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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

mit grünen Matten überzogen, sich ausgezeichnet für die Viehzucht eignen. Mannigfaltiger in ihrer äußeren Erscheinung ist dagegen die westliche, steil gegen den Rhein abfallende Hälfte; runde Bergkuppen reihen sich hier dicht aneinander und schließen tiefe, oft schluchtartige Thäler ein. Dort im Osten wiegt der bunte Sandstein vor, der im Laufe von Jahrtausenden aus längst verschwundenen Meeren sich ablagerte, hier im Westen begegnen wir Gneisen; Graniten und Syeniten, welche durch vulkanische Kräfte aus dem Schoße der Erde emporgehoben worden sind. Dem romantischeren Theile des Odenwaldes wenden wir uns zu und ziehen auf der alten Bergstraße südwärts von Darmstadt, um einen der beliebtesten Aussichtspunkte, den 516 Meter hohen Felsberg, zu erreichen. Der Weg verlohnt sich, nicht allein der Rundschau wegen, die sich uns von der Bergspitze bietet, sondern mehr noch wegen der eigenartigen Felsgestalten, die seine Abhänge umsäumen; wir können dort sehen, wie Wind und Wetter am Marke der Bergriesen nagen.

An der Sägemaschine.

Steigen wir, vom Dorfe Reichenbach ausgehend, den Felsberg hinauf, so fällt uns die große Anzahl nackter Felsblöcke auf, die oft haushoch aus dem Waldboden hervorragen; die Berghänge bilden mitunter förmliche Trümmerfelder. Aber der Führer verspricht uns eine noch größere Ueberraschung, und während wir ihm folgen, erreichen wir den Rand einer flachen Thal-Mulde, die, ringsum von dichtem Buchenwald umschlossen, ein wildes Chaos von Felsen darstellt. (Siehe das Bild S. 332.) Da liegen die dunklen Blöcke in wirrem Durcheinander, dicht aneinander gedrängt, übereinander gestürzt, wie mächtige Eisschollen, die sich beim Eisgang gestaut und aufgethürmt haben. „Teufelsmühlen“ oder „Felsenmeere“ nennt man derartige Steingebilde, und in der That gleichen sie einem sturmgepeitschten, plötzlich zu Stein erstarrten Meere. Unwillkürlich denkt man bei ihrem Anblick an Bergstürze oder an Erdbeben, in welchen titanische Kräfte diese gewaltigen Felsen übereinander gewälzt hätten. Wie wild aber auch dieses Landschaftsbild erscheinen mag, die Natur führte es in stillstem Frieden aus, von Jahrhundert zu Jahrhundert die einzelnen Züge langsam vertiefend. Die Geologen belehren uns, daß dieses Felsenmeer einst aus einem gleichmäßigen Syenitlager bestand, dessen harte Steinmasse von weicheren Adern durchzogen war. An diesen weicheren Stellen begann vor uralten Zeiten die Atmosphäre zu nagen. Die Regenwasser, die Schneeschmelze lösten kleine Theilchen des Gesteins auf und schwemmten die locker gewordene Masse zu Thal. So entstanden allmählich Rinnen, Risse und Sprünge, welche durch die spülenden Gewässer und den Frost des Winters vergrößert wurden. Aus den Rissen wurden Klüfte, und schließlich blieben nur die härteren Blöcke daliegen als ein wüstes Durcheinander. Nicht weniger als achtzehn solcher Felsenmeere liegen am Felsberg zerstreut; die Steinblöcke der meisten sind völlig kahl, nur hier und dort an schattigen Stellen wuchert auf ihnen das Moos. Mitunter soll es aber geschehen, daß in den Klüften Pflanzenwuchs festen Fuß faßt, daß auf dem von absterbenden Blättern neugebildeten Erdreich der Wald vorrückt, das Felsenmeer überwuchert und den Berg auch an dieser Stelle mit seinem schützenden Mantel verhüllt. Aber dieser Stillstand im Werke der Zerstörung dauert nicht lange; ein gewaltiger Wolkenbruch schwemmt den Wald fort und Wind und Wetter nagen weiter an den Flanken des Berges – und sie werden siegen, sie werden den Felsberg dem Thale gleich machen.

Die Vorgänge, die sich hier abspielen, fassen die Geologen unter dem Namen der „Erosion“, d. h. „Ausnagung“, zusammen, und sie prophezeien, daß durch diese langsam wirkenden Kräfte nicht nur die Berge der Erde erniedrigt, sondern überhaupt alle Festländer mit der Zeit ins Meer hinabgeschwemmt werden würden; ja einer von ihnen hat herausgerechnet, daß in etwa fünf Millionen Jahren die letzte Festlandscholle in den Ocean hinabgespült sein wird.

Schleif- und Poliermaschine für Säulen.

Das sind tiefe Einblicke in die Erdgeschichte, die sich auf den Abhängen des Felsberges uns darbieten. Aber in seinen Buchenwaldungen birgt er noch Spuren einer anderen Thätigkeit; in seltener Treue hat er steinerne Urkunden zur Kulturgeschichte des Menschen bis auf unsere Tage bewahrt.

Folgen wir weiter unserem Führer! Mitten im Walde zeigt er uns eine Stelle, wo eine steinerne „Riesensäule“ liegt, mächtig wie ein gefällter Baumstamm. Sie ist 9,25 Meter lang und hat an ihrem dickeren Ende einen Durchmesser von 1,30 Meter, an dem dünneren einen solchen von 1,05 Meter und soll gegen 560 Centner wiegen. Die Natur hat sie nicht geschaffen; diese wohlgerundete Form ist ein Werk der Menschenhand. Diese Riesensäule liegt auf dem Felsberge seit vielen Jahrhunderten; in den ältesten Urkunden der um den Berg verstreuten Städte wird sie bereits erwähnt. Eine seltsame Erscheinung! Es müssen im Odenwald einst Meister gewohnt haben, welche die Kunst der Steinbearbeitung ausgezeichnet verstanden, denn es ist nicht leicht, solche Riesensäulen aus der rohen Fels-Masse herauszuhauen. Die Bemühungen der Geschichtsforscher, die unbekannten Hersteller dieser Säule zu ermitteln, wurden von Erfolg gekrönt: es darf als zweifellos erwiesen gelten, daß diese Steinhauer dieselben Römer waren, welche die alte Bergstraße gebaut haben.

Schon das graue Alterthum hatte seine Meister der Steinbearbeitung,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_331.jpg&oldid=- (Version vom 12.10.2023)