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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

ist … und verliebt sich in eine Dame, die seine Mutter sein könnte! Das also waren die ‚englischen Wörter‘! Die Liebeserklärung hast Du da vor dem Spiegel einstudiert! Nun, ich werde Fräulein Friedberg über ihren sauberen Schüler die Augen öffnen, und gnade Dir Gott wenn sie die Geschichte erfährt. Sie wird empört, außer sich sein.“

Er faltete grimmig das verhängnißvolle Blatt zusammen und steckte es zu sich. Der junge Mann sah seine Verse, die er im Schweiße seines Angesichts zusammengeschmiedet hatte, in der Rocktasche des Gefühllosen verschwinden, und der Muth der Verzweiflung gab ihm sein Selbstbewußtsein zurück.

„Ich bin kein Knabe mehr,“ erklärte er, sich in die Brust werfend. „Du hast kein Verständniß für die Gefühle, die in der Brust eines Jünglings stürmen, Dein Herz ist längst erstorben. Wo schon der Reif des Alters das Haupt deckt –“

Er hielt plötzlich inne und flüchtete schleunigst hinter den großen Lehnstuhl, denn der Doktor, der Anspielungen auf seine ergrauenden Haare nicht vertragen konnte, rückte ihm drohend auf den Leib.

„Ich verbitte mir solche Anzüglichkeiten!“ rief er wüthend. „Reif des Alters? Wie alt glaubst Du denn, daß ich bin? Du bildest Dir wohl ein, Dein Erbonkel werde bald das Zeitliche segnen, aber daran denk’ ich noch lange nicht, merke Dir das! Ich gehe jetzt mit Deinem Geschreibsel zu Fräulein Friedberg, und Du kannst inzwischen hier die Gefühle Deiner Jünglingsbrust ausstürmen lassen, das wird eine ganz nette Unterhaltung werden!“

„Onkel, Du hast kein Recht, meine Liebe zu verhöhnen,“ sagte Dagobert etwas kleinlaut hinter seinem Lehnstuhl hervor, doch der Doktor war schon aus der Thür und schritt nach seinem Wohnzimmer, wo er Hut und Stock nahm.

„Reif des Alters!“ brummte er. „Dummer Junge! Ich werde Dich mein ‚längst erstorbenes‘ Herz kennenlehren, Du sollst Dich wundern!“ Und damit begab er sich im Sturmschritt nach dem Herrenhaus.

Leonie Friedberg saß am Schreibtisch und beendete eben einen Brief, als der Arzt bei ihr eintrat; verwundert blickte sie auf. „Sie sind es, Herr Doktor? Ich erwartete eigentlich Dagobert, er pflegt sonst pünktlich zu sein.“

„Dagobert kommt heute nicht,“ erwiderte Hagenbach kurz.

„Weshalb nicht? Ist er unwohl?“

„Nein, aber ich habe ihm Hausarrest gegeben – dem verwünschten Jungen!“

„Sie halten den jungen Mann zu streng. Sie behandeln ihn immer noch wie einen Knaben, trotz seiner zwanzig Jahre!“

Der Doktor hörte kaum auf den Einwurf, er setzte sich nieder und fuhr grimmig fort: „Eine heillose Geschichte hat er da wieder angestiftet. Ich hätte sie Ihnen am liebsten verschwiegen, um Ihnen den Aerger zu ersparen, aber es hilft nichts, Sie müssen sie erfahren.“

„Mein Gott, was ist denn geschehen?“ fragte Leonie unruhig. „Doch hoffentlich nichts Ernstes?“

Die Züge Hagenbachs ließen allerdings auf etwas Ernstes schließen, als er aus seiner Rocktasche den dichterischen Erguß seines Neffen hervorzog und ihn mit unheilverkündender Miene dem Fräulein überreichte.

„Lesen Sie!“

Leonie begann zu lesen, sie las die Verse von Anfang bis zu Ende mit einer unbegreiflichen Ruhe durch, ja es zuckte dabei sogar ein Lächeln um ihre Lippen. Der Doktor, der vergeblich auf einen Ausdruck der Empörung wartete, sah sich endlich veranlaßt, ihrem Verständniß zu Hilfe zu kommen.“

„Es ist ein Gedicht,“ erläuterte er.

„Das sehe ich.“

„Und es ist an Sie gerichtet.“

„Aller Wahrscheinlichkeit nach, da mein Name darüber steht. Von Dagobert vermuthlich?“

„Das ist Ihnen wohl gar angenehm?“ rief Hagenbach gereizt. „Sie finden es, wie es scheint, ganz in der Ordnung, daß er sich ‚zu Ihren Füßen‘ legt – so heißt es wohl in dem Geschreibsel.“

Leonie zuckte immer noch lächelnd die Achseln. „Lassen Sie Ihrem Neffen seine jugendliche Schwärmerei, sie ist ungefährlich genug. Ich habe wirklich nichts dagegen.“

„Aber ich!“ rief der Doktor. „Wenn der dumme Junge sich noch ein einziges Mal untersteht, Sie anzusingen und Ihnen die stürmenden Gefühle seiner Jünglingsbrust zu Füßen zu legen, dann –“

„Was geht denn das Sie an?“ fragte Leonie, erstaunt über diesen heftigen Ausbruch, zu dem ihrer Meinung nach gar kein Grund vorlag.

