Seite:Die Gartenlaube (1893) 314.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Andenken an die Seefahrt nach England, die von ihm in einem offenen Segelboot unternommen worden war und sich bei stürmischem Wetter unter einweichenden Regengüssen fast über eine Woche ausgedehnt hatte. Er selber hatte dies alles, sich dabei zum Besten haltend, noch kürzlich erzählt. Hätte er sich dann wenigstens die Mühe gegeben, zu lügen, daß er in der alten Stadt Aachen, in deren Nähe er sich ja begeben hatte, die heilkräftigen Bäder gebrauchen wollte! Wie gering er doch seine Pfalzgräfin und sie, die Frau von Méninville, anschlug, daß er einer Anwandlung von übler Laune so ohne Scheu nachgeben zu dürfen glaubte! Die Keckheit dieses Mannes reizte die fromme Frau. Er fing an, sie zu kennen – für so klug wenigstens hielt sie ihn – aber er kannte sie noch nicht genug. Sie, die über die spielenden Thorheiten anderer Weiber weit erhaben war und immer nur sehr ernstliche Zwecke verfolgte, sie hatte ihn ihres Antheils gewürdigt und er mußte es gemerkt haben. Glaubte er nun am Ende auch mit ihr umspringen zu können wie mit einer beliebigen, ein weniges in ihn verliebten Närrin, deren nicht mehr frischer Reiz solchen Schwächen noch dazu einen Beigeschmack von Lächerlichkeit verlieh? Frau von Méninville legte hier die Lippen fest aneinander und gelobte sich innerlich, daß dies anders werden sollte. Noch war durchaus nichts verloren. Der Oberjägermeister mußte ja an den Hof zurückkehren, und dann hatte sie Zeit. Und das war alles, geradezu alles, was sie brauchte. Frau von Méninville hatte einmal irgendwo den Wahl- und Wappenspruch eines alten schottischen Geschlechts gelesen, welcher, in der Ursprache kurz und bündig, in der Uebersetzung etwa lautete: die Zeit und ich, wir zwei zusammen nehmen es mit jeden andern Zweien auf. Das hatte ihr eingeleuchtet! Um aber solchergestalt mit der Zeit sich zu verbünden, dazu gehörte es, unermüdlich jede neue Möglichkeit zu benutzen, und das gedachte Frau von Méninville zu thun.

Am nächsten Morgen gegen Zehn war sie zu der Pfalzgräfin befohlen worden. Ein sechzehnstündiger Schlaf hatte die Dame soweit gestärkt, daß sie sich den Kopf zur Negligéfrisur hatte „aufsetzen“ lassen, wie man das nannte, und nun im Bette ihre Chokolade einnehmen konnte.

Frau von Méninville hatte mit Inbrunst die dargereichte fürstliche Hand gekußt. „Wie habe ich mit Euerer Hoheit gelitten,“ versicherte sie. „Haben Hoheit ein weniges zu schlafen vermocht?“

Ja, die Nacht sei erträglich gewesen, gab Frau Sabine Eleonore zu, aber sie fühle sich immer noch schwach.

„Kein Wunder,“ bemerkte Frau von Méninville mit schonender Krankenstuben-Stimme. Sie that jetzt, mit einer ihrer kleinen Tücken, die sie selbst da Verstellung üben ließen, wo dies gar keinen Zweck zu haben schien, als wolle sie sich sofort wieder zurückziehen, um den ermatteten Lebensgeistern ihrer Herrin noch ferner Zeit zur Erholung zu gönnen. Dabei hätte aber Frau Sabine Eleonore ihre Rechnung nicht gefunden. „Bleiben Sie, liebe Méninville,“ sagte sie mit schwacher Stimme. „Ich habe mein Lever heute abbestellt. Selbst wenn ich mich kräftig genug dazu fühlte – die Stimme der Kallenfells genügt, um mir von neuem Migräne zu machen. Ihre angenehme Unterhaltung dagegen wird mir hoffentlich über das Uebel vollends hinweghelfen, welches mich von Zeit zu Zeit ganz aus heiler Haut befällt.“

Die Méninville hörte die Worte an mit der Miene eines durch Ehrfurcht gedämpften Antheils. Sie nahm auf einem Schemel am Bette Platz und erzählte nun, wie man ihr früher einmal berichtet habe, die letzte Königin von Frankreich sei eine große Dulderin an Migräne gewesen, habe oft danieder gelegen an Kopfschmerzen bis zur Betäubung, die dann erst den stärksten Mitteln der Aerzte gewichen seien.

Wenn man denn scholl an Kopfweh zu leiden hat, so theilt man diesen Vorzug fein besaiteter Naturen immer noch nicht ganz ungern mit einer allerchristlichsten Majestät; lieber wenigstens als mit gewöhnlichen Leuten, die eigentlich kein Recht auf solche vornehme Uebel haben. „Ja, die Migräne ist eine Plage vieler regierender Häupter gewesen,“ sagte Frau Sabine Eleonore denn auch mit selbstgefälliger Ergebung.

