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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

nicht mehr, da er’s seit dreißig, vierzig Jahren treibt. Was ich an jenem Morgen in aller Frühe abgeschossen hatte – war’s ein Hase, waren’s ein paar Hühner, einerlei ... ich könnt’ Euch ja vormachen) was ich nur wollte, und Ihr bliebet so klug wie zuvor – also was ich mir geholt hatte aus Eurem Forste, das trug ich nicht in mein Loch, sondern hinunter nach Keula und in ein Haus – wenn man eine schlechte Hundehütte von Lehm und Stroh, so nennen will – hinten am Schindanger. Bekreuzt Euch, Fräulein, daß Euch die Krankheit nicht etwa anfliegt, die da drinnen haust ... Mir thut sie nichts mehr –“ er lachte hier, als einer, der die menschliche Lebensgrenze schon überschritten hat und über das Fürchten und Hoffen hinaus ist – „ich fahre ja doch einmal ohne Pfaffen dahin, wohin ich gehöre. Aber mit meiner adligen Herrschaft ist das ein anderes, die darf sich mit Ketzerei nicht befassen, und je weniger sie davon weiß, desto besser ist’s!“ Das war sein völliger Ernst.

Wenn nur Polyxene von Leyen nicht eine so scharfe ehrliche Neugier oder vielleicht Wißbegier gehabt hätte. Mit der sagte sie jetzt: „Ihr habt nicht umsonst so viel verrathen; jetzt sprecht auch weiter. Ist ein Krankes in dem Haus am Schindanger, dem Ihr für stärkende Kost habt sorgen wollen? Und was geht die Person Euch an?“

Es ist schon berichtet worden, daß es für eine Polyxene von Leyen und für ihresgleichen einen Zusammenhang mit Leuten wie den Dörflern von Keula nicht gab, da eine anscheinend unüberbrückbare Kluft diese von jenen trennte. Nun erhob aber eigenthümlicherweise auf das, was in Polyxenens Herz an menschlichem Mitgefühl schlummerte, das Wort Krankheit fast allein einen Anspruch. Krankheit war ihr mit ihrer herrlichen Gesundheit etwas so Fremdes, aber auch so Beklagenswerthes! Das mochte daraus zu erklären sein, daß ihre Mutter, eine zarte Frau, ein süßer traurig holder Schatten im ersten Frühdämmer ihrer Erinnerungen, lange gekränkelt hatte, wie man ihr zum Ueberfluß erzählte; denn sie wußte es noch, mochte auch niemand ihr das glauben, weil sie beim Tode der Mutter erst ein dreijähriges Kind gewesen war. Sie hatte aber bis jetzt den Begriff jenes zarten hilfsbedürftigen Siechthums mit den meist wölfisch hager und derb aussehenden Weibern, Männern und Kindern von Keula nie in irgend eine Verbindung gebracht.

Der alte Strieger hatte ein paar Züge aus seiner Pfeife gethan – halb abgewandt von seiner jungen Herrschaft, damit der Dampf seines bösen Krautes ihr nicht ins Gesicht steige; soviel Höflichkeit hatte er doch. Jetzt kehrte er sich wieder um. „Vor allen Dingen ist eine schlimme Pest in dem Hause dort.“ Dabei sah er Polyxenen scharf in das längliche, vornehm zarte Gesicht. „Die darin lebt, ist von der Kirche in Bann gethan ... ein garstiges Uebel; steckt an, wie man sagt, daher sich auch von den Nachbarn beileibe keiner um sie kümmert. Daß sie siech ist, ist kein Wunder ... so ein regelrechtes Verfluchen, mit umgekehrtem Weihwedel und Krucifix, dörrt aus bis in die Nieren. Hat doch der Hahn auf der Stelle die Kolik gekriegt und ist verreckt, an dem es der Meßnerbub’ probiert hat in gottlosem Scherze. Ja, ja, junger Herr, seht mich nur groß an! Aber das ist schon lange her.“

„So hat die kranke Frau keinen, der sich um sie kümmert, als Euch?“ fragte Polyxene weiter, fast wider Willen gefesselt.

„Keinen, Ihr trefft den Nagel auf den Kopf, kluges Fräulein. Mich, ausgepicht wie ich bin durch das schier heidnische Waldleben, mich ficht die Ketzerluft nicht an. Deshalb sehe ich dann und wann nach ihr ...“

„Aber Polyxenchen,“ rief hier Ludwig, der seine Ungeduld nicht länger zu zügeln vermochte, „was hast Du danach zu fragen? Daß der Graukopf uns das Wild maust, wie er selber sagt, müssen wir leiden. Mag er’s doch zustecken, wem er will, und mag, wer es kriegt, sich die Kränke daran essen!“

„Oho, das solltet Ihr nicht sagen!“ rief da der Strieger, und das fuhr ihm ernstlicher heraus als alles, was er bisher an Reden hatte hören lassen. Und doch hätte er merken können, daß die Worte bei dem gutherzigen Jungen nicht allzu schlimm gemeint waren. „Werdet nur nicht falsch,“ rief der Knabe jetzt mit seinem freundlichen Lachen, dem so leicht keiner widerstand, und klopfte dem Alten auf die Schulter. „Und nun sagt, wann wir uns nächtens treffen wollen und wo!“

„Das kann jetzt nicht eher sein, als bis wir den Neuen Mond haben, und auch dann nur, wenn die Nächte klar sind,“ sagte der Strieger mit barscher Bestimmtheit. „Am besten wär’s, Ihr geduldetet Euch bis kurz vor dem Vollmond. Um die Zeit herum will ich bei Sonnenuntergang hier bei dem Baume Eurer warten. Dann zeig’ ich Euch den Platz und sag’ Euch die Kunde. Also, kommt Ihr, so ist’s gut – kommt Ihr nicht ...“

Die letzten Worte wurden zum unverständlichen Murmeln, während er den Riemen seiner Büchse fester über die Achsel schob und mit keinem anderen Gruße als einem kurzen Rücken der Hutkrempe sich abwendete. „Kommt Ihr nicht, so ist’s noch besser!“ – wer die Rede so ergänzt hätte, würde wohl nicht weit gefehlt haben.