„Was es mich angeht? Ja so! Freilich – Sie wissen noch gar nicht –“ Hagenbach stand plötzlich auf und trat dicht vor sie hin.

„Sehen Sie mich einmal an, Fräulein Friedberg!“

„Ich finde nichts besonders Merkwürdiges an Ihnen.“

„Merkwürdig sollen Sie mich auch nicht finden,“ sagte der Doktor beleidigt. „Aber ich sehe doch noch ganz leidlich aus für meine Jahre.“

„Gewiß, Herr Doktor.“

„Ich habe eine einträgliche Stellung, ein nicht unbedeutendes Vermögen, ein hübsches Haus – das für mich allein viel zu groß ist.“

„Das alles bezweifle ich nicht, aber was soll –?“

„Und was meine Derbheit betrifft,“ fuhr Hagenbach fort, ohne auf die Unterbrechung zu achten, „so ist die nur äußerlich. Im Grunde bin ich ein wahres Lamm.“

Leonie sah bei dieser Behauptung sehr ungläubig aus und hörte mit steigendem Befremden zu.

„Alles in allem ein Mann, mit dem sich leben läßt,“ schloß der Doktor mit großem Selbstbewußtsein, „Finden Sie das nicht auch?“

„Nun ja, aber –“

„Gut, so sagen Sie ‚ja‘, dann ist die Geschichte abgemacht!“

Leonie fuhr vom Stuhl auf und wurde dunkelroth. „Herr Doktor – was soll das heißen?“

„Was das heißen soll? Ach so, ich habe ganz vergessen Ihnen einen förmlichen Antrag zu machen. Aber das läßt sich nachholen. Also – ich biete Ihnen meine Hand und bitte um Ihr Jawort – schlagen Sie ein!“

Er streckte die Hand aus, jedoch seine Erwählte wich drei Schritte zurück und sagte scharf: „Sie müssen schon meiner Ueberraschung Rechnung tragen. Ich habe es wirklich nicht für möglich gehalten, daß Sie mich mit einem Antrage beehren würden.“

„Sie meinen, weil Sie ‚Nerven‘ haben?“ sagte Hagenbach ganz unbekümmert. „O, das thut nichts, das werde ich Ihnen schon abgewöhnen, dafür bin ich Arzt.“

„Ich bedaure nur, Ihnen dazu keine Gelegenheit geben zu können,“ war die sehr kühle Antwort, die den Doktor stutzig machte.

„Soll ich das etwa als einen Korb betrachten?“ fragte er in gedehntem Tone.

„Wenn Sie es so nennen wollen – jedenfalls ist es die Antwort auf Ihren so ungemein zart und rücksichtsvoll gestellten Antrag.“

Das Gesicht des Doktors verlängerte sich bedeutend. Er hatte es nicht für nöthig gehalten, seiner Derbheit Zügel anzulegen und bei seiner Werbung Umstände zu machen. Er wußte sehr gut, daß er trotz seiner Jahre und seiner ergrauenden Haare eine „Partie“ war und daß mehr als eine Dame seiner Bekanntschaft bereit war, seine Lebensstellung und sein Vermögen zu theilen – und hier, wo sein Antrag zweifellos ein großes, kaum noch erhofftes Glück für das mittellose Mädchen war, wurde er ohne weiteres abgewiesen! Er glaubte, nicht recht gehört zu haben.

„Sie weisen also wirklich meinen Antrag zurück?“ fragte er.

„Ich bedaure, auf die mir zugedachte Ehre verzichten zu müssen.“

Es trat eine kurze Pause ein, Hagenbach blickte abwechselnd auf Leonie und auf den Schreibtisch oder vielmehr auf das Bild über demselben, dann aber brach der zurückgehaltene Aerger bei ihm durch. „Warum?“ fragte er herrisch.

„Das ist doch wohl meine Sache.“

„Bitte sehr, es ist meine Sache, wenn ich einen Korb erhalte; ich will wenigstens wissen, weshalb. Da steht mir irgend etwas anderes entgegen, eine Erinnerung, eine Jugendliebe, mit einem Worte – der da!“

Er wies auf das Bild mit der Trauerschleife, Leonie schwieg – ihr stürzten plötzlich die heißen Thränen aus den Augen.

„Dacht’ ich’s doch!“ rief der Doktor ingrimmig. „Aber so lasse ich mich nicht abweisen, mein Fräulein. Wer war dieser sogenannte Vetter? Wo hat er gelebt? Wie ist er nach Afrika gekommen? Das werde ich doch wenigstens erfahren?“

Er that bei jeder Frage einen Schritt vorwärts und ging schließlich so wüthend auf das Bild los, daß Leonie wie zum Schutze vor dasselbe trat.

„Wenn Sie so großen Werth darauf legen“ sagte sie, ihre Thränen unterdrückend, „so mag es sein. Ja, Engelbert war mein Verlobter, den ich ewig beweinen werde. Er weilte als Hauslehrer in der Familie, in der ich Erzieherin war, unsere Herzen fanden sich und unsere Seelen flossen ineinander.“

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