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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 18.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
(4. Fortsetzung.)
7.

Stürme und Herbstregengüsse waren dem klaren sonnigen Septembertag, an dem Pfalzgräfin Sabine ihre Hofjagd abgehalten hatte, gefolgt, Auch heute flogen die Wolken noch windzerfetzt an einem trüben Himmel hin, und unter diesem bleifarbenen, nun schon dem Abend zudunkelnden Himmel lag die Herrenmühle ganz besonders still und düster da, als wäre alles Leben in ihr erstorben.

Polyxene saß in dem weiten und niedrigen Gemache, in welchem ihr Himmelbett stand, am Fenster und hatte ein Gebetbuch auf dem Schoße. Aber darin zu lesen hatte sie aufgegeben, lange ehe das schwindende Licht es ihr verwehrte. Sie war heute früh am Nachmittag in dem Häuschen am Galgenfeld gewesen, bei der Kranken, die noch ganz ebenso sich fristete wie vor etwa zehn Tagen bei jenem ersten denkwürdigen Besuch Polyxenens dort oben. Und von den Lippen Magdalenens waren wieder wunderbare Worte gefallen, von einer geheimnißvollen Inbrunst erfüllt, ihr eingehaucht von einem Geiste, desgleichen das Fräulein von Leyen bisher nicht gekannt hatte. Kein Zweifel, das elend hingestreckte Weib wurde gestärkt auf unbegreifliche Weise. Von wannen ihr auch dieser mächtige Beistand kam – irdisch war er nicht; und der Hauch aus einer anderen Welt, welcher jenes Lager umgab, der konnte, so dünkte es Polyxene, unmöglich herauf von dem schwülen Aufenthalt der Verdammten wehen.

Da nun Magdalena den Namen Christi so vertraulich nannte, so hatte Polyxene nach ihrer Rückkehr ein Verlangen empfunden, auch auf ihre Weise diesem Freunde der Seelen sich zu nahen, denn einsam fühlte sie sich oft genug. Und sie hatte daher zu dem einzigen Buche in ihrem Besitz gegriffen, das seinen Namen nannte, zu ihrem kleinen Gebetbuch. Sehr bald aber saß sie vor diesem Buche rathlos. Da waren Anrufungen der Jungfrau Maria, Verherrlichungen gar vieler Heiligen, Litaneien um Sonnenschein und Regen – Polyxene kannte das alles. Wie oft hatte sie die Worte, schon als kleines Dirnlein, gedankenlos mitgemurmelt. Jetzt, da sie dieselben zum ersten Male prüfend las, verloren sie aber jene gewohnte Vertraulichkeit. Fremd starrten sie ihr entgegen, fremd und über alle Maßen unzulänglich!

Eine Bangigkeit ergriff Polyxene, wie den, der sorglos bei heiterem Himmel dahin gewandelt ist; jetzt aber, gerade da sich dunkles Gewölk anhäuft und die Sonne erbleicht, wird er inne, daß er auf falschem Wege sei, und er fängt an zu ahnen, daß er ein langes mühsames Zurückgehen wird beginnen müssen, um vielleicht noch den richtigen Pfad zu finden. Sie schloß das Buch und erhob sich. Unwillkürlich horchte sie, wie sie es gewohnt war, auf Lutzens Stimme oder Tritt. Aber das Haus war ganz still; und doch mußte es Zeit zum Abendbrot sein.

Herr von Gouda, in sein Museum vergraben, wie man das mit Büchern, Instrumenten und Seltsamkeiten vollgepfropfte Gemach wohl nennen konnte, pflegte diese Stunde leicht einmal zu vergessen. War er gar zu tief in Berechnungen oder Versuche versenkt,

Dalmatinerin.
Nach einem Gemälde von Carl Hetz.
Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_293.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2021)