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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Ist die Dame früher vielleicht Seiltänzerin gewesen?“

„Gewiß nicht.“

„Oder ist sie etwa ein Abkömmling von Oliver Cromwell oder sonst einer geschichtlichen Größe?“

„Nein, aber warten Sie – sie ist eine Ur-Urenkelin von Peter Paul Rubens, und ...“

Der Allwissende ließ einen schrillen Pfiff hören.

„Aha! Und? ...“

„Und dabei das schönste Wesen, das jemals aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen ist.“

„Nun, da haben Sie die schönste ‚Spekulation‘ für Herrn Mussault!“ – –

(Fortsetzung folgt.)

Aus der Geschichte des Pulvers.

Im Jahre 1853 wurde in der Stadt Freiburg i. Br. Berthold dem Schwarzen, dem angeblichen Erfinder des Pulvers, ein Denkmal errichtet. Wir wissen heute, daß dieses Verdienst des Franziskanermönches nur auf sagenhaften Ueberlieferungen beruht. Sicher waren Chinesen die ersten, welche Salpeter mit leichtverbrennlichen Stoffen mischten und diese Mischungen zu Feuerwerkskünsten verwendeten. Marco Polo, der berühmte Reisende des dreizehnten Jahrhunderts, berichtet von ihnen: „Sie lassen Ungewitter aufsteigen mit zuckenden Blitzen und Donnerschlägen und bringen viele andere wunderbare Dinge hervor.“ Von China drang die Kenntnis dieser Kunst in das byzantinische Reich und die Byzantiner waren wieder die ersten, welche die Feuerwerkskünste der Chinesen zu kriegerischen Zwecken benutzten. Jahrhundertelang wußten sie die Bereitung ihres „Griechischen Feuers“ als Staatsgeheimniß zu hüten. Das dieses Feuer in einigen seiner Zusammensetzungen dem Schießpulver durchaus gleich war, beweist ein Rezept, welches in dem „Buche der Feuer zur Verbrennung der Feinde“ von dem Byzantiner Marcus Graecus spätestens im 12. Jahrhundert veröffentlicht wurde. Demnach war für die Zubereitung einer Art des „Griechischen Feuers“ folgende Mischung vorgeschrieben: 11 Prozent Schwefel, 22 Prozent Kohle und 67 Prozent Salpeter, während das frühere preußische Kriegspulver folgende Zusammensetzung hatte: 10 Prozent Schwefel, 16 Prozent Kohle, 74 Prozent Salpeter.

Wenn aber auch das Pulver den Byzantinern bekannt war, so blieb ihnen doch dessen treibende Kraft jahrhundertelang verborgen; erst in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts lernte man jene Mischung als Schießpulver benutzen; die Kriegskunst wurde völlig umgewandelt, und Konstantinopel ging durch seine eigene Erfindung verloren: unter den türkischen Kanonen fiel es im Jahre 1453.

Wohl wurde das Schießpulver im Laufe der Zeit verbessert, aber in seiner wesentlichen Zusammensetzung blieb es sich gleich. Das alte Pulver beherrschte die Welt länger als ein halbes Jahrtausend. Es hat in dieser Zeit unendlich viel zerstört und unendlich viel vertheidigt; es hat den Entdeckern in fernen Welttheilen die Wege geebnet, es hat Berge gesprengt, um dem Verkehr freie Bahn zu schaffen und der Erde ihre Schätze zu entreißen – aber es hat sich überlebt. Wir sind heute Zeugen einer großen Umwälzung, in welcher das alte Pulver von dem Kriegsschauplatze abtreten muß, um einem neuen die Herrschaft zu überlassen.

Das alte und das neue Pulver! Diese wenigen Worte bedeuten eine Wendung in der Geschichte der Menschheit, deren Tragweite wir nur zu ahnen vermögen; in ihnen ist ein ungeheuerer Fortschritt der angewandten Naturwissenschaft zusammengefaßt, und auf der 64. Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte zu Halle a. d. S. hat B. Lepsius in einem geistreichen Vortrage die Entwicklung und Bedeutung dieser Wendung klarzulegen gewußt.

Zwei Gründe waren es, die zur Abschaffung des alten Schwarzpulvers in der Kriegsrüstung der Völker führten. Ursprünglich waren die Handfeuerwaffen von sehr großem Kaliber; noch im vierzehnten Jahrhundert schoß man mit Flinten, deren Kugeln einen Durchmesser von 35 mm hatten. Bald überzeugte man sich jedoch, daß mit der Verkleinerung des Geschosses die Treffsicherheit der Handfeuerwaffe zunehme, und schließlich sind alle Heeresleitungen zu dem kleinkalibrigen Gewehr übergegangen. Die Verkleinerung des Geschosses brachte es aber mit sich, daß dieses leichter wurde, und wenn es dieselbe Wirkung wie die schwereren Kugeln haben sollte, mußte ihm beim Abschießen eine größere Anfangsgeschwindigkeit gegeben werden. Das vermochte aber das Schwarzpulver nicht zu bewirken, und so trachtete man, es durch ein stärker wirkendes zu ersetzen.

