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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

oder Eigenthümlichkeit aufgefallen wären, kann ich nicht behaupten; den Preis in dieser Beziehung verdienten zweifellos zwei Mädchen von zwölf bis vierzehn Jahren; auch in Athen ist mir wiederholt die Schönheit von Mädchen dieses Alters aufgefallen.

Eine große Anziehungskraft übt neuerdings das bei dem Dorfe Gasturi erbaute Schloß der Kaiserin von Oesterreich aus. Man fährt auf bequemer Straße in einer starken Stunde bis dorthin; unterwegs hatte ich Gelegenheit, den Reichthum an prachtvollen alten Oelbäumen zu bewundern, welcher die Insel auszeichnet. Nirgends sonst habe ich dieselben in solcher Größe und in so außerordentlich malerischer, oft ganz phantastischer Bildung gesehen. Gasturi selbst bietet wenig Bemerkenswerthes. Am oberen Ende des Dorfes machte mein Rosselenker Halt vor einer Bretterbude, welche die Aufschrift „Bella Vienna“ trug; den Hauptschmuck derselben bildete ein die ganze Höhe der Wand ausfüllendes Plakat mit einer Riesenflasche, deren Inhalt als „Benedictine de l’abbaye Fécamp“ bezeichnet war. „Piazza Cavour“ war seitwärts auf einer Tafel zu lesen und gegenüber auf einem Bretterzaun „Boulevard imperiale“, Scherze der italienischen Arbeiter, welche beim Bau beschäftigt sind. Wenige Schritte brachten mich zum Eingangsthor der kaiserlichen Villa. Man hatte mir gesagt, daß der Zutritt zu derselben niemand gestattet werde, und auch der deutsche Konsul in Korfu, Herr Fels, dessen liebenswürdige Zuvorkommenheit allen deutschen Besuchern Korfus bekannt ist, erklärte sich außer stande, mir die Erlaubniß zu verschaffen. Doch wurde mir nach längerem Parlamentieren ein Einblick in das Vestibül und Treppenhaus und ein kurzer Aufenthalt im Garten zugestanden. Mehr war nicht zu erreichen, da jeden Augenblick der Besuch des kaiserlichen Intendanten, eines dalmatinischen Marineoffiziers, erwartet wurde, dessen rücksichtslose Strenge sehr gefürchtet schien. Das Aeußere des aus weißem Marmor im Stile der italienischen Renaissance aufgeführten stattlichen Hauses macht einen entschieden vornehmen Eindruck; was ich von Malereien im Inneren sah, war von geringerem Werthe.

Säulenhalle am Schloß der Kaiserin von Oesterreich.
Nach einer Photographie.

Die Lage ist entzückend: nach rechts, wo der Berg steil abfällt, das weite Meer und die nach Süden verlaufende Küste der Insel, nach Norden die mit Olivenwald bedeckte Abdachung bis zum See Kalikiopulo, dann die Stadt Korfu und jenseit derselben wieder ein vom Pantokrator und den albanesischen Bergen begrenzter Meeresstreifen, nach links ein Blick ins innere Land und im Rücken der Santi Deca. Der leitende Architekt war der Neapolitaner Garito; auch die Ausführung der einzelnen Arbeiten, der Malereien und der übrigen Ausstattung im Inneren wurde größtenteils italienischen, im besonderen neapolitanischen Künstlern und Arbeitern übertragen. Später war auch ein Wiener Ingenieur mit einer Anzahl dortiger Arbeiter berufen worden. Ich machte seine Bekanntschaft in der „Bella Vienna“ bei einer Flasche vortrefflichen Biers, dessen hier zu Lande überraschende Güte er mir dadurch erklärte, daß der praktische Wirth, der natürlich ebensowenig wie andere seiner Landsleute über einen Keller verfügte, denselben durch Eingraben der Flaschen in die kühle Erde zu ersetzen wußte.

Ehe das Schloß der Kaiserin Elisabeth gebaut wurde, war die Hauptsehenswürdigkeit Gasturis ein alter Brunnen, der hinter dem Dorfe in einer Schlucht steht, umgeben von Oelbäumen und Zypressen. Ein kleiner Junge, Alexandros mit Namen, bot sich als Führer an, sein Schwesterchen, die Wasilika – zu deutsch „Königin“ – durfte auch mit; war ihr Kostüm auch nicht königlich, so hätte doch ihr Gesichtchen einer Prinzessin wohl angestanden, so fein und regelmäßig waren die Züge und so klug und munter blickten die schwarzen Augen daraus hervor. Der Brunnen hat die Form eines großen Würfels mit einer Kuppel darüber, welche ein Kreuz trägt, und ist nach zwei Seiten geöffnet. Frauen und Mädchen mit großen Krügen gingen ab und zu oder standen und saßen plaudernd umher; die vornehme Anmuth ihrer Bewegungen, die Schönheit der meisten Gesichter paßte herrlich zu dem landschaftlichen Reize des Ortes.

Viel besucht ist auch das Kloster Paläokastrizza auf der Westküste der Insel, zu Wagen in drei Stunden erreichbar. Man fährt eine Strecke weit durch flache, mit Oliven bepflanzte Landschaft, bis man sich den westlichen Ausläufern des Monte Salvatore nähert, an deren Felswänden die Straße sich dann bis zur Küste hinzieht. Das Kloster liegt auf einem steil nach dem Meere abfallenden Vorsprung und gewährt einen herrlichen Blick auf die weite blaue See, die felsige, vielfach zerrissene Küste und die nächstgelegenen, in überraschender Farbenpracht heraufleuchtenden Buchten. Die Architektur des Klosters, obwohl an sich unbedeutend, würde mit ihrer ganzen Umgebung eine noch malerischere Wirkung machen, wenn sie nicht der allgemeinen Sitte gemäß durchweg weiß übertüncht wäre. Eine Anzahl Mönche hat daselbst ihren Sitz; der gute Eindruck, den ihre interessanten edel geschnittenen Gesichter und ihr freundliches Wesen auf mich machten, wurde leider durch ihr schmutziges Aeußere etwas abgeschwächt.

Bald nach meinem Besuch Paläokastrizzas verließ ich die Insel. Den Abend vor meiner Abreise machte ich noch einmal den üblichen Spaziergang auf der Strada marina. Die Sonne sandte ihre letzten Strahlen über die Vorstadt Kastrades herüber auf das Meer zu meiner Linken in dem die rothen Abendwolken sich spiegelten. Ich ging weiter am Strande hin bis in die Nähe der Villa Reale, wo es ganz einsam war, und begann hier zu zeichnen. Seitwärts stand ein einzelnes Haus, von einer Palme überragt; auf seiner offenen Veranda saß ein weißbärtiger Alter mit einer jungen Frau, die mit melodischer weithin klingender Stimme ein Lied sang. Es waren die eigenthümlichen langgezogenen Töne der griechischen und albanesischen Volkslieder, welche meist die kriegerischen Thaten berühmter Helden feiern. War ein Vers zu Ende, so hielt die Sängerin inne und der Alte sprach ihr die Worte der folgenden Strophe vor. Kein anderer Laut unterbrach die friedliche Stille, kein Lüftchen bewegte die See; auf dem Hügel vor mir lag der herrliche Park der Villa mit seinen Palmen und dunkeln Cypressen – das war das letzte Bild, welches ich von Korfu mitnahm, und es wird mir unvergeßlich bleiben.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_216.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2020)