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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Herr und ich dulde keine Nebenregierung, weder eine offene noch eine geheime, das sage Deinen Herren Parteigenossen, wenn sie es noch nicht wissen sollten. Doch was hast Du Dir eigentlich gedacht, als Du mit solchen Ansichten hierher zurückkamst? Du kennst mich doch! Warum bliebst Du nicht in England oder in Berlin und sagtest mir von dort aus die Fehde an?“

Egbert antwortete auch jetzt nicht, allein es war nicht jenes trotzige Schweigen wie vorhin, in dem zehn Widersprüche lagen; jetzt sank sein Auge zu Boden und eine dunkle Röthe stieg ihm langsam bis in die Stirn. Dernburg sah das und sein eben noch so finsteres Gesicht hellte sich auf, es dämmerte sogar etwas wie ein leises Lächeln darin auf, als er in milderem Tone fortfuhr:

„Nun, wir wollen annehmen, es sei Anhänglichkeit an mich und meine Familie gewesen. Erich und Maja sind Dir ja auch zugethan wie Geschwister. Aber, ehe Du uns wirklich verloren gehst, sollst Du doch wissen, was Du aufgiebst und welche Zukunft Du Dir verschüttest mit Deinen tollen Streichen.“

Runeck sah ihn fragend an, er errieth offenbar nicht, wohin die Worte zielten. „Sie meinen –?“

„Ich meine Erichs Gesundheit, die mir noch immer ernste Sorgen macht. Wenn die Gefahr für sein Leben auch beseitigt ist, die völlige Genesung hat er im Süden nicht gefunden. Er wird immer der Schonung bedürfen, sich nie einer angestrengten Thätigkeit hingeben können, und überdies ist er eine weiche unselbständige Natur, allen möglichen Einflüssen zugänglich. Ich kann es mir nicht verhehlen, daß er seiner dereinstigen Stellung nicht gewachsen ist, und ich will, wenn ich einmal die Augen schließe, meine Schöpfung gesichert und in kraftvollen Händen wissen. Dem Namen nach wird Erich mein Nachfolger, der That nach muß es ein anderer sein – und dabei hatte ich auf Dich gerechnet, Egbert.“

Egbert zuckte zusammen, und in seinen Zügen prägte sich eine beinahe angstvolle Ueberraschung aus. „Auf mich! Ich soll –?“

„Dereinst die Zügel in Odensberg führen, wenn meine Hand es nicht mehr kann,“ ergänzte Dernburg. „Von allen, die ich in meiner Schule herangebildet habe, hat nur einer das Zeug dazu und der will mir jetzt all meine Zukunftspläne über den Haufen werfen. Meine Maja ist noch ein halbes Kind, ich kann es nicht voraussehen, ob ihr dereinstiger Gatte für eine solche Stellung taugt, obgleich ich es dringend wünsche. Ich gehöre nicht zu den Narren, die sich für ihre Töchter irgend einen Grafen- oder Freiherrntitel kaufen, mir gilt nur der Mann, gleichviel welche Stellung er einnimmt und aus welchen Verhältnissen er hervorgegangen ist, vorausgesetzt, daß ihm die Neigung meines Kindes entgegenkommt.“ Er sagte es langsam, aber mit vollem Nachdruck.

Es war eine blendende Verheißung, die da nur halb ausgesprochen und doch deutlich genug vor dem jungen Manne auftauchte, und er verstand sie nur zu gut. Seine Lippen zuckten, mit einer raschen Bewegung trat er einige Schritte näher und sagte gepreßt:

„Herr Dernburg – schicken Sie mich fort!“

Jetzt flog ein Lächeln über Dernburgs Züge, er legte dem Erregten die Hand auf die Schulter.

„Nein, mein Junge, das thue ich nicht. Erst wollen wir beide es noch einmal miteinander versuchen. Vorläufig übernimmst Du die Radefelder Leitung, ich werde Dir genügende Selbständigkeit dabei sichern. Wenn wir alle verfügbaren Arbeitskräfte heranziehen, können wir bis zum Herbste fertig sein. Willst Du?“

Egbert kämpfte offenbar mit sich, es vergingen einige Sekunden, ehe er antwortete, dann sagte er halblaut:

„Herr Dernburg, das ist ein Wagniß – für uns beide!“

„Möglich, aber ich will’s wagen mit Dir, und ich denke, mit Deiner Volksbeglückung wird es auch nicht solche Eile haben, daß Du Dir die Sache nicht noch ein paar Monate lang überlegen kannst. Einstweilen schließen wir Waffenstillstand. Und nun geh’ zu Erich! Ich glaube, er hat eine heillose Angst vor dem Ausgang unseres Gesprächs, und Maja wird sich auch freuen, Dich wieder einmal zu sehen. Du bist ja immer draußen in Radefeld. Heute aber fährst Du erst abends hinaus und bleibst zu Tische. Abgemacht!“

Er reichte ihm die Hand, und Egbert legte schweigend die seinige hinein. Man sah es, wie die Güte des sonst so strengen und unbeugsamen Mannes auf ihn wirkte und vielleicht mehr noch die Erkenntniß, was er diesem Manne werth war, der so zu ihm sprach. Dernburg hatte das rechte Mittel ergriffen, das einzige, das hier Erfolg versprach. Er forderte kein Versprechen und kein Opfer, die jedenfalls verweigert worden wären, aber er zeigte seinem trotzigen Günstling unbedingtes Vertrauen und nahm ihm damit die Waffen aus der Hand.




