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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Janssen im Jahre 1874 an den Küsten Chinas miterlebt hatte und der einen Theil von Hongkong zerstörte. Am selben Tage fanden in nur geringer Entfernung von der Karawane Janssens drei Touristen, der Graf von Villanova mit zwei Führern, welche den Aufstieg von der Ostseite her unternommen hatten, in den Abgründen des Mont Blanc ihr eisiges Grab.

Auf dem Gipfel des Mont Blanc (4810 Meter), den Janssen am Morgen des 22. August endlich erreichte, konnte er einige Beobachtungen machen und zunächst feststellen, daß die absolute körperliche Ruhe, in welcher er während des ganzen gewiß auch für ihn nicht ungefährlichen Aufstiegs verharrt hatte, ihm die Arbeit außerordentlich erleichterte. Aber die kurze Frist, die ihm für den Aufenthalt dort oben vergönnt war, und die Gewißheit, daß bei längerem Verweilen auf dieser Höhe Fragen von der höchsten Wichtigkeit ihrer Lösung näher gebracht werden könnten, reiften in ihm vollends die Ueberzeugung, daß hier ein dauerhaftes Gebäude errichtet werden sollte, in welchem Forscher und Instrumente Unterkommen finden könnten.

Der Kostenpunkt machte keine Schwierigkeit. Nach Paris zurückgekehrt, fand er sofort bei verschiedenen reichen Gönnern der Wissenschaft offenes Gehör, so bei Prinz Roland Bonaparte, bei Bischoffsheim, dem Gründer der Sternwarte von Nizza, bei dem Ingenieur Eiffel und bei Baron Rothschild.

Im Jahre 1891 suchte man nun zunächst unter der Schneedecke des Berggipfels den harten Felsen, auf welchem die Grundlagen des Gebäudes ruhen sollten. Man grub 15 Meter unterhalb des Gipfels zwei Tunnel aus, die wagrecht gegen Südosten fortgeführt wurden, aber man fand keinen Felsen, sondern nur körnigen Schnee. Noch tiefer in die Eisdecke einzudringen, schien unnöthig; denn wenn man auch schließlich den Felsgrund gefunden hätte, so wäre derselbe doch zu tief gelegen gewesen, um ohne ganz außerordentliche Kosten das Gebäude von ihm aus durch den Schnee und das Eis hindurch bis an die Oberfläche und über dieselbe hinaus zu führen. Janssen dachte deshalb daran, dasselbe einfach auf der Schneekruste selber zu erbauen, zumal da die verschiedenen Beschreibungen des Gipfels, welche bis zur ersten Besteigung zurückreichen, erkennen ließen, daß dessen Schnee- und Eisdecke nur ganz unbedeutenden Verschiebungen unterliegt.

Das für den Mont Blanc bestimmte Observatorium.

Um jedoch noch sicherer zu gehen und festzustellen, ob der schneeige Untergrund unter dem Gewicht des zu errichtenden Gebäudes nicht weichen werde, machte Janssen während des Winters in Meudon folgenden Versuch: er schichtete Schnee so auf, daß derselbe die Dichtigkeit des auf dem Mont Blanc befindlichen bekam, und da ergab sich nun, daß der Schnee dem Druck einen ganz ungewöhnlichen Widerstand leistet. Eine Bleisäule mit 35 Centimeter Durchmesser und 880 Kilogramm Gewicht, aufrecht auf den Schnee gestellt, hinterließ auf dessen Oberfläche eine nur 7 bis 8 Millimeter tiefe Spur. Der Schnee erträgt also auf jeden Quadratmeter eine Belastung von 3740 Kilogramm, fast ohne darunter zu weichen.

Die Frage der Festigkeit des Untergrundes war damit gelöst, und es blieb nur noch übrig, die gehörige Widerstandsfähigkeit des Gebäudes gegenüber den Windstößen zu erreichen. Diese sollte dadurch angestrebt werden, daß man den Wänden eine leichte Neigung nach einwärts gab, so daß das Gebäude die Form einer stumpfen Pyramide bekam, und indem man außerdem die Basis, den Unterstock des Hauses, tief in den Schnee eingrub, so daß es schwerlich, selbst nicht von starkem Winde, aus seiner Grundlage herausgerissen werden konnte.

Nachdem so die Vorbedingungen für den Bau genügend geklärt waren, ward im Jahre 1891 ein kleines Modell konstruiert und auf die Spitze des Mont Blanc gebracht, wo es sich voriges Jahr in gutem Zustand und gewissermaßen unverrückt noch vorfand. Unterdessen ward an dem richtigen Observatoriumsgebäude rüstig gearbeitet. Schon im vorigen Sommer war es fertig und wurde sofort nach den Grands Mulets gebracht. Von dort wird es nun vollends auf die Höhe befördert, um endgültig in dem ewigen Schnee aufgeschlagen zu werden. Unser Bild stellt das Gebäude so dar, wie es, noch ohne Verkleidung der Wände, in Meudon aufgeschlagen war, ehe es nach Chamonix gebracht wurde.

In einem Berichte an die Pariser Akademie der Wissenschaften giebt Professor Janssen davon folgende Beschreibung: „Das Gebäude besteht aus zwei Stockwerken mit einer Terrasse und einem Balkone. Es hat die Form einer stumpfen Pyramide, deren Grundfläche, die in den harten Schnee eingelassen werden soll, 10 Meter in die Länge und 5 Meter in die Breite mißt. Die Zimmer des Erdgeschosses werden durch niedere, aber breite Fenster erhellt, welche über den Schnee zu liegen kommen. Der Oberstock wird für Beobachtungszwecke dienen. Die Mitte des Gebäudes nimmt eine Wendeltreppe ein, welche über die Terrasse hinausgeht und auf eine kleine zu meteorologischen Beobachtungen bestimmte Plattform führt. Das Gebäude hat doppelte Wandungen zum Schutze vor der Kälte; ebenso besitzt es besondere Vorsatzfenster, die hermetisch schließen. In dem Erdgeschoß mit gleichfalls doppelten Wänden befinden sich Fallthüren, welche es ermögliche, in die darunter liegende Schneemasse hinabzudringen und, falls eine Verschiebung der Grundpfeiler sich ergeben sollte, die nöthigen Verbesserungen auszuführen. Das Observatorium wird mit Heizapparaten und dem nöthigen Mobiliar ausgestattet werden, um es bewohnbar zu machen. Es wird einen internationalen Charakter haben und allen offenstehen, welche daraus für ihre Beobachtungen Nutzen ziehen wollen.“

Diese letztere Versicherung ist dieser wahrhaft glänzenden Unternehmung würdig. Es ist ein schöner Gedanke, daß es hoch über den verschiedenen Staaten Europas und allem, was sie trennt, ein Hüttchen geben soll, wo ihre Söhne als reine Vertreter des ganzen Menschengeschlechts im Suchen nach der Wahrheit sich brüderlich die Hand reichen können, und daß dieses Hüttchen auf dem unbefleckten Gipfel erstehen soll, welcher mit der uns alle gleichermaßen bescheinenden Sonne den ersten Morgen- und den letzten Abendgruß tauscht!


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_604.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)