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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Auch hier athmen Fluß und Wald beständig eine reine, stärkende Luft aus. Mit Recht viel gepriesen ist die liebliche und gesunde Lage Schulpfortas zwischen Naumburg und Kösen in friedlicher Stille abseits von dem Lärm und der Unruhe der Städte. Das Grundstück der Anstalt, durchflossen von einem Nebenarm der Saale, lehnt sich an den südlichen Waldhang des Thales, an den sogenannten Knabenberg. Gewiß darf man die stille Einwirkung, die eine anmuthige Gegend auf das empfängliche Gemüth des Knaben und des heranwachsenden Jünglings gerade in diesen wichtigen Jahren geistiger und körperlicher Entwicklung ausübt, nicht unterschätzen. In Pforta kommen zu den Naturschönheiten der Gegend noch ehrwürdige Kunstdenkmale, vor allem der herrliche Kreuzgang und die Kirche, deren Grundbau aus dem 12. Jahrhundert stammt, die aber seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in gothischem Stil neugebaut worden ist. Zu Anfang der fünfziger Jahre wurde dieses ehrwürdige Bauwerk auf Anordnung König Friedrich Wilhelms I. von allen störenden Einbauten befreit und in seinem alten Stil wiederhergestellt. Auch sonst bewegen sich noch heutigestags die Pförtner zum Theil in denselben Räumen, in denen einst die Cisterciensermönche gehaust haben; so sagt Corssen, der zuverlässige Führer durch die Alterthümer und die Geschichte dieser Schule: „Seit über 700 Jahren hat das Cenakel (der Speisesaal) zur Pforte seine Bestimmung und seinen Namen unwandelbar gewahrt, und bis auf den heutigen Tag erschallt dort vor dem Beginn der Mahlzeiten in althergebrachter Weise der lateinische Kirchengesang ‚Gloria tibi Trinitas!‘“ Das Schulhaus, früheres Klosterhaus, das die Schülerwohnungen und die Unterrichtsräume umfaßt, hat seit 1880 bis zum Beginn dieses Jahrzehntes größere Um- und Neubauten erfahren; vorher schon war durch Umbau im Schulgarten eine geräumige Turnhalle hergestellt und das nach Westen zu gelegene stattliche Thorgebäude in gothischem Stil erneuert worden; zu gleicher Zeit erhielt Pforta ein neues Geschäftshaus, in dem die gesamte Verwaltung und das Rentamt untergebracht sind.

Innerhalb der alten Schulbezirke hat sich also das Aeußere der drei Anstalten mit der Zeit wesentlich erneuert, nach einheitlichem und umfassendem Plane in Meißen und Grimma, in engerem Anschluß an das Bestehende in Pforta. Unser Bild auf S. 309 soll die ältern Baulichkeiten für die Erinnerung festhalten. In den neuerbauten Räumen aber lebt heute noch eine frische und lernfreudige Jugend nach den alten Einrichtungen, die diesen Anstalten bei ihrer Gründung gegeben worden sind.




Freie Bahn!
Roman von E. Werner.
(18. Fortsetzung.)


Das Herrenstübchen im „Goldenen Lamm“ war fast ganz leer, wie gewöhnlich in den frühen Nachmittagsstunden. Die Besucher pflegten sich erst gegen Abend einzustellen. Augenblicklich befand sich nur ein einziger Gast dort, Landsfeld, der gekommen war, um wegen einer zweiten größeren Versammlung, die in den nächsten Tagen stattfinden sollte, mit dem Wirthe Rücksprache zu nehmen. Dieser war augenblicklich nicht zu Haus, und Landsfeld, der die Sache abzumachen wünschte, hatte ohne weiteres von dem Herrenstübchen Besitz ergriffen, wo er schon seit einer Viertelstunde wartete. Er ahnte nicht, daß Herr Willmann bereits nach Hause gekommen war, auch von seinem Hiersein erfahren hatte, es aber vorzog, erst den Odensberger Herrschaften eine unterthänige Verbeugung zu machen, ehe er ebenso unterthänig den Führer der Sozialisten begrüßte. Landsfeld begann schon ungeduldig zu werden, als endlich die Thür sich öffnete. Aber statt des Erwarteten trat Egbert Runeck ein.

Der junge Abgeordnete, der unmittelbar nach seiner Wahl auf einige Tage nach Berlin gegangen war, um mit den Parteihäuptern Rücksprache zu nehmen, grüßte auffallend kurz und kalt den Genossen, der auch seinerseits nur mit einem flüchtigen Kopfnicken antwortete.

„Schon zurück von Berlin?“ fragte Landsfeld.