Dies Kapitel wurde noch eine Weile erörtert, indem die Méninville verschiedenes von hohen Herrschaften beibrachte und von den Medikamenten, welche denselben in eben dem Falle, darin die Pfalzgräfin sich jetzt befand, genützt hatten. Als nun aber eine halbe Stunde verflossen war, ohne daß des Urlaubsgesuchs des Herrn von Nievern Erwähnung geschehen wäre, da merkte Frau von Méninville, daß die steife Fürstin nicht Geschick genug habe, den Gesprächsgegenstand einzuführen, um den es ihr doch allein zu thun war, und daß sie ihr helfen müsse. Sonst hätte sie am Ende erleben können, wie die fürstliche üble Laune sich auch einmal gegen sie richtete. Ihr erfinderischer Geist ließ sie um einen Anfang nicht verlegen sein. „Pfalzgräfliche Hoheit,“ begann sie, „sind so wohl versiert in den Adelsgeschlechtern Ihres eigenen Landes nicht nur, sondern auch des Reiches, ja des Auslandes . . . wo soll ich die Familie von Wildenfels hinthun? Ist es ein pfälzer Adel?“

„Nein,“ sagte die Pfalzgräfin unverzüglich und war munter und lebhaft bei der Sache, „die Wildenfelser gehören in das bayerische Franken. Es gab mehrere Linien, Wildenfels-Buchheim, Wildenfels-Dyk – die Rochsburger auch, aber die sind schon vor fünfzig Jahren oder mehr ausgestorben, und von den Wildenfels- Dyk ist der Mannesstamm jetzt erloschen. Die Freifrau Aloysie auf Wildenfels hab’ ich gekannt; ihr Sohn, der Erbherr, ist blutjung unter dem Prinzen Eugen bei Turin, wenn mir recht ist, gefallen. Das kinderlose Witthum hat ihr nicht behagt; sie hat sich noch einmal vermählt mit einem Herrn von Salm.“

Bei einer Fürstin, die selber Witwe ist und dazu noch eine ziemlich junge, thut man gut, in der Beurteilung solcher Fälle wie der hier erzählte vorsichtig zu sein. „Hoffentlich hat die Dame eine passende Wahl getroffen,“ bemerkte daher die Méninville zurückhaltend.

„Wahl hin, Wahl her; sie war in den Fünfzigen, da hieß es zugreifen, wenn sie noch einmal vor den Altar wollte,“ sagte die Pfalzgräfin und lachte; sie war jetzt ganz munter geworden. „Der von Salm aber kroch bei ihr unter, ein ausgedienter alter Klepper von so und so vielen Feldzügen, der selber so gut wie nichts sein nannte. Sobald er auf Wildenfels zu Hause war, fing er an und gab seiner Gicht Audienz und saß mit eingewickelten Beinen ... die Dame hat nicht gar viel Freude mehr an ihm gehabt.“ Und Frau Sabine Eleonore lachte noch einmal schadenfroh.

„So hätte das Paar wohl besser gethan, voneinander zu bleiben.“ Frau von Méninville glaubte, diese Bemerkung wagen zu können, fuhr jedoch fort: „Bei jüngeren Jahren dünkt es mich dagegen oft das Richtige und Gott Wohlgefällige, wenn Personen hohen Standes nicht allein bleiben, nachdem der Herr einen ersten Ehebund durch den Tod zu lösen für gut befunden. Doch verzeiht meine Abschweifung, gnädigste Frau! Gehört demnach der Wildenfels von Malmedy zu dem fränkischen Geschlecht?“

„Ah, Sie sprechen von dem Domherrn, dem Vetter Nieverns,“ sagte die Fürstin. „Er ist einer von den Buchheimern, ist weltlicher Kanonikus von St. Alban in Trier, soweit ich mich erinnere. Das sind gesuchte Stellen, diese weltlichen Chorherrenstellen und ich entsinne mich, wie mein seliger Herr erzählte, daß der Buchheimer Wildenfels den Fürsten und Ständen angelegen habe bis zum Ueberdruß, bis er es soweit hatte, daß das Kapitel des Erzstifts pon St. Alban seinen jüngeren Sohn aufnahm.“

„Und wird sich Herr von Nievern bei diesem geistlichen Herrn behagen?“ warf die Méninville nach einer Weile leicht hin.

„Geistlicher Herr! Damit ist’s nicht weit her!“ rief die Fürstin. „Lassen Sie sich sagen, liebe Méninville, daß die weltlichen Chorherren durch ihr Amt nicht allzu sehr gedrückt werden. Sie dürfen sich nicht vermählen, allerdings, sonst aber treiben sie, was ihnen lieb, und oft, was Gott leid ist. Die Adventszeit, wenn mir recht ist, oder die Fastenzeit haben sie am Orte ihres Kanonikats zu residieren und amtieren dann auch etlichemal. Und wenn Kapitel gehalten wird, dann müssen sie zur Stelle sein. Sonst aber verzehren sie ihre reichen Pfründen, wo sie wollen. Der Wildenfels hat ein schönes Burghaus in Malmedy; mein Gemahl hat es mich bemerken lassen, als wir damals zur Hochzeit unseres Vetters nach Dendermonde zogen und in Malmedy rasteten. Und seine Hauptlust ist die Jagd. Wenn Nievern jetzt mit ihm in der Hohen Veen auf den Mooren zur Reiherbeize reitet, so mögen Sie glauben, daß der Wildenfels sich nicht damit abgiebt, ihm vorher die Messe zu lesen.“

Wie redselig sie geworden war! Eine solche Zuhörerin aber auch wie die Méninville! Der ehrfurchtsvollsten Aufmerksamkeit wußte sie immer ein Etwas von Bewunderung beizumischen über

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_314.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2024)