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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

die Rede auf das Fräulein von Leyen. Und da mußte sie denn an der Obersthofmeisterin, die sie als einen getreuen Spiegel der Stimmung des übrigen Hofadels kannte, gewahren, wie wenig das Vorgehen gegen Polyxene nach dem Geschmack eben dieses Adels war. Dabei war offenbar in den Hofkreisen nur die Rede von einer Untersuchung in Glaubenssachen. Nun begann die kleine Pfalzgräfin, auch hier innerlich getrieben durch eine gewisse Auflehnung gegen die Méninville, und machte ihrer alten Getreuen Andeutungen von dem furchtbaren Verdachte gegen das unglückliche Fräulein von Leyen, den man ihr eingeflößt hatte.

Es dauerte lange, bis die Obersthofmeisterin sie verstand. Ja sie that dies überhaupt nicht, bis die Fürstim jetzt widerwillig genug, ihr mit dürren Worten sagen mußte, es scheine glaublich, daß die Polyxene ihren kleinen Vetter hinterrücks in den Mühlgraben gestoßen habe, um ihn zu beerben. Da aber war das Entsetzen der Obersthofmeisterin so ungeheuer und zugleich ihre Entrüstung, obwohl immer in den Schranken der Etikette, so groß, daß die Pfalzgräfin von ihrer Kallenfels dergleichen nie für möglich gehalten hätte.

Und gerade in diesem Augenblick ließ sich Herr von Nievern in außerdienstlichen Angelegenheiten melden. „Sagt nur von dieser Affaire nichts,“ mahnte die Fürstin gerade noch, ehe man den Kavalier eintreten ließ. „Er wird sonst gar kollerig –“ Sie selber war aber unruhig und fast unsicher, und der Obersthofmeisterin konnte man trotz ihrer Selbstbeherrschung eine unerhörte Verfassung anmerken. Und wie mußte es nun beiden zu Muthe werden, als sich sofort enthüllte, gerade in dieser Angelegenheit des Fräuleins von Leyen habe der Oberjägermeister eine Audienz nachgesucht!

„Wir redeten eben davon,“ fuhr Frau Sabine Eleonore unmuthig heraus: „Da seht die Kallenfels an . . . der stockt noch immer das Wort im Munde über das, was sie eben von mir über die Polyxene vernommen hat.“

Nievern wandte den scharfen kühnen Blick auf das meist so ausdruckslose Vogelgesicht der Obersthofmeisterin mit der gerötheten Nasenspitze, und er sah, daß es unter dem leicht kupferigen Anflug erblaßt war in nie dagewesener Erregung. „Die hoch zu verehrende Dame scheint damit auch eine Neuigkeit erfahren zu haben wie ich jüngst,“ sagte er schneidend. „Ist es so?“

„Gestatten Pfalzgräfliche Gnaden, daß ich mich zurückziehe,“ begann darauf die Obersthofmeisterin mit zitternden Lippen. „Mir ist ganz übel geworden. Das ist, ich erkühne mich, es zu behaupten, ein himmelschreiendes Unrecht, das man begeht. Nicht viel schlimmer dünkte es mich, Gott verzeih’ mir’s, wenn einer aufstehen wollte und vorgeben, ich hätte Euerer Hoheit nach dem Leben getrachtet.“

„Hei des verkehrten Zeugs, das Ihr schwatzt, liebe Kallenfels!“ rief die Fürstin, nicht erbaut von dem Vergleiche, der die fürchterlichste Ausschweifung bedeutete, zu welcher es die sonst stets hoffähige Phantasie der Würdenträgerin zu bringen vermochte.

„Im Grunde muß ich der Frau Obersthofmeisterin recht geben,“ wagte dennoch Herr von Nievern zu sagen. „Und fragen möchte ich Pfalzgräfliche Gnaden aufs ernstlichste, wie Sie eigentlich über die Entstehung eines Gerüchtes denken, welches, wie Hoheit sich überzeugen müssen, dem Adel wie der Stadt so fremd wie fürchterlich erscheint! Wer hat es zuerst ausgesprengt? Als wessen Verdacht giebt sich die niederträchtige Anschuldigung aus?“

Die Pfalzgräfin, so in die Enge getrieben, wurde ärgerlich. „Wollte Gott, ich hätte das letzte davon gehört,“ rief sie. „Uebrigens – was ist denn der Leyen bisher groß geschehen? Sie sitzt bei den Ursulinerinnen, ja, aber es giebt arme adlige Fräulein genug, die sich gar nichts Besseres wünschen, und ich glaube nicht, daß es ihr die Nonnen an irgend etwas werden gebrechen lassen!“

„Wollen Pfalzgräfliche Gnaden ihren Freunden nicht gestatten, sich davon zu überzeugen?“ sagte Nievern rasch. „Und Euch dann Bericht zu geben? Als eine Waise hat das Fräulein an unserer allergnädigsten Frau bisher doch auch eine Art Mutter gehabt. Ist es der Geistlichkeit zuzulassen, daß sie sich anmaßt, die mütterliche Fürsorge Euerer Hoheit für dies Fräulein so ganz beiseite zu schieben?“

