die eingeladenen Nachbarvereine der Kampfgenossen. Schulmädchen in weißen Kleidchen harren an der Festpforte. Der Schlehdorfer Veteranenverein hat sich eine neue Fahne gestiftet, die in kunstvoller reicher Goldstickerei um hohen Preis aus der Hauptstadt gekommen ist. Zur Einweihung derselben ist der heutige Sonntag ausersehen, und sie haben Glück, die wackeren Schlehdorfer, der blaue Himmel ist ihnen und ihrer Fahne günstig. Nun erklingen lustige Marschtöne, kräftige Weisen, die das Blut rascher durch die Adern treiben und an die Zeiten von Weißenburg, Wörth und Sedan erinnern, als die tapferen Bayern Schulter an Schulter mit den anderen deutschen Brüdern gegen den französischen Feind kämpften. Unter dem grüßenden Senken ihrer Fahnen ziehen die Nachbarvereine ein. Die Schlehdorfer schließen sich ihnen an und der Zug begiebt sich in die Kirche, wo in Gegenwart der Fahnenmutter und der Fahnenjungfer der Pfarrer die neue Fahne weiht. Dann folgt der weltliche Theil der Feier, von Gewehrsalven und Böllerschüssen eingeleitet. Kernige Worte werden gesprochen; bei Becherklang und Tanz setzt sich die Lust fort, bis die Abendschatten niedersinken und zum Abschied mahnen. Die Reihen ordnen sich zum Abmarsch, nochmals werden der neuen Fahne die Honneurs erwiesen, und unter den Klängen alter bayerischer Soldatenmärsche wird abgerückt. Wenn die Töne der Abendglocke sanft im lauen Wind verklingen, dann wird’s wieder still im Dorfe. Arthur Achleitner. 

Das Chokoladenmädchen. (Zu unserer Kunstbeilage.) Eine der hervoragendsten Zierden der Dresdener Gemäldesammlung ist es, die unsere heutige Kunstbeilage wiedergibt. Die Feinheit, die graziöse Anordnung und Ausführung aller Einzelheiten zeichnen dieses Bild ebenso aus wie der schlichte Stoff, an dem sich eine so vollendete Kunst bewährt hat. Schlichte Naturtreue neben großem technischen Können machen überhaupt den Vorzug der Gemälde aus, die wir von Jean Etienne Liotard besitzen. Vor allem sind es die Porträts, die dem 1702 zu Genf geborenen Meister sehr bald einen Ruf verschafften und ihn sogar für mehrere Jahre nach Konstantinopel führten. In Wien, in Paris, in London übte er dann nacheinander seine Kunst aus, in türkischer Tracht, die er sich zu Konstantinopel angewöhnt hatte, um sich vor den Beleidigungen der mohammedanischen Einwohner sicherzustellen. Allgemein führte er daher den Namen des „türkischen Malers“. Sogar als er sich ums Jahr 1756 verheirathete, konnte er sich nicht entschließen, seiner orientalischen Kleidung zu entsagen; nur sein gewaltiger Bart fiel als erstes Opfer seiner Ehe. Liotard starb, 88 Jahre alt, im Jahre 1790.

Das von uns wiedergegebene Bild, das „Chokoladenmädchen“ genannt, weil die darauf dargestellte Schöne eine Tasse Chokolade zu kredenzen im Begriff ist, zählt zu den bekanntesten Werken Liotards. Unsere Leser werden es mit um so größerem Interesse kennenlernen, als Vacano im Eingang seiner Erzählung, die in dieser Nummer beginnt, das Geständniß macht, er habe die Züge des „schönen Limonadenmädchens“ eben diesem Gemälde entlehnt.


manicula Hierzu Kunstbeilage X: Das Chokoladenmädchen. Von J. E. Liotard.

Inhalt: „Um meinetwillen!“ Novelle von Marie Bernhard (3. Fortsetzung). S. 597. – Das Andreas Hofer-Denkmal auf dem Berg Isel bei Innsbruck. Bild. S. 597. – Einzug zur Fahnenweihe. Bild. S. 600 und 601. – Das Observatorium auf dem Mont Blanc. Von Hermann Gauß. S. 603. Mit Abbildungen S. 603 und 604. – Das schöne Limonadenmadchen. Erzählung von E. M. Vacano. S. 605. Mit Abbildungen S. 605 und 607. – Süßes Nichtsthun. Bild. S. 609. – Aus der Geschichte des Pulvers. S. 610. – Blätter und Blüthen: Das Andreas Hofer-Denkmal auf dem Berg Isel bei Innsbruck. S. 611. (Zu dem Bilde S. 597.) – Selbstthätige Bahnsteigkarten-Verkäufer. S. 612. – Süßes Nichtsthun. S. 612. (Zu dem Bilde S. 609.) – Einzug zur Fahnenweihe. S. 612. (Zu dem Bilde S. 600 und 601.) – Das Chokoladenmädchen. S. 612. (Zu unserer Kunstbeilage.)


In dem unterzeichneten Verlage ist soeben erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:

W. Heimburg’s gesammelte Romane und Novellen.
Illustrierte Ausgabe. 0Zehnter Bahnd: „Unter der Linde“.
Mit diesem Bande liegt die illustrierte Ausgabe von Heimburg’s Schriften nunmehr vollständig vor.

Zur Aufnahme der 10 stattlichen Bände hat die Verlagshandlung eine feine englische Leinwand-Truhe herstellen lassen, und kostet die vollständige Sammlung:

10 Bände, elegant gebunden, in Kassette 40 Mark.
[ Verzeichnis des Inhalts der einzelnen Bände. ]

In den meisten Buchhandlungen vorräthig. Wo der Bezug auf Hindernisse stößt, wende man sich direkt an die

Verlagshandlung von Ernst Keils’s Nachfolger in Leipzig.



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_612.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2023)