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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Und endlich bemühte er sich angelegentlich um die Freundschaft Pucks, die ihm denn auch im vollsten Maße zu theil wurde.

Das blieb nicht ohne Einfluß auf Maja, die allmählich ihre Vertheidigungsstellung aufgab und zutraulicher wurde. Sie fing jetzt auch an, zu plaudern und von dem und jenem zu berichten. Die Unterhaltung war im besten Gange, als Wildenrod plötzlich ganz unvermittelt fragte: „Also Sie fürchten sich jetzt nicht mehr vor mir?“

„Ich?“ Die junge Dame wollte entrüstet widersprechen und konnte es doch nicht hindern, daß ihr eine tiefe Röthe ins Gesicht stieg.

„Ja, Sie, mein gnädiges Fräulein! Ich sah es ganz deutlich bei der ersten Begrüßung – oder wollen Sie mir das ableugnen?“

Die Gluth im Gesicht Majas wurde noch tiefer. Er hatte nur zu richtig gesehen, aber sie ärgerte sich über diesen unbequemen Scharfblick und fand es sehr rücksichtslos, daß man ihr das auch noch anzuhören gab.

„Spotten Sie nur, Herr von Wildenrod!“ sagte sie gereizt.

Er lächelte, und es war eigenthümlich, wie seine Züge dabei gewannen. Die düstere Falte auf der Stirn schien sich zu glätten, all die scharfen tiefen Linien milderten sich, und auch die Stimme klang weich, als er erwiderte: „Sehe ich aus, als ob ich spotten wollte? Können Sie das wirklich glauben?“

Maja sah zu ihm auf. Nein, spöttisch waren diese Augen nicht, wenigstens nicht jetzt, aber sie übten wieder denselben Bann aus wie vorhin und ließen den Blick nicht los, den sie festhalten wollten – und da war auch wieder jenes unerklärliche beklemmende Gefühl. Das junge Mädchen fand keine Antwort und schüttelte nur leise das Köpfchen.

„Nicht?“ fragte Wildenrod. „Nun, dann beweisen Sie es mir, daß der Gast, der heute in Ihr Haus gekommen ist, Sie nicht mehr schreckt, und erfüllen Sie mir eine Bitte – wollen Sie?“

„Erst muß ich doch wissen, welche Bitte Sie stellen,“ sagte Maja befangen und mit einem vergeblichen Versuch, den alten muthwilligen Ton wiederzufinden. Wildenrod neigte sich zu ihr, und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab.

„Es nennt Sie hier alles ‚Maja‘, jeder in diesem Kreise hat das Recht, Ihren Namen auszusprechen, der so hold klingt wie kein anderer, sogar diesem – diesem Herrn Runeck ist das erlaubt, ich allein spreche zu dem ‚Gnädigen Fräulein‘. Ich bin ja nicht so kühn, dasselbe Recht zu beanspruchen wie Cäcilie, die Ihnen das schwesterliche ‚Du‘ giebt, aber – darf auch ich Sie ‚Maja‘ nennen?“

Er hatte wie zufällig ihre Hand genommen. Die Bitte war weder so kühn noch so ungewöhnlich, der ältere Mann konnte sich immerhin diese Vertraulichkeit gegen das junge Mädchen erlauben, mit dessen Bruder er sich verschwägerte, dennoch zögerte Maja mit der Antwort, zögerte so lange, daß er vorwurfsvoll fragte: „Sie verweigern es mir?“

„O nein, gewiß nicht, Sie sind ja der Bruder Cäciliens, Herr von Wildenrod.“

„Jawohl, und der Bruder Cäciliens hat noch einen anderen Namen, den er nun auch von Ihnen hören möchte, Maja – ich heiße Oskar!“

Es erfolgte keine Antwort, aber die kleine Hand zuckte in der seinigen und versuchte, sich frei zu machen; doch vergebens, er hielt sie fest. „Sie wollen nicht?“

„Ich – ich kann nicht!“ Es lag eine beinahe angstvolle Abwehr in den Worten, Oskar lächelte wieder.

„Ist das denn so schwer? Doch ich will Sie nicht drängen! Einstweilen ist mir Ihre Erlaubniß genug. Ich danke Ihnen dafür, Maja.“

Er ließ mit sanftem Druck ihre Hand los. Maja! Wie seltsam er den Namen aussprach, es war ein Klang, der das junge Mädchen mit einer nie gekannten Empfindung durchschauerte, süß und beängstigend zugleich. Sie athmete wie erlöst auf, als Erich herantrat und scherzend sagte: „Ich glaube, Oskar, Du machst unserer kleinen Maja hier den Hof.“

„Vorläufig mache ich nur die künftige Verwandtschaft geltend,“ war die heitere Antwort. „Maja hat mir soeben erlaubt, das ‚Gnädige Fräulein‘ beiseite zu lassen. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen?“

„Nicht das Geringste,“ meinte Erich lachend. „Du wirst vermuthlich mit vieler Würde bei unserer Kleinen den Onkel spielen. Sieh nur zu, daß Du sie in Ehrerbietung erhältst!“

Ueber Oskars Züge flog bei dieser harmlosen Auffassung ein eigener Ausdruck, aber er entgegnete nichts darauf. Maja hatte die letzten Worte gar nicht gehört, sie war zu ihrem Vater geeilt, der sich den beiden älteren Damen zugesellt hatte. Mit einer fast ungestümen Bewegung schmiegte sie sich an ihn, als wollte sie in seinen Armen Schutz suchen, Schutz vor einer unbekannten Gefahr, die noch fern im Dunkel lag und doch schon einen Schatten hereinwarf in die helle Gegenwart.