Die Dernburgschen Eisen- und Stahlwerke hatten einen Weltruf und konnten sich in der That den größten dieser Art zur Seite stellen. Odensberg lag in einem der Waldthäler des Gebirges, dessen Hauptreichthum in seinen unerschöpflichen Erzgruben bestand, und der Vater des jetzigen Besitzers hatte vor einem Menschenalter hier ein einfaches Eisen- und Hüttenwerk gegründet, das sich mit den Jahren immer mehr erweitert hatte. Den eigentlich großartigen Aufschwung aber nahm es erst unter seinem Sohne, der die jetzigen Werke mit ihrer riesigen Ausdehnung schuf. Er brachte nach und nach die sämmtlichen Gruben und Hütten der Umgegend in seinen Besitz, zog alle Arbeitskräfte an sich und gab seiner Schöpfung eine Ausdehnung, daß er das industrielle Leben der ganzen Provinz beherrschte.

Es gehörte freilich eine ungewöhnliche Thatkraft dazu, ein solches Unternehmen zu schaffen und zu leiten, aber Dernburg war der Aufgabe gewachsen. Er hatte ein ganzes Heer von Ingenieuren, Technikern und Verwaltungsbeamten, indessen der Direktor wie der letzte Arbeiter wußten, daß alle Fäden in der Hand des Herrn zusammenliefen, daß er alles Wichtige selbst entschied und beschloß. Dieser Herr galt allerdings für streng und unbeugsam, aber auch für ebenso gerecht, und wenn er sich der ganzen Macht seiner Stellung bewußt war, so hatte er auch einen hohen Begriff von seinen Pflichten.

Die Einrichtungen, die er zum Besten seiner Arbeiter geschaffen hatte, standen an Großartigkeit denen seiner Werke nicht nach und wurden überall als mustergültig gepriesen. Sie waren nur einem Manne möglich, der über Millionen verfügte und mit seinem Reichthum nicht kargte, wenn es galt, für seine Untergebenen zu sorgen. Aber Dernburg forderte dafür auch unbedingte Unterordnung unter seinen Willen und stemmte sich wie ein Fels der neuen Zeit entgegen, welche freie Ueberzeugung für jeden einzelnen fordert. In Odensberg kannte man keine Auflehnung, keine Streitigkeiten und Kämpfe wie in den anderen Industriestätten. Man wußte, daß der Chef sich nichts abzwingen ließ, die Leute verloren mit der Arbeitsstelle auch die gesicherte Zukunft für sich und ihre Familien – so konnten all die Aufreizungen von außen, an denen es auch hier nicht fehlte, keinen Boden gewinnen und, wenn sie auch hie und da Gehör fanden, doch keinen wirklichen Erfolg davontragen.

Und dieser Mann, der die verkörperte Kraft war, besaß einen einzigen Sohn, um dessen Leben er fortwährend bangen mußte. Erich war von seiner frühesten Jugend an zart und kränklich gewesen, und jener Sturz in das Wasser, den seine eigene Unvorsichtigkeit verschuldet, hatte ihm eine lebensgefährliche Krankheit zugezogen, die monatelang dauerte. Zwar gelang es, ihn am Leben zu erhalten, aber völlig erholte er sich nicht wieder, und vor zwei Jahren hatten sich sehr bedenkliche Anzeichen eingestellt, ein Bluthusten, der Erichs schleunige Entfernung aus dem rauhen Klima der Heimath und einen längeren Aufenthalt im Süden nothwendig machte.

Das eigenthümliche Verhältniß, in dem der Lebensretter des jungen Erben zu dem Dernburgschen Hause stand, war in Odensberg von jeher ein Gegenstand der Verwunderung und vielfach auch des Neides gewesen. Egbert Runeck, der Sohn eines Arbeiters, welcher bei den Eisenhütten angestellt war, hatte seine Jugend in den einfachsten Verhältnissen verlebt und war ganz in dem Kreise aufgewachsen, dem seine Eltern angehörten. Wenn er trotzdem mehr lernte als alle seine Altersgenossen, so verdankte er das in erster Linie den vortrefflichen Schulen, die Dernburg für die Kinder seiner Arbeiter errichtet hatte und denen er eine eingehende Fürsorge zuwendete. Der ungewöhnlich begabte Knabe mit seinem eisernen Fleiße hatte schon früher die Aufmerksamkeit des Chefs erregt, und als er diesem nun vollends den einzigen Sohn rettete, war seine Zukunft entschieden. Er theilte den Unterricht Erichs, wurde fast als ein Kind des Hauses betrachtet und endlich zu seiner weiteren Ausbildung nach Berlin gesandt. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_039.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)