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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

er sich wahrscheinlich für dieses Geld ein Lotterielos kaufen, und er hätte dabei vielleicht etwas bessere Aussicht auf Gewinn als mit seinem runzligen Wurzelmännchen.

Der mystische Ruf des Alrauns verlor sich früher als der medizinische, und auch der letztere blieb nicht unangefochten. Denn schon um 1700 erging ein Verbot, die Mandragora als schmerzstillendes Mittel bei Operationen zu gebrauchen; sie war zu lebensgefährlich, und viele mögen aus der Betäubung durch dieses Mittel niemals wieder erwacht sein! In anderen Verwendungen, als Schlafmittel z. B., fristete sie noch einige Zeit ihr Dasein; Alraunöl sollte immer noch gut sein zur Erweichung von Geschwülsten, ja, man empfahl den Apothekern, die Alraunsalbe alljährlich frisch von Montpellier kommen zu lassen, da sie sonst ihre Kraft verliere.

Indessen, der Aberglaube ist zäh. Noch im Jahre 1704 wußte der Gießener Arzt und Universitätsprofessor Valentini in seiner „Natur- und Materialienkammer“ von Aberglauben und Hexereien zu erzählen, die mit der Alraunwurzel getrieben wurden. „Scheinet noch von den Heyden her gekommen zu seyn,“ meint er, „bei welchen die Circe sich dieses Gewächses auch soll bedient haben, weswegen es auch ‚Circaea‘ genennet wird. Vor einigen Jahren hab dergleichen Männlein bey Herrn Peikenkamp, einem sehr kuriosen Physico zu Marburg, gesehen, so auff der Cantzley einem verdächtigen Mann war abgenommen worden, welchem es Geldt soll gebracht haben. Allein dem ehrlichen Herrn Peikenkamp wollte es nichts bringen, indem er mit dem armen Teuffel nichts zu thun hatte.“

Ja, selbst in unseren Tagen ist im Volke noch ein Nachhall von dem Glauben an die Alraunmännchen lebendig. Die untere Abbildung auf S. 29 stellt ein paar Alraunwurzeln dar, wie solche gegenwärtig unter dem Namen „Glücksmännchen“ im Wallfahrtsort Mariazell in Steiermark verkauft werden. Die Wallfahrer pflegen dieselben weihen zu lassen und betrachten sie als glückbringend. Und am Johannistag suchen abergläubische Landleute auf feuchten Waldwiesen heimlich nach dem dort wachsenden „Gefleckten Knabenkraut“, auch „Ragwurz“ genannt (Orchis maculata L.). Seine fingergliedgroße Wurzelknolle ist handförmig gespalten. Die graben sie zur Mittagsstunde schweigend mit einem Messer aus und legen sie in ein leinenes Tuch, das zugenäht wird. Mit der Hand darf die Wurzel ja nicht berührt werden! Sie wird sodann im Hause aufbewahrt oder am Leibe getragen, mit Vorliebe im Geldbeutel – denn diesem soll sie, wie die Alraunwurzel, in erster Linie Vortheil bringen. Und es ist ja auch gar kein Zweifel, daß sich beide in Beziehung auf ihre Wirkung vollkommen gleichwerthig sind!

Eine Zauberhand giebt es freilich, die dem, der sie besitzt, mit Sicherheit Glück, Zufriedenheit und damit wahren Reichthum bringt: das ist die geschickte und arbeitsame Menschenhand! Und wer sie hat, der braucht damit nicht heimlich zu thun, sondern kann stolz darauf sein. Schon das ist ein Vorzug vor jener anderen – der Wurzelhand.




Auf Geben und Nehmen.

Novelle von Johannes Wilda.
(1. Fortsetzung.)


Herr Jaspersen trat unter die Hausthür. „Mutter!“ rief er hinein, „bring doch ’mal ein bißchen Honig und etwas dazu, wir haben einen Gast!“

Gleich darauf erschien eine schlicht gekleidete Dame; als sie den Fremden erblickte, machte sie schleunigst kehrt, kam aber gleich darauf zurück; sich im Gehen glättend über das Haar streichend. Herbert bemerkte, daß sie die Schürze gewechselt hatte.

„Meine Frau,“ stellte der Lehrer vor.

Die bewegliche Dame, die nicht minder freundlich dreinschaute als ihr Gatte, reichte dem Lieutenant mit unbefangener Natürlichkeit die Hand, und dieser erwiderte den herzlichen Druck nicht ohne Verlegenheit.

„Und hier, das ist Herr -“ der Lehrer sah Herbert fragend an, worauf dieser mit einer Verbeugung ergänzte: „Ich heiße Gebhardt.“

„Marinelieutenant, nicht wahr?“ fuhr Jaspersen gemüthlich fort, denn er hatte den Beruf des Fremden trotz des Civils bald herausgefunden.

