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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Das Verlöthen der Kasteln und Stiftchen.


an einer anderen Stelle und beginnt da von neuem.

Beim Tagbetrieb wirft der Arbeiter die gewonnene Masse in eine Futterschwinge und trägt sie in dieser auf eine Halde neben der Grube. Ist Wasser in der Nähe, so vereinigt man den Bergbau mit der Wäsche, andernfalls rollt man die Gangmassen an irgend einen Bach oder Teich, und nun beginnt ein gründlicher Waschprozeß. Die Steine, von ihrer lehmigen Umhüllung befreit, werden ausgelesen und durch Siebe sortiert. Man muß aber nicht glauben, daß sie hier dem Sucher schon entgegenfunkeln und blitzen, sie sehen noch recht unscheinbar aus, und es gehört wirklich ein Kennerauge dazu, um die edlen Steine von den unedlen zu scheiden. Unglaublich zahlreich sind die ganz kleinen Steinchen, voll denen etwa 400 aufs Loth gehen; sie haben nur einen sehr geringen Werth, man benutzt sie wohl als Ziersand in Gärten oder liefert sie an die Apotheken, wo sie die Schrote beim Geschäft des Abwägens ersetzen. Uebrigens leuchten gerade die kleineren Steine nach dem Schliffe mit einem ganz besonderen Feuer, da das Licht das dünnere Massiv ungeschwächter durchdringt und sich deshalb auch lebhafter spiegelt.

Ueber den ungefähren Werth der in Böhmen gegrabenen Rohgranaten schwanken die Angaben so stark, daß wir bester thun, hierüber nichts mitzuteilen. Die gelegentlichen Funde nach starken Regengüssen, von denen ich bereits berichtet habe, sollen nicht unbedeutend sein und sehr oft die besten Steine liefern, und diese Funde sind dem Werthe nach völlig unabschätzbar. Die Bauern, die auf jeden Gewitterregen warten, lieben es, die Funde zu verheimlichen, und sprechen noch weniger gern von den Fundorten.

Es giebt wohl keinen zweiten Edelstein, der eine so ausgebreitete und vielseitige Verwendung fände wie der Granat, die Formen der Granatschmucksachen sind Legion geworden, und gewiß werden es die Leser verständlich finden, wenn ich mich bei Beschreibung der Granatarbeiten an wenige aber typische halte.

Der erste Eindruck beim Betreten einer Granatwarenfabrik ist ein ganz fremdartiger. Die Arbeiter sitzen meist nicht auf gewöhnlicher Stuhlhöhe, sondern tiefer am Fußboden auf niedrigen Schemeln. Die mit je einem halben oder auch einem ganzen Dutzend Menschen besetzten Werkbänke sind breite niedrige Tische mit höchst phantastischen Umrissen. Für jeden Arbeiter ist nämlich in der breiten Tischplatte ein Platz ausgeschnitten, so daß er ein Stück im Tische drinnen sitzt und nur mit dem Oberkörper aus diesem hervorragt. Zudem bedeckt seinen Schoß ein Stück Leder, das auch am Tische befestigt ist und die Verbindung zwischen Tisch und Mensch noch mehr vervollständigt.

Die alten Goldschmiede kannten bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts nur eine einzige Form der Granatfassung, die sogenannte Zargen- oder Kastelarbeit. Man bildete für jeden Stein eine Umfassung aus Goldblech, einen kleinen Behälter, den man sehr richtig auch als „Kastel“ bezeichnete. Dieses Kastel wurde auf die Grundfläche des Schmuckgegenstandes aufgelötet, der Stein eingedrückt und der Rand des Kastels leicht übergebogen. Diese Art der Fassung, die heute noch viel geübt wird, ist sehr haltbar, läßt aber wenig Abwechslung zu und beeinträchtigt die Phantasie der nach neuen Formen suchenden Fabrikanten Die reichen Blatt- und Blüthenformen namentlich in Perlen und Türkisen, wie sie besonders aus dem Orient und Italien kamen, ermunterten die böhmischen Granatarbeiter zu Reformen sie führten die Pavéarbeit ein, bei welcher für jeden Stein ein Loch in das Metall gebohrt wird. Vor etwa vierzig Jahren kam ein Prager Goldschmied auf den Gedanken, diese Art der Fassung sehr zu vereinfachen, ohne dabei die Vorzüge der Pavéarbeit zu beeinträchtigen; er bohrte keine Löcher mehr für die Steine, sondern lötete kleine „Stiftel“ auf den Grund des Schmuckgegenstandes. Zwischen diese durch Bohrung sehr fest verbundenen Stiftel klemmte er die Granaten, was sich als eine sehr haltbare Fassung erwies. Die Hauptsache war, daß er damit einem fast unbeschränkten Formenreichtum Thür und Thor öffnete. Seit jener Zeit hat sich die böhmische Granatindustrie darin fast unerschöpflich erwiesen - Himmel, Erde und Meer, Pflanzen- und Thierreich, alle Völker haben die Vorbilder dazu liefern müssen. Die Einführung der Stiftelarbeit hat sich nach jeder Richtung hin fruchtbar erwiesen, sie hat den Erfindergeist der Arbeiter belebt und den Absatz ins Großartige gesteigert.

Um den Leser mit der Beschreibung umständlicher Arbeiten zu verschonen, schildere ich die Herstellung einer einfachen Kravattennadel in Kleeblattform und in alter einfacher Fassung. Diese Beschreibung wird genügen, um eine Vorstellung von der Fabrikation des Granatschmuckes zu ermöglichen.

Der Arbeiter biegt über ein Drahtzängelchen zunächst drei Ringelchen aus Goldblech genau in der Größe der zur Verwendung kommenden Granaten. Diese drei Ringel legt er in Form eines Kleeblattes mit der Kante nach oben auf ein Stückchen Goldblech, das in Zukunft die Rückseite der Nadel darstellen wird. Mit einer Lösung aus Borax; bereitet er das Metall zum Löthen vor und bestreut dann das Ganze mit klarem Silberloth. Auf einer feuerbeständigen Unterlage aus Asbest führt er das noch sehr locker aneinander gefügte Werkchen an eine Löthflamme, die es rasch zu einem Körper vereinigt. Mit einem Drillbohrer wird jetzt ein Loch an einer Stelle gebohrt, wo zwei Ringel zusammenstoßen, der Arbeiter sticht ein Stückchen Golddraht hinein und verlöthet ihn in gleicher Weise. Der Golddraht bildet den Stiel des Kleeblattes. Ganz das Gleiche geschieht auch mit einer langen Nadel, welche in Zukunft den ganzen Schmuck im Halstuch seines Besitzers festhalten soll.

Der Arbeiter beschneidet und verfeilt das metallene Gehäuse und drückt dann in die drei Kasteln oder Zargen je einen Stein. Die leicht angedrückten Ränder dieser Kasteln halten die Steine fest und bilden die eigentliche Fassung. Doch noch ehe die Steine eingesetzt werden, erhalten sie zwei Unterlagen; die eine besteht aus Messing und ist bestimmt, dem Goldblech etwas mehr Halt zu geben. Bei den nach und nach gesunkenen Preisen des Granatschmuckes sind die Goldbleche immer dünner


Das Polieren der fertigen Schmuckstücke

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_109.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2017)