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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Gokstad; der Hügel, in welchem er ruhte, hieß im Volksmunde der „Königshügel“, und es ging von ihm die Sage, daß darin ein König mit allen seinen Schätzen begraben liege. Als nun die Bewohner der Umgegend, von jener Sage gereizt, auf eigene Faust nachzugraben begannen, da legte sich die Antiquarische Gesellschaft zu Christiania ins Mittel und unternahm, um alles weitere abzuschneiden, selbst eine planmäßige Ausgrabung des Hügels. Da kam jenes alte Schiff zu Tage, vorzüglich erhalten, dank einer Schicht blauen Thons, welche es umgab. Ueber 20 Meter lang war sein Kiel, seine Breite betrug in der Mitte 5 Meter; es führte einen Mast und 32 Ruder. Man fand darin Menschenknochen, Schiffsgeräthe, kupferne und eiserne Gebrauchsgegenstände und Waffen, sowie vergoldete, silberne und bronzene Beschläge, die offenbar für Gürtel und Reitzeug bestimmt waren und theilweise schöne Gravierungen trugen. Eine ganz besonders merkwürdige Erscheinung bilden für unser Auge die runden Schilde an der Seite des Schiffes. Dort war der Platz, wo die Bemannung während der Fahrt ihre Schilde aufhing, und da diese, wie gerade auch aus den Gokstader Resten hervorgeht, in verschiedenen Farben, z. B. in unserem Falle gelb und schwarz, bemalt waren, so trugen sie nicht wenig zum Schmuck des Ganzen bei.

Das alte Wikingerschiff von Gokstad an seinem Fundorte.

In und bei dem Fahrzeuge lagen die Reste von drei kleineren Booten sowie Gerippe von Pferden und Hunden. Unsere obenstehende Abbildung zeigt uns den tausend Jahre alten Zeugen der nordischen Heldenzeit an seiner Fundstätte, von der er dann alsbald nach Christiania übergeführt wurde.

Nach diesem Muster nun wurde auf Betreiben Andersens mit Hilfe von Beiträgen aus ganz Norwegen das Wikingerschiff für Chicago gebaut und es befindet sich nunmehr bereits unterwegs nach seinem Bestimmungsort. Die Fahrt über den Ocean, welche das im Verhältniß zu den neuzeitlichen Meerdurchfurchern doch gar bescheidene Fahrzeug – unser Bild S. 396 giebt ungefähr eine Vorstellung von dem Unterschied der Maße – ganz allein und selbständig durchführen will, ist kein kleines Wagniß; aber die heutigen Norweger wollen offenbar an Kühnheit und Entschlossenheit hinter ihren Altvordern nicht zurückstehen. Von New-York soll es dann den Hudson hinauf gehen bis Albany, von da durch den Eriekanal in den Eriesee, und weiter durch die kanadischen Seen bis nach Chicago. Hoffen wir, daß es, bis diese Zeilen in die Hände unserer Leser gelangen, das Ziel seiner Reise glücklich erreicht habe!

Eines aber möchten wir nicht unterlassen hier anzufügen. Auch in Kiel befindet sich der wohlerhaltene Rumpf eines Wikingerschiffs, das am 18. August 1863 im Nydamer Moor in Schleswig gefunden wurde. Es stammt aus dem vierten Jahrhundert n. Chr., ist also um ein volles halbes Jahrtausend älter als das norwegische. Wenn es bisher nicht dieselbe Berühmtheit erlangte wie jenes, so mag dies von seinem etwas ungünstigen Aufbewahrungsort herrühren. Es diente offenbar ausschließlich als Ruderboot, und während es an Länge dem Gokstader Schiffe gleich kommt, ist es bedeutend schmäler (3,30 Meter). Von jenem Schiffe aber, das in Chicago die Aufmerksamkeit der halben Welt auf sich zu ziehen berufen ist, soll ein ganz genau gleichgestalteter Bruder angefertigt werden, der dann zum Trost und zur Entschädigung solcher, welche nicht nach Chicago dürfen, diesen Sommer unter anderem auch in der Reichshauptstadt Berlin sich sehen lassen wird. H. E.     




Das Rechte.

Novelle von Adelheid Weber.

