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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

bis zum duftigen Schiras beim Nachtisch waren ihm alle Weinmarken unbekannt; es gab Gerichte, deren Namen er nie gehört hatte, Eßwerkzeuge, womit er nicht umzugehen wußte. Wie Leisewitz vorhergesehen hatte, wurde der wackere Pommer dadurch nicht in Verlegenheit gesetzt, sondern höchlich unterhalten. „Wenn Du täglich solche Tafel hieltest,“ sprach er, „würde ich Dir meine Emma nicht geben, denn dazu reicht Dein und mein Geld nicht aus.“

„Bewahre, 1ch esse jahrein jahraus an der Wirthstafel im ‚Berliner Hof‘. Nur bei außerordentlichen Gelegenheiten geht es aus der heutigen Tonart. Sonst wär’ es bald vorbei mit meiner Stimme. Ach, Ihr habt von den Opfern, von der Arbeit, die mich mein Ruhm kostet, keine Ahnung! Jeder verlorene Tag rächt sich. Eiserner Fleiß, weise Vorsicht, üben, lernen, die großen Meister studieren, den kleinen unter die Arme greifen –“

„Ja, ja - dem Robert Lenz und so weiter.“

Emma, von dem hämischen Ton dieser Worte Aschaus betroffen, wandte sich an ihren Verlobten: „Du hältst doch unseren Freund für ein großes Talent?“

Der Sänger wiegte den Kopf „Mit hundert anderen verglichen, ja; mit Richard Wagner verglichen, nein.“

„Mein liebes Fräulein,“ sagte Aschau mit der Miene eines unfehlbaren Kunstrichters, „da ich der Studiengenosse des Herrn Lenz gewesen bin, kann ich die Tragweite seiner Kraft besser als Leisewitz beurtheilen. Es geht ihm zu schwer von der Hand. Seine Arbeiten riechen nach der Lampe.“

„Hat er denn schon als Student komponiert?“

„Halt!“ rief der Sänger. „Weil wir soeben von Richard Wagner sprachen, will ich Euch den Brief zeigen, den mir Verdi geschrieben hat.“

„So kann es einem ergehen,“ sagte der Intendant, als Leisewitz das Zimmer verlassen hatte, „ich muß froh sein, wenn mir Verdi auf meine Briefe antwortet; an Leisewitz schreibt er aus freien Stücken. Ihr Bräutigam ist ein weltberühmter Mann, liebes Fräulein, halten Sie ihn fest! Sie haben Neiderinnen in den höchsten Kreisen.“

„Ich fürchte nichts, Excellenz – Siegfried und ich lieben einander, das ist die beste Bürgschaft.“

Ihre Zuversicht giebt mir Muth. Erinnern Sie sich der russischen Fürstin im ‚Deutschen Kaiser‘ zu Wörde? Sie hält sich gegenwärtig hier auf. Nun erwartet sie heute zum Fünfuhr-Thee hohe Persönlichkeiten aus Petersburg, und da beauftragte sie mich – ach, Sie werden mir zürnen! – kurz, wenn Sie Leisewitz erlaubten, sagen wir, um Sechs erlaubten, in die erlauchte Gesellschaft zu gehen und ein Liedchen oder zwei zu singen, würden Sie die Fürstin und mich zu ewiger Dankbarkeit verpflichten. Natürlich wird morgen die Juwelensammlung unseres Freundes um ein schönes Stück reicher werden.“

„Das hängt ja einzig von meinem Bräutigam ab,“ erwiderte Emma kleinlaut, „Wenn er uns verlassen will –“

„Verlassen! Das Wort ist zu hart, Der Wagen der Fürstin holt ihn um sechs Uhr ab und bringt ihn nach einem Stündchen zurück.“

„Gestern schon war es ebenso – doch wenn Siegfried wünscht –“

„Wie wird er nicht!“ sagte Hagemann. „Für ein Liedchen eine diamantene Busennadel! Warum bin ich nicht Sänger geworden!“

„Nun ja, wenn Du glaubst, daß Siegfried selbst damit einverstanden ist –“

„Bewilligt, bewilligt!“ rief Aschau dem Zurückkehrenden zu. „Ihre liebenswürdige Braut giebt Ihnen Urlaub.“

Leisewitz zuckte die Schulter. „Ein Schwager der Fürstin, Marchese Ruspolli in Rom, war mir allerdings dort sehr gefällig, dennoch – wenn ich gehe, gehe ich nur Excellenz zulieb.“ Er nahm Platz. „Dieser Marchese Ruspolli – kennen ihn Excellenz?“

„Ich? Nein! Aber vergessen Sie nicht den Brief!“

„Richtig, der Brief – da ist er!“

Das schmeichelhafte Schreiben des großen Tondichters machte unter diesen Umständen nur geringen Eindruck auf Emma; sie ließ den Kopf hängen. Endlich faßte sie sich. „Wir besuchen morgen vormittag die Gemäldesammlung, Siegfried,“ begann sie.