„Ja, Lieutenant zur See.“

„Also der Herr Lieutenant will unseren Honig ’mal versuchen, Mama. Aus der langen Kruke auf dem linken Bord, weißt Du!“

Frau Jaspersen holte den Honig und setzte dann nicht ohne gesellschaftliche Gewandtheit das Gespräch mit dem Gaste fort. Sie besaß entschieden mehr Form als der Gatte, ohne doch der Behaglichkeit zu entbehren; dabei lag etwas in ihren feinen Zügen und schönen Augen, was auf die Tochter vererbt sein mochte.

Ja, die Tochter, wo blieb die nur? Aus der unbefangenen Art, mit der er hier aufgenommen wurde, glaubte Herbert mit Sicherheit schließen zu können, daß Hilde nichts verrathen hatte, und dieweil er geruhig seinen Honig verzehrte, schwellte wieder ungetrübte Kühnheit seine Brust. Jetzt wollte er unbedingt bleiben, bis sie käme! Wenn sie doch bald käme! – –

Während Herbert nun im Laufe der Unterhaltung durch seine ungezwungene frische Art das Herz seiner Gastfreunde im Sturme gewann, that eine andere wichtige Persönlichkeit ebenfalls das Ihrige, um das Netz der Verwicklungen fester zu knüpfen.

Hilde hatte eine jener unruhigen Nächte hinter sich, wie sie junge Mädchen zuweilen verbracht zu haben glauben. Sie seufzen anfänglich viel und behaupten dann, infolgedessen kein Auge geschlossen zu haben, obgleich Mond und Sterne ihre herzliche Freude an den gesunden lieblichen Schläferinnen hatten.

Mit dem Bewußtsein, ein schweres Geheimniß vor den Eltern zu verbergen, war Hilde gestern abend zur Ruhe gegangen. Aber konnte sie ihre Schmach irgend jemand mittheilen? Ein wildfremder Mann, ein Offizier, hatte sie geküßt – großer Gott, wenn das ruchbar wurde, so durften alle Leute mit Fingern auf sie zeigen!

Und als sie sich dann in erregtester Stimmung auskleiden wollte, hatte sie sich an einem spitzen Gegenstand heftig geritzt. Bei vorsichtigem Schütteln war dieser Gegenstand, der sich zu ihrem Schrecken als eine kostbare reizende Herrennadel erwies, auf den Fußboden ihres Giebelkämmerchens gefallen. Aengstlich hatte sie das Schmuckstück aufgehoben. Wie kam sie zu der Nadel? War diese bei dem frechen Ueberfall zufällig an ihr haften geblieben oder hatte der Unbekannte die Unverschämtheit soweit getrieben, sie ihr als Geschenk zuzustecken? Mit einer heftigen Bewegung hatte sie das gefährliche Ding in die Ecke geworfen.

Nachdem Hilde dann Schlummer gefunden, träumte ihr, daß unabsehbare Scharen von Marineoffizieren auf sie eindrängen, die alle sie küssen wollten, wobei jeder eine Ankernadel wie einen Dolch gegen sie zückte. Sie wies die Zudringlichen kräftig zurück, nur ein Einziger schaute sie, als er vor ihr stand, so demüthig bittend an, daß sie nicht wagte, ihn abzuwehren. Dieser Traum spann sich bis zum Morgen fort. Da erwachte sie, weil ihr die Sonne hell ins Gesicht schien, und mit zorniger Scham ward sie sich bewußt, daß der Einzige, dem sie in ihrem Traume die Annäherung verstattet, gerade die Züge des schrecklichen Mannes getragen hatte, der sie so unglücklich gemacht, den sie haßte, verachtete.

Und kaum hatte sie sich erhoben und zum Frühstück in den Garten begeben, da wartete ihrer eine neue Ueberraschung. Ein Dorfjunge überbrachte ihr das Buch, das sie gestern bei ihrer hastigen Flucht zurückgelassen hatte, und als sie es aufschlug, hätte sie es vor Schrecken beinahe fallen lassen. Der Unverschämte! Dieser Fremde wagte es, auf einem Blatte, das hier in jedermanns Hände kommen konnte, sie um Verzeihung zu bitten und gar noch eine Blume dazuzulegen. Schon war sie entschlossen, das Blättchen zu zerreißen und die Blume fortzuwerfen, da besann sie sich eines anderen – sie legte beides in das Buch zurück und trug es in ihr Zimmerchen.

Dort ging sie mit sich selbst zu Rathe. Was sollte sie thun, was sollte sie vor allem mit dieser unglückseligen Nadel beginnen? Behalten konnte sie dieselbe ja doch unmöglich! Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Wenn sie den Anker zu der Bank droben zurückbrachte, dann war sie aller Verantwortung enthoben; mochte dann damit geschehen, was da wollte!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_031.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2020)