„Ich bin vor einer Stunde angekommen,“ versetzte Runeck. „Ich war in Deiner Wohnung und hörte dort, daß ich Dich voraussichtlich im ‚Goldenen Lamm‘ finden werde.“

„In meiner Wohnung? Das ist ja eine seltene Ehre! Ich will uns hier den Saal für übermorgen sichern, da sich die Nothwendigkeit herausgestellt hat, eine zweite Versammlung einzuberufen. Uebrigens erwarteten wir Dich noch gar nicht zurück. Seid Ihr schon fertig?“

„Für den Augenblick ja, es handelte sich nur um Vorbesprechungen. Erst in vier Wochen, wenn die Sitzungen des Reichstages beginnen, ist meine dauernde Anwesenheit in Berlin erforderlich, und wie mir scheint bin ich jetzt hier nothwendiger als dort.“

„Da bist Du im Irrthum,“ erklärte Landsfeld. „Wir brauchen Dich hier nicht mehr, seit Deine Wahl durchgesetzt ist. Aber ich dachte mir, daß Du schleunigst zurückkehren würdest, sobald Du hörtest, es gehe in Deinem geliebten Odensberg drunter und drüber. Ja, dem Alten haben wir den Unfehlbarkeitsdünkel gründlich ausgetrieben. Er stand bisher so unnahbar da, als könne sich nichts an ihn wagen, jetzt muß er sich wie alle seine Kollegen mit uns herumschlagen – es mag ihn sauer genug ankommen.“

„Ich meine, Ihr hättet keine Ursache, zu triumphieren“ sagte Egbert finster. „Dernburg hat auf Eure Herausforderung mit einer Massenentlassung geantwortet.“

„Natürlich! Das war von dem alten Starrkopf zu erwarten und darauf waren wir auch vollkommen gefaßt.“

„Oder vielmehr, Ihr habt es darauf angelegt! Und was nun?“

„Nun heißt es biegen oder brechen. Entweder der Alte nimmt die Entlassungen zurück oder die Arbeit wird auf allen seinen Werken niedergelegt.“

„Dernburg beugt sich nicht, das wißt Ihr alle, und ihn zu brechen habt Ihr nicht die Macht. Aber er hat sie, Euch zu brechen und er wird sie schonungslos brauchen, nun er einmal so weit getrieben worden ist. Er kann es aushalten, wenn seine Werke wochen- und monatelang feiern – Ihr nicht. Der Ausstand ist völlig aussichtslos und die Führer unserer Partei wollen ihn nicht, haben ihn überhaupt nie gewollt. Jetzt ist der Beschluß endgültig dagegen gefaßt worden.“

„So, so? Da wirst Du wohl Dein Möglichstes gethan haben, diesen Beschluß durchzusetzen?“ fragte Landsfeld mit einem stechenden Blick. „Bist ja jetzt auch einer von den Führern! Der jüngste von allen und der herrischste von allen. Du scheinst die anderen schon recht hübsch in der Hand zu haben.“

Runeck machte eine Bewegung gereizter Ungeduld. „Hast Du nur persönliche Ausfälle gegen mich, wo es sich um eine Entscheidung der Partei handelt? Ich bringe Dir die bestimmte Weisung, es nicht zum äußersten kommen zu lassen – richte Dich danach!“

„Thut mir leid, dazu ist es zu spät, die Weisung hätte früher kommen müssen,“ versetzte Landsfeld kalt. „Die Forderung ist gestellt und im Falle der Nichtannahme der Ausstand angekündigt. Die Leute können nicht mehr zurück – das wird man auch in Berlin einsehen.“

„Oho, zeigst Du Dein wahres Gesicht?“ rief Egbert erbittert „Du, der Du immer die Disciplin im Munde führst, hast also ganz auf eigene Faust gehandelt?“

„Auf eigene Verantwortung, ja! Diese beschränkten Feiglinge, die Odensberger, mußten endlich einmal aufgerüttelt werden aus ihrem Vertrauensdusel. Was haben wir für Mühe gehabt, Deine Wahl bei ihnen durchzusetzen, mit welchem Hochdruck haben wir arbeiten müssen, und bis zur letzten Stunde stand alles auf dem Spiele! Jetzt ist die träge Masse endlich in Bewegung gerathen, jetzt gilt es, sie vorwärts zu treiben!“

„Und wohin? Zur gewissen Niederlage! Zur Wahlurne sind sie Euch gefolgt, und auch jetzt noch gehen sie blindlings mit Euch – der Siegesrausch ist ihnen zu Kopf gestiegen. Ihr habt ihnen nicht umsonst eingeredet, daß sie allmächtig seien. Aber der Rausch wird verfliegen. Laß die Leute nur erst zur Besinnung kommen und einsehen, was sie verlieren, wenn sie Odensberg den Rücken kehren müssen, was ihre Weiber und Kinder dabei dransetzen – ich sage Dir, Du hältst sie nicht acht Tage mehr beisammen, sie laufen in hellen Haufen zu Dernburg zurück. Aber er wird ein anderer sein als früher, er wird und kann die Beleidigung nicht verzeihen, die man ihm angethan hat.“

Der junge Ingenieur hatte längst seine anfängliche kalte Ruhe verloren und sich in immer größere Erregung hineingesprochen. Landsfeld blieb ruhig sitzen und sah ihn unverwandt an; ein böses Lächeln spielte um seine Lippen, als er entgegnete: „Du scheinst eine solche Rache des Alten ganz in Ordnung zu finden. Auf welcher Seite stehst Du denn eigentlich, wenn man fragen darf?“

„Auf der Seite der Vernunft und des Rechtes!“ brauste Runeck leidenschaftlich auf. „Daß die Odensberger mich wählten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_319.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)