Wir schritten durch das goldgrüne Maigras. Mein Mann machte mit den Freunden einen Abstecher nach Burg Lochstädt und hatte mich, die ich zur Zeit schlecht zu Fuß war, in der Obhut unseres alten lieben Sanitätsraths am Seestrande zurückgelassen. Mir war sehr wohl zu Muth. Meer und Himmel lachten in strahlendem sonnendurchleuchteten Lichtblau, die gelben Blüthenkätzchen der Birken nickten auf ihren schwanken Stielchen lustig ins köstliche Blau hinein; die Blätter der Gebüsche drängten und stießen die rosigen Knospenhüllen mit Gewalt entzwei und hingen dann in Büscheln, ganz von Jugendglanz umgossen, aus den purpurnen Hüllen nieder; die Vogel hatten noch solch köstlich ungeübte, ein wenig heisere schüchterne Tönchen, und plötzlich schwang sich hie und da aus ihrem Stammeln ein Schrei empor – jauchzend, scharf, ungestüm, als sei er die Stimme der machtvoll dem Werden entgegendrängenden Natur. Ich konnte nicht anders: der Jubelschrei der Natur wollte auch aus mir heraus, ich machte wie die Vögel die Augen zu und den Mund auf und sang den Sonnenschein an.

„Da lockst du gar ins frische Grün
Die allerschönsten Mädchen hin!“

sang ich und hatte recht damit, denn Wald und Strand hatte der Sonntag mit ganzen Völkerschaften von kleinen Nähmädchen und großen Damen beschickt; sie trugen alle rothe, grüne, blaue Kleidchen, als hätte der Frühling selbst sie ihnen angezogen, und sie waren alle schön, alle, mit ihren lachenden Lippen und ihren sehnsüchtig strahlenden Augen – und sie sahen alle aus, als dämmere ihnen das Bewußtsein, daß sie und wir und Laub und Vögel und Wasser alle Kinder seien derselben großen Mutter und daß in uns allen derselbe ungestüme Werdedrang lache und weine, hoffe und bange.

Aber mitten in meinem Singen unterbrach mich der Sanitätsrath, indem er meinen Arm bedeutungsvoll, wie abmahnend berührte. Verwundert sah ich den alten Freund an, denn er war trotz seiner Sechzig voll Verständniß für Lebenslust, ja er hielt sich geradezu zum jungen Volk, damit es ihm die eigene Jugend – nicht etwa zurückbrächte, sondern festhielte; denn er fühlte sich frisch und thatkräftig wie der Jüngste und war der glücklichen Ueberzeugung, daß ein Tropfen wahrer Freude kräftig genug sei, einen Becher voll Leid mit köstlichem Aroma zu durchduften, mit rosigem Schimmer zu überglänzen und ein Körnchen echter Güte gleich dem Sauerteige fähig, ein gehäuftes Theil zäher Selbstsucht zu durchdringen und nutzbar zu machen.

So folgte ich denn, von dem plötzlichen Ernst betroffen, welcher das joviale Lächeln von seinem frischen Gesichte vertrieben hatte, seinem Blick und sah in einiger Entfernung von uns zwei Damen stehen, mit dem Gesicht dem Meere zugewandt, deren Erscheinung sich in dem Frühlingszauber freilich gleich einem Tintenfleck in einer schönen Malerei ausnahm. Sie waren beide von Kopf bis zu Fuß in Schwarz gekleidet, und die eine, größere, schlankere der beiden trug eine breite schwarze Binde über dem linken Auge, welche auch einen Theil der mir zugewandten Wange bedeckte und das Gesicht so verbarg und entstellte, daß man beim ersten Blick eigentlich nichts gewahrte als die Binde. Als wir den Damen dann näher kamen, sah ich freilich, daß die mit der Binde, nach der sehr weichen und feinen Rundung von Wange und Kinn und dem blüthenweißen Teint zu schließen, noch jung sei und vielleicht ohne die Entstellung schön gewesen wäre, während die alte Dame ein unschönes verbittertes und vergrämtes Gesicht hatte. Einige Schritte von ihnen spielte ein weißgekleidetes kleines Mädchen im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_397.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2021)