Cäcilie saß noch am Kamin, und auch Runeck hatte seinen Platz nicht verlassen, der „steinerne Gast“, wie Cäcilie vorhin ihrem Verlobten spottend zugeflüstert hatte. Egberts Schweigsamkeit war in der That auffallend gewesen, wenigstens für Erich und Maja. Baroneß Wildenrod fand sie im Grunde natürlich; der junge Mann fühlte sich offenbar fremd in dem Kreise, in den er doch von Rechts wegen nicht gehörte, und die ihm mit dieser Einladung erwiesene Gunst drückte ihn wahrscheinlich mehr, als sie ihn erfreute. Cäcilie theilte in diesem Punkte vollständig die Ansichten ihres Bruders und wie dieser hatte sie bisher nur sehr flüchtig von dem jungen Ingenieur Notiz genommen. Doch war es ihr nicht entgangen, daß er sie beobachtete; sie nahm das selbstverständlich für Bewunderung und ließ sich deshalb jetzt gnädigst zu einer Unterhaltung herbei.

„Sie kannten also meinen Bruder bereits, Herr Runeck? Das ist ja ein merkwürdiges Zusammentreffen!“

„In einer großen Stadt doch wohl nicht,“ war die ruhige Antwort. „Uebrigens war es nur eine sehr flüchtige Begegnung, deren sich Herr von Wildenrod, wie Sie gehört haben, gar nicht mehr entsinnt.“

„Er war vor drei Jahren in Berlin? Ich erinnere mich – er kam von dort nach Lausanne, um mich aus der Pension abzuholen. Aber ich glaube, Oskar liebt die Reichshauptstadt nicht besonders. Sie waren längere Zeit dort, Herr Runeck?“

„Mehrere Jahre, ich studierte in Berlin.“

„Ach so! Nun, ich werde es ja im nächsten Winter an Erichs Seite auch kennenlernen. Das Gesellschaftsleben soll glänzend sein, zumal in der Hochsaison.“

„Darüber kann ich leider keine Auskunft geben,“ sagte Egbert kühl. „Ich war in Berlin, um zu lernen und zu arbeiten.“

„Aber das nimmt doch nicht die ganze Zeit in Anspruch?“

„Jawohl, gnädiges Fräulein, die ganze Zeit.“

Die Antwort klang sehr bestimmt, beinahe schroff; sie mißfiel Cäcilien gründlich, noch mehr aber mißfiel ihr der, welcher sie aussprach und den sie sich bei dieser Gelegenheit zum ersten Male genauer ansah. Dieser Jugendfreund Erichs war im Grunde eine recht abstoßende Erscheinung! Zwar gab ihm die hohe mächtige Gestalt ein gewisses Uebergewicht, aber sie paßte doch ganz und gar nicht für den Salon. Dazu diese unschönen unregelmäßigen Züge, in denen alles so hart und scharf ausgeprägt war; und die starre unverbindliche Haltung, die sich auch jetzt nicht milderte, wo man doch geruhte, ihn in das Gespräch zu ziehen. Jene Antwort klang ja beinahe, als wollte dieser Runeck ihr, der Baroneß Wildenrod, eine Lehre geben. Sie bemerkte zu ihrem Erstaunen, daß hier von Schüchternheit und Gedrücktheit keine Rede war, und fühlte jetzt auch, daß es nicht Bewunderung war, die in jenen kalten grauen Augen lag – ein feindseliger Strahl leuchtete darin auf. Aber was eine Andere befremdet und vielleicht bestürzt gemacht hätte, das gerade reizte Cäcilie Wildenrod, und anstatt das Gespräch fallen zu lassen, nahm sie es wieder auf.

Sie stemmte die zierlichen Füße gegen das Kamingitter und lehnte sich tief in den Armsessel zurück, es war eine nachlässige, aber unendlich graziöse Stellung. Die späte Nachmittagsstunde und das dunkle Regengewölk draußen schufen in diesem Theile des Salons schon eine Dämmerung, und das bald aufflackernde bald zusammensinkende Feuer warf seinen Schein auf die schlanke Gestalt in dem hellen spitzenbesetzten Seidenkleid, auf die Rosen, die sie an der Brust trug, und auf den schönen Kopf, der sich an die dunkelrothen Polster schmiegte.

„Mein Gott, wie werde ich mich in diesem Odensberg zurechtfinden!“ sagte sie seufzend. „Das dritte Wort hier ist: ‚Arbeit!‘

Man scheint überhaupt gar nichts anderes zu kennen. Ich leichtsinniges

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_071.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)