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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Greis nun allerdings nach jenem Feste an zwei jüngere Lehrer ab. Doch unterrichtete er in wissenschaftlichen Fächern noch weiter, und erst mit Ostern 1839 legte er auch diese Thätigkeit nieder. Er hatte ausgeharrt bis zum Letzten; kaum zwei Monate später, am 21. Mai, ging er zur ewigen Ruhe ein.

Jahn, den man zu früh für seinen reichen Geist und seine Schaffenskraft lahmgelegt hatte, erlebte noch den Vorfrühling des deutschen Volksthums im Jahre 1848, aber was er erstrebt, ein wirklich einiges Volk, das für Kaiser und Reich einträte, das fand er nicht. Das Treiben der Parteien, deren äußerste in fanatischer Unzufriedenheit und Wildheit ihm sogar ans Leben wollte, ekelte ihn an. In körperlicher und geistiger Frische legte er nach kurzer Krankheit am 15. Oktober 1852 zu Freiburg a. d. U. den Wanderstab nieder. Auf seinem Grabe errichteten die dankbaren deutschen Turner 1859 ein Grabdenkmal, das eine Büste von Schillings Meisterhand ziert, und noch in diesem Jahre wird sich an derselben Stelle über dem Denkmal ein Ehrenbau wölben, dessen rückwärts liegender Theil eine Turnhalle bildet, während der ganze in den Besitz der Stadtgemeinde übergegangene alte Begräbnißplatz zum Turn- und Spielplatz werden soll. So wird über seinem Grabe fort und fort ein frisches fröhliches Turnerleben blühen, ein Anblick, so recht nach dem Herzen des toten Meisters!

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Freie Bahn!
Roman von E. Werner.
(19. Fortsetzung.)

In Odensberg herrschte eine schwüle gewitterschwere Stimmung. Es lag Sturm in der Luft und allen Anzeichen nach mußte das ausbrechende Wetter ein schweres werden.

Heute war der Tag, wo die Arbeiter, denen infolge der Vorgänge des Wahltages gekündigt worden war, die Arbeitsstätte verlassen mußten. Es waren Hunderte und ihre sämtlichen Genossen hatten erklärt, die Arbeit gleichfalls niederlegen zu wollen, wenn jene Entlassungen nicht zurückgenommen würden.

Wohl hatten sich die Gemäßigten und Besonnenen, und das war der größere Theil der Odensberger, nach Kräften gegen diesen Beschluß gewehrt, aber vergeblich. Die kleinere energischere Partei hatte der Mehrheit ihren Willen aufgezwungen und diese hatte sich gefügt. Der Siegesrausch war den Leuten in der That zu Kopf gestiegen. Seit sie ihrem Chef das so lang behauptete Mandat für den Reichstag entrissen und es einem der Ihrigen zugewendet hatten, glaubten sie, alles erreichen zu können, und Landsfeld hatte diese Stimmung zu benutzen gewußt.

Jetzt freilich, wo es ernst wurde, zeigte die Sache bereits ein anderes Gesicht. Dernburg hatte die Arbeiter, die ihm ihre Bedingungen überbrachten, gar nicht empfangen, sondern ihnen durch den Direktor ein schroffes Nein antworten lassen. Dann hatte er, ohne sich auf irgend eine Verhandlung einzulassen, ohne auch nur zu fragen, ob die Leute auf ihrem Sinne beharrten, die gemessensten Befehle gegeben, an dem betreffenden Tage sämtliche Werkstätten zu schließen und die Anstalten zum Auslöschen der Hochöfen zu treffen. Er hatte seinen Beamten gegenüber rückhaltlos ausgesprochen, daß er den Kampf eher bis zur eigenen Vernichtung durchführen, als auch nur einen Deut jener Forderungen bewilligen werde, deren bloße Zumuthung er schon als eine Schmach empfand. Man kannte diesen Ausspruch auf den Werken und er hatte überall Bestürzung hervorgerufen, denn man wußte, daß der Chef Wort halten werde. Er war trotz seiner Niederlage der Alte geblieben und machte bitteren Ernst, das sah man wohl. Der Rausch der Odensberger verflog, als sie statt des erträumten Sieges jetzt einen langen und schweren Kampf vor sich erblickten, der nur zu leicht mit ihrer Niederlage enden konnte.

Im Arbeitszimmer Dernburgs hatte soeben eine Sitzung stattgefunden. Außer dem Freiherrn von Wildenrod, der bei solchen Veranlassungen niemals fehlte, waren die drei obersten Beamten anwesend; sie hatten sich nach Kräften bemüht, den Chef zu einer milderen Auffassung des Geschehenen zu bestimmen – es war vergebens gewesen.