Gleichzeitig wurde an Stelle der gewöhnlichen Hinterlader das Magazingewehr eingeführt. Der Schütze wurde dadurch instand gesetzt in einer Minute mehr als 20 Schüsse abzugeben – aber in dieser seiner Leistungsfähigkeit wurde er durch den Rauch beschränkt, den er mit dem Schwarzpulver selbst erzeugte. So stellte sich die zweite Nothwendigkeit heraus, das alte Pulver durch ein zugleich möglichst rauchfreies zu ersetzen.

Als die Heeresleitungen mit ihren Wünschen hervortraten, hatte ihnen die Wissenschaft längst vorgearbeitet Der Chemie war es gelungen, neue Sprengstoffe zu entdecken, welche die Wirkung des Schwarzpulvers bei weitem übertrafen und ohne Rauch verbrannten. Es handelte sich jetzt nur darum, diese Stoffe, die bis dahin nur zu Sprengzwecken benutzt worden waren, den modernen Feuerwaffen anzupassen.

Das erste rauchlose Pulver, das in größerem Maße von sich reden machte, war der von der französischen Regierung für das neue Lebel-Gewehr im Jahre 1886 eingeführte Poudre B. Dieses Pulver erwies sich später als eine Mischung von Pikrinsäure mit etwas Schießbaumwolle und als ebenso unbrauchbar wie das gleichfalls von den Franzosen vielgerühmte Melinit. Wir müssen die Werkstätten der deutschen Forscher aufsuchen, um grundlegende Arbeiten für die Herstellung des neuen Pulvers kennenzulernen.

Um die Mitte der vierziger Jahre machte der berühmte Chemiker Schönbein in Basel Versuche, die sich auf die Einwirkung der Salpetersäure auf Pflanzenfasern bezogen. Ein junger Artillerieoffizier in Berlin, der kürzlich verstorbene Werner Siemens, erkannte sofort die Tragweite dieser Versuche, experimentierte weiter, und es gelang ihm, einen neuen Sprengstoff, die Schießbaumwolle, herzustellen. Er lenkte die Aufmerksamkeit des preußischen Kriegsministeriums auf seine Erfindung und bald darauf wurden in Spandau Fabrikationsversuche und im Herbst des Jahres 1846 auf dem Tegeler Schießplatze Schießversuche mit Gewehren und Kanonen angestellt. Die Schießbaumwolle bestand damals ihre Probe nicht; man ließ die Sache fallen. Die Versuche waren als Staatsgeheimniß behandelt worden, und so erfuhr die Welt von ihnen erst auf jenem Kongreß in Halle, als Siemens zu dem Vortrage von Lepsius das Wort ergriff.

Inzwischen gelang es auch Schönbein und später Böttger und Otto, Schießbaumwolle herzustellen und man knüpfte am das neue rauchlose Schießmittel weitgehende Hoffnung; schon vor vierzig Jahren schilderte man rauchlose Schlachtfelder!

Aber der Siegeszug wurde der Schießbaumwolle nicht so leicht gemacht. Sie explodierte zu leicht; als Fabriken und Niederlagen mit dem neuen Sprengstoffe in die Luft flogen, kühlte sich die Begeisterung ab und es bedurfte langjähriger Arbeit; bis die Schießbaumwolle derart vervollkommnet wurde, daß sie als Sprengmittel in der Industrie und als Füllmittel für Bomben und Torpedos benutzt werden konnte.

Soweit war sie „gezähmt“, als die Frage des stärkeren und rauchlosen Pulvers brennend wurde. Die Schießbaumwolle besaß beide Eigenschaften.

Warum erzeugt das Schwarzpulver Rauch? Das Schwarzpulver enthält im Salpeter das Metall Kalium, welches beim Verbrennen des Pulvers sich mit Kohle und Schwefel zu Salzen verbindet, die als feinste Theilchen zerstäuben und den Rauch bilden. Diese unverbrannten, nicht in gasförmigen Zustand verwandelten festen Theile bilden beinahe zwei Drittel der Pulvermasse. Die Schießbaumwolle zerfällt dagegen beim Verbrennen in Kohlensäure, Stickstoff und Wasserdampf. Kohlensäure und Stickstoff sind durchsichtig, der Wasserdampf kann sich in der kühleren Luft derart verdichten, daß er ähnlich wie der weiße Dampf der Lokomotive sichtbar wird, aber er verflüchtigt sich rasch und das Schießfeld ist nach dem Feuer fast augenblicklich frei. Das Schwarzpulver giebt also wirklichen Pulverrauch, das aus Schießbaumwolle bereitete Pulver nur Pulverdampf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_610.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2022)