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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Naturforscher, daß man die Naturgesetze der wirklichen Beobachtung der Thatsachen und nicht eigenen Gedanken anzupassen habe, aber man war taub gegen diese Mahnung.

Als ein im Jahre 1768 gefallener Meteorstein der Pariser Akademie vorgelegt wurde, erklärte Lavoisier, der Begründer der modernen Chemie, es sei ein vom Blitz getroffener irdischer Stein. Am 24. Juli 1790 ereignete sich ein Steinfall zu Juillac im Departement Landes. Die Leute sahen abends nach 9 Uhr das leuchtende Meteor am Himmel, man hörte eine Explosion, als ob viel großes Geschütz abgefeuert würde; die Lufterschütterung war dabei so groß, daß die Fenster zitterten und einige sich öffneten und es ein Erdbeben zu sein schien; man hörte hierauf noch ein anhaltendes Getöse, bemerkte auch einen Schwefelgeruch und fand die gefallenen Steine. Die Anzahl derselben war sehr groß; manche waren über 20 Pfund schwer und 2 bis 3 Fuß tief in die Erde gedrungen. Die Gemeindebehörde ließ höchst vernünftiger- und lobenswertherweise ein Protokoll aufnehmen, welches gegen 300 Personen unterzeichneten. Das Dokument wurde der Pariser Akademie vorgelegt, aber hier erregte es nur Hohn und Spott: man fand eine obrigkeitlich beglaubigte Urkunde über einen derartigen Blödsinn sehr – unterhaltend, und Bertholon hatte Mitleid mit den armen Bethörten!

Allerdings muß man dabei betonen, daß die Berichte von den Meteorsteinen oft übertrieben waren und wirklichen Aberglauben enthielten. Der römische Kaiser Heliogabal verehrte einen Meteorstein, auf dem ein Bild der Sonne sichtbar sein sollte. Die unregelmäßigen Streifen auf der schwarzen Rinde der in Arabien gefallenen Steine wurden für eine mit arabischen Buchstaben geschriebene Adresse gehalten an den, der davon sollte totgeschlagen werden, und von einem bei Nörten unweit Göttingen gefallenen Steine hieß es, man habe auf demselben „Menschenangesichter mit dicken Krollen um den Hals, etliche mit Türkenköpfen, mit türkischen Bünden und Hüten gesehen.“ Auch Uebertreibungen der Größe und Dauer der Erscheinung kamen vor. Immerhin aber durften die hervorragendsten Naturforscher jener Zeit, deren Namen so hell am Himmel der Wissenschaft leuchten, nicht vergessen, daß es gerade ihre Aufgabe war, in diesen Berichten den Weizen von der Spreu zu scheiden.

Endlich sollte vor just hundert Jahren ein Ritter des Geistes erstehen, der sich kühn gegen den Aberglauben der Gelehrten wandte. Wittenberg a. d. Elbe, berühmt aus der Zeit der Reformation, hatte damals noch seine Universität, die erst im Jahre 1815 mit der in Halle vereinigt wurde. In Wittenberg wirkte ein Sohn des Professors der Rechte Chladenius, der berühmte Ernst Florens Friedrich Chladni, bahnbrechend auf dem Gebiete der Physik, indem er zum Begründer der Akustik wurde. Die Chladnischen Klangfiguren, welche durch losen Sand auf einer von Tönen in Schwingungen versetzten Platte erzeugt werden, sind jedem Schüler bekannt.

Chladni war mit einem andern hervorragenden deutschen Naturforscher befreundet, mit Georg Christoph Lichtenberg, der als Professor in Göttingen wirkte und nicht nur durch seine Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektricität, sondern auch durch die satirische und witzige Art, in der er schrieb, bekannt wurde. Eine Begegnung der beiden Männer sollte eine neue Aera in der Erforschung der Meteore herbeiführen. Chladni schrieb selbst darüber: „Die erste Veranlassung verdanke ich einer Unterredung mit Lichtenberg, wiewohl dieser damals noch nicht wußte, daß jemals feste Massen vom Himmel gefallen wären, und also hiervon bei ihm nicht die Rede sein konnte. Schon früher war er einmal Geburtshelfer meiner Ideen gewesen, indem er durch seine elektrischen Figuren bei mir die Vermuthung erregt hatte, daß die Schwingungen einer Fläche sich würden durch ausgestreuten Sand sichtbar machen lassen, ungefähr wie die verschiedenen Elektricitäten auf einer Harzscheibe durch ausgestreuten Harzstaub. Als ich im Jahre 1792 in Göttingen war, hatte ich öfters Gelegenheit, mich mit ihm zu unterhalten, wo er dann von seinem Reichthum origineller Ideen gern einiges mittheilte.“

Die beiden Forscher sprachen auch über die Feuerkugeln, die als Meteorerscheinungen nicht geleugnet werden konnten. Lichtenberg hielt sie für elektrische Erscheinungen kosmischen Ursprunnnnngs. Seine Ausführungen befriedigten jedoch Chladni nicht.

Er blieb drei Wochen länger in Göttingen und sammelte in der dortigen Bibliothek mit dem