Da – die beiden Verwandten waren doch ein wenig verblüfft über den kurzen Abschied – da stapfte er über den Moosboden und hatte schon die Tannenwand erreicht, aus der er vorhin so unversehens hervorgetreten war. Mit einem Male war Polyxene neben ihm und bekam ihn am Aermel des abgetragenen Lederwamses zu packen. „Wer ist die kranke Frau, Strieger, wie heißt sie?“ fragte sie halblaut und in Hast.

Er blieb stehen. Gewartet hätte er nicht auf die Frage, das war klar, aber ebensowenig wollte es scheinen, daß sie ihm unerwartet oder unerwünscht kam. „Es geht jetzt stark auf das Ende zu mit ihr,“ sagte er. „Und lange liegt sie mir schon an, Euch vor ihrem Tode noch zu ihr zu führen.“

„Mich!“ rief Polyxene erstaunt. „Mich?“

„Ja, das Fräulein von Leyen. Denn sie ist – bei ihren Lebzeiten, hätt’ ich bald gesagt; ist sie doch für Eure Welt lange schon abgestorben – also vor Zeiten ist sie Kammermagd Euerer Frau Mutter gewesen.“

Polyxene stand still, ihr zartblühendes Antlitz war erblichen. „Das sagt Ihr jetzt erst,“ brachte sie nach einer Weile leise heraus. Und dann, indem sie die grauen Augen groß auf ihn gerichtet hielt wie in unschuldiger Verwunderung: „So seid Ihr denn wirklich böse, wie die Leute meinen? Ihr habt Eure Freude daran gehabt, mir dies so lange zu verhehlen?“

„Zum Teufel, Fräulein, was fällt Euch ein!“ knurrte er da. „Eueres hochadligen Vortheils hatte ich wahrzunehmen. Sagte ich Euch nicht: sie ist exkommuniziert. Und wer ihr nicht mit gebührender Vorsicht nahe käme, dem könnte es geschehen, daß er auch in einen üblen Geruch bei der Geistlichkeit geriete. Davor soll man sich hüten, ja, ja, sogar ein Fräulein wie Ihr!“

Er hatte sie zuletzt durchdringend angesehen und ihr auch noch am Schlusse etwas wie ein Zeichen mit den Augen gemacht, nach Ludwig hin, dem er den Rücken zuwendete. „Das ist alles, was der Junge davon zu wissen braucht; hütet Euch!“ sollte das heißen. Und dann hob er sich wirklich davon, ins Dickicht, und keins von den beiden hielt ihn mehr auf.




3.

Als die jungen Verwandten in vorgerückter Morgenstunde wieder im Hofe der Herrenmühle einfuhren, streifte Polyxene die Fensterreihe droben mit den Augen, spähend, ob ein glücklicher Zufall ihre Heimkehr wohl werde unbemerkt vom Oheim vor sich gehen lassen. Denn der Oberst von Gouda war durchaus kein Freund der Jagdleidenschaft seiner beiden Mündel und that, was er konnte, ihnen die Freude an ihren Pirschgängen krittelnd zu verleiden. O weh, diesmal hatten sie mit ihrer Heimlichkeit kein Glück! Er hätte in seinen Büchern vergraben sein können wie gewöhnlich, statt dessen aber sahen sie ihn da mit der Hälfte seiner hageren Figur über eine Fensterbrüstung in die Höhe ragen. Das Fenster war geöffnet, Herr von Gouda stand und blickte gemächlich in den Hof hinab. Und er war nicht allein. Neben ihm lehnte, ganz in derselben Haltung müßigen Beschauens, ein anderer Mann, den Polyxene anfänglich nicht weiter beachtet hatte. Dann aber blickte sie ganz zufällig noch einmal hinauf, eben als der Wagen hielt. Als sie da aber in ein belustigtes Gesicht sah, in das eines jüngeren und offenbar vornehmen Mannes noch dazu, da fühlte sie sich plötzlich ärgerlich und beschämt über ihren ganzen Aufzug, den schlechten alten Wirthschaftswagen, die groben Gäule und nicht zum wenigsten auch über ihren vertragenen Filzhut und den Jagdrock, in den ihre schlanke Figur eingeknöpft war, denn Polyxene von Leyen wußte, was sie ihrem Stande schuldig war. Sie hatte sich heute gekleidet für den nebligen Morgen, das Kauern im feuchten Heidekraut und das Streichen durch verschränktes Unterholz und dorniges Waldgestrüpp. Dafür war der derbe Tuchrock gut und der verregnete Hut. Aber ein Anzug, in dem man sich vor fremden Augen sehen lassen konnte, war das nicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_243.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2020)