„Es bleibt dabei, die befohlenen Maßregeln werden mit aller Entschiedenheit durchgeführt!“ erklärte er. „Sie werden dafür sorgen, meine Herren, daß die Unterbeamten sich genau nach den gegebenen Anweisungen richten. Jeder besondere Vorfall wird mir sofort gemeldet. Wir gehen einer ernsten, vielleicht schweren Zeit entgegen und ich rechne darauf, daß ein jeder von Ihnen im vollsten Maße seine Pflicht thut.“

„Bei uns ist das wohl selbstverständlich, Herr Dernburg,“ entgegnete der Direktor, „und auch für unsere Untergebenen glaube ich mich verbürgen zu können. Vielleicht kommt es aber doch nicht zum äußersten. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die Stimmung auf den Werken eine sehr gedrückte ist. Viele bereuen schon jetzt den Entschluß, zu dem sie halb und halb gezwungen wurden. Wir wissen es ja genau, welche Hände da thätig gewesen sind; die Leute sind in unerhörter Weise gehetzt und aufgereizt worden.“

„Das weiß ich,“ sagte Dernburg kalt. „Aber sie haben sich doch hetzen lassen, von Fremden – gegen mich. Jetzt mögen sie ihren Willen haben.“

Die Antwort klang so schroff, daß der Direktor den Muth verlor, weitere Vorstellungen zu machen; er warf seinen Kollegen einen bedeutsamen Blick zu, und jetzt nahm der Oberingenieur das Wort. „Ich bin gleichfalls überzeugt, daß die Mehrheit schon jetzt anfängt, ihre Uebereilung einzusehen. Man wird die unsinnige Forderung, in die ja auch Fallners Bleiben eingeschlossen war, stillschweigend fallen lassen. Ein großer Theil wird ruhig weiter arbeiten, die anderen werden früher oder später folgen, und die ganze Bewegung verläuft schließlich im Sande, wenn Sie sich entschließen könnten, Herr Dernburg, auch nur das geringste Entgegenkommen zu zeigen.“

„Nein!“ sagte Dernburg mit eisiger Schärfe.

„Aber was soll denn mit den Leuten geschehen, die sich morgen wie gewöhnlich zur Arbeit stellen?“

„Sie haben die ausdrückliche Erklärung abzugeben, daß sie mit ihren Genossen nicht einverstanden sind und sich bedingungslos meinen Beschlüssen unterwerfen – dann steht ihnen die Wiederaufnahme der Arbeit frei.“

„Das wird nicht zu erreichen sein!“

„Gut, dann bleiben die Werkstätten geschlossen. Wir wollen sehen, wer es länger aushält – sie oder ich!“

„Ganz meine Meinung!“ fiel Wildenrod ein. „Das sind Sie sich und Ihrer Stellung schuldig. Sie scheinen anderer Ansicht zu sein, meine Herren, aber Sie werden sich bald überzeugen, daß dies der einzig richtige Weg ist, daß wir damit die gesamte Arbeiterschaft zur Unterwerfung zwingen und zwar in kürzester Zeit.“

Die Beamten schwiegen, sie waren es bereits gewohnt, daß der Freiherr sich in solcher Weise an die Seite ihres Chefs stellte und daß ihm dies Recht zugestanden wurde. Für besonders heilbringend hielten sie allerdings den Einfluß Wildenrods nicht, hatte er doch auch jetzt wieder alles mögliche gethan, um Dernburg in seiner Haltung zu bestärken. Aber man mußte allmählich in ihm den künftigen Schwiegersohn Dernburgs und den dereinstigen Herrn von Odensberg sehen; sie versuchten also keinen Widerspruch, der doch nutzlos gewesen wäre, und als Dernburg jetzt das Zeichen zur Entlassung gab, indem er sich erhob, verabschiedeten sie sich mit stummer Verbeugung.

„Ich glaube, die Herren haben Angst vor einer etwaigen Empörung,“ spottete Oskar, als die Thür sich geschlossen hatte. „Sie würden um des lieben Friedens willen alle nur möglichen Zugeständnisse machen. Es freut mich, daß Sie fest geblieben sind; hier wäre jede Nachgiebigkeit eine unverzeihliche Schwäche.“

Dernburg war ans Fenster getreten. Er schien in den wenigen Tagen um Jahre gealtert zu sein, aber wie bitter auch die Erfahrung gewesen sein mochte, niedergeworfen hatte sie ihn nicht – in seiner Haltung prägte sich noch der alte eiserne Wille aus. Die starre Härte seiner Züge hatte etwas Unheimliches, jede Regung von Milde war daraus geschwunden. Er blickte schweigend zu den Werken hinüber. Noch rauchten dort die Essen, glühten die Hochöfen, noch regte sich das mächtige rastlose Getriebe, noch arbeiteten Tausende von Händen. Morgen lag das alles tot und still da – auf wie lange?

Er hatte unwillkürlich den letzten Gedanken laut ausgesprochen, und Wildenrod, der zu ihm getreten war, verstand ihn. „Nun,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_336.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)