„Schade, daß ich da Probe habe. Uebrigens würde Euch meine Begleitung wenig nützen. Die alten Bilder lassen mich kalt. Es ist soviel Wahn dabei! Wir versinken vor einem Raphael in halbstündige Andacht, und ein Jahr darauf erweist sich der angebliche Raphael als grobe Fälschung! Aber nun muß ich Euch doch vom Marchese Ruspolli erzählen! Ich war ihm, ich weiß nicht mehr von wem, empfohlen worden. Er ist ungeheuer reich und nebenbei berühmter Kunstkenner. Mit ihm besuchte ich die verschiedenen Kirchen und Paläste und – und – kurz, ich sah alles. Es war keine leichte Arbeit. Doch schließlich wurde ich von seiner Begeisterung angesteckt. Die Größe Roms ging mir auf. Eines Tages fuhren wir in zahlreicher Gesellschaft nach Tivoli. Nachdem wir des Wassers genug gesehen hatten, tafelten wir im Freiem im Schatten eines heidnischen Tempelchens, und als der Abend nahte, gab ich den Bitten nach und sang, Weltliches und Kirchliches von alten und neuen Meistern bunt durcheinander: zuletzt vor einem großen Publikum, denn alle Umwohner waren herzugeströmt – meist Bauernvolk, aber von einer Andacht, einem Verständniß – nach jedem Stück lohnte mir ein Entzücken, ein Jubel – dem alten Tempelgötzen ist schwerlich jemals so gehuldigt worden! Und dann die Abfahrt – das Volk um meinen blumenbekränzten Wagen – ah! ah! Ich hielt jenen Abend für den höchsten Triumph meines Lebens, bis ich in Wörde –“ Leisewitz sprang auf und schwang sein Glas. „Gebenedeit sei das Lied, mit dem ich mir meine Braut gewann!“ Und er begann:

„O wie sehn’ ich mich nach Süden,
Nach der Sonne Gnadenfülle – –“

Er sang das Lied zu Ende, und wer konnte ihm böse bleiben, wenn er sang! -

Leisewitz stellte die Versöhnte auf eine harte Probe. Um sechs Uhr waren Vater und Tochter in die Gastwohnung zurückgekehrt, aber aus dem von Aschau verheißenen Wartestündchen wurden Stunden. Schwarzer Kaffee und düstere Nachrichten hatten Hagemann ernüchtert. Auf dem kurzen Heimweg waren sie vom Geschrei, mit dem die Abendblätter ausgeboten wurden, erschreckt worden: „Krieg in Sicht – Marschbereitschaft – letzter Vorschlag“ und ähnliche Schlagworte hatten das Paar umschwirrt. Daheim las Emma die neuesten Berichte über die Händel und Verhandlungen der Mächte vor; sie las noch, als tiefe Glockentöne zu summen begannen. Sie zwangen Emma zu schweigen und verschlangen sogar das Straßengetöse; so groß und volkreich die Stadt war, wenigstens sekundenlang verstummte sie vor dieser ehernen Stimme. Es war nur eine Glocke, doch mit schönem mächtigen Ton. „Nun,“ sagte Hagemann zu seiner Tochter, die durch das Geläute geängstigt wurde, „da ist nichts zu erschrecken. Wir sind eben in einer katholischen Stadt.“ Allein in demselben Augenblick trat die Hauswirthin aufgeregt herein. Ob sie die Stadtglocke gehört hätten, die alte gewaltige Glocke im Rathhausthurm, die nur bei ungewöhnlichen Ereignissen und zu außerordentlichen Rathssitzungen geläutet werde – dos sei gewiß der Krieg!

Fritz Hagemann erschrak. „Wir reisen morgen nach Hause,“ sagte er, sobald sie wieder allein waren.

Emma entfärbte sich. „Aber Vater!“

„In solcher Zeit muß jeder Bürger auf seinem Posten sein.“ Er war in Gedanken schon bei Segeberg.

Das Vorgefühl der jähen Trennung machte Emma beredt, sie suchte dem Vater mit aller Spitzfindigkeit zu beweisen, daß alles übertrieben sei – das freche Geschrei der Zeitungsverkäufer habe die Gefahr vergrößert, die Gemüther verwirrt. Sie redeten hin und her, und dabei dachte Emma unablässig: kommt er noch nicht? O, wenn er doch käme!

Endlich trat der Ersehnte ein, mit strahlenden Augen, fröhlich, als ob die Welt kein Kriegslager, sondern ein Festsaal wäre. Vater und Tochter sprachen aufgeregt zugleich auf ihn ein, er dagegen rief mit Gelächter dazwischen: „Marschbereitschaft, Kriegserklärung – ha, ha, ha! Unsinn! Der russische Gesandte hat mich aufs bestimmteste versichert, daß seit vierundzwanzig Stunden ein anderer Wind weht. Er erwartet mit Sicherheit die friedliche Lösung aller Wirren. Ihr wollt abreisen? Ganz verfrüht! Sollte es aber trotzdem zum Kriege kommen, so würde ich mit Euch gehen. Emma und ich lassen uns dann in Wörde trauen und retten uns vor dem Kriege nach Amerika. Der Vertrag über meine Kunstreise durch die Vereinigten Staaten liegt in meinem Pult. Ich brauche ihn nur zu unterzeichnen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_530.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2023)