Sabine Eleonore stutzte leicht. Diese Auffassung war ihr nicht mißfällig. Und nun kam noch ein Gedanke – wie auch sie einmal ihrer lieben Méninville einen Streich spielen könnte! Den kleinen innerlichen Triumph darüber verbarg sie, so gut es gehen wollte, hinter der Würde, mit der sie jetzt sagte: „Keineswegs denken wir, Herr von Nievern, uns dieses Rechtes völlig zu begeben. Wir werden eine vertraute Person in das Kloster senden, die sich an Ort und Stelle davon überzeugt, wie das Fräulein dort logiert ist und wie man mit ihr verfährt. Unser Abgesandter hat sich, nach unserem ausdrücklichen Wunsch und Willen, deshalb nicht im Sprechzimmer abspeisen zu lassen, sondern er wird verlangen, daß man ihm das Gemach der Leyen erschließt, in dem sie sich bisher aufgehalten hat. Da sie weder Nonne noch im Noviziat befindlich ist, so ist dies zulässig, was man dort auch etwa einwenden möge. Ich vertraue, daß ich den rechten Mann getroffen habe, der den guten Nonnen, sollten sie sich etwa sperrig zeigen, gewachsen ist. Denn Ihr, mein Herr Oberjägermeister, sollt in dieser Sache mein Bevollmächtigter sein.“

Herr von Nievern verneigte sich tief, vielleicht um das Aufblitzen seiner Augen bei diesem unverhofften Auftrage zu verbergen. „Hoheit verfährt wie eine echte Landesmutter,“ sagte er dann leise, und sie gestattete, daß er ihr dankbar die Hand küßte.

Seine Wärme, die sie wohl merkte, that ihr so wohl, daß sie ein wenig roth wurde. Gegen Polyxene empfand sie in diesem Augenblick keine Eifersucht – jetzt, da das Mädchen im Unglück saß, erlosch mehr und mehr der Groll, den sie früher eine Zeitlang gegen dasselbe gehegt hatte. War derselbe damals doch auch künstlich in ihr genährt worden von jener Seite, die gerade jetzt bei ihr nicht in Gunst stand. „Seid Ihr nun besser mit mir zufrieden, Obersthofmeisterin?“ fragte sie dann. Die Kallenfels hatte aber ihre gewöhnliche Fassung noch nicht völlig wieder gewonnen. „Hoheit wollen gnädigst excusieren – mir ist immer noch, als hätte ich einen Schlag vor den Kopf erhalten,“ klagte sie. „Es müßte unser einem ja sehr erfreulich sein, daß Euer Gnaden sich dieser arg verleumdeten jungen Person von Stande annehmen. Wenn es aber nur nicht schon zu spät ist!“

„Wie meint Ihr das?“ fuhr die kleine Hoheit sie förmlich an, in begreiflicher Weise geärgert durch den derben Nasenstüber, den ihr ihre Getreue da eben verabfolgt hatte.

„Hoheit haben die Geistlichkeit sich hineinmengen lassen, und mit der Geistlichkeit ist nicht gut Kirschen essen,“ beharrte die Obersthofmeisterin. „Gott verzeihe mir – ich gedenke, stets eine gute katholische Christin zu sein und zu bleiben. Aber es haben sich Personen in das Vertrauen Euerer Gnaden eingeschlichen, die den Mangel an Stand und Namen durch ein geistliches Ansehen verdecken wollen, das sie sich geben. Ich rede nicht von Seiner Hochwürden, dem Pater Gollermann. Geistlich sein ist seines Amtes, ich habe nichts dawider. Ob er aber ohne eine Anstiftung sich so viel gegen das Fräulein vermessen hätte? Ich fürchte, ich behalte Recht, wenn ich von einer gewissen Person Trug und Arglist mich immer des Schlimmsten versehen habe.“

Die Anspielung war so deutlich, daß der Name der Frau von Méninville gar nicht mehr ausgesprochen zu werden brauchte.

Frau Sabine Eleonore, in dem Gefühl, daß sie ja ihre dergestalt angefeindete Vertraute jeden Augenblick völlig fallen lassen oder aber, ihrem Hofadel zum Tort, erst recht wieder zu Gnaden aufnehmen könne, war innerlich belustigt über den Eifer ihrer Würdenträgerin. Wieviel Aerger mußte diese die Zeit her schweigend geschluckt haben, wenn sie so aus ihrer steifen Zurückhaltung herausging! „Ich denke, Ihr könnt unbesorgt sein, liebe Kallenfels,“ sagte sie jetzt. „Zum Ueberfluß soll es der Herr Oberjägermeister von uns schriftlich haben, daß er von uns beauftragt worden ist, im Kloster nach dem Fräulein zu inquirieren und sich mit eigenen Augen von ihrem Wohlbefinden zu überzeugen. Und dann wollen wir doch sehen; ob die Nonnen etwas dawider haben!“

Diese schriftliche Vollmacht wurde wirklich ausgefertigt und Herr von Nievern nahm sie etwas ironisch entgegen, da eine solche Unterstützung des ihm gewordenen Auftrages seinem Selbstgefühl nicht eben schmeicheln konnte. –

Es war gleich am Morgen nach seiner Audienz bei der Pfalzgräfin, daß der Oberjägermeister den Weg wieder ritt, den er vor kurzem im Abendnebel gekommen war, um sich nunmehr öffentlich an die Pforte des Hauses der Ursulinerinnen zu begeben. Er wurde alsbald vor das Angesicht der Aebtissin selber geführt und glaubte, gewonnenes Spiel zu haben. Denn diese, in ihrem vormaligen weltlichen Stande einer Raugräfin von Degenfeld, empfing den Oberjägermeister als Standesgenossen; das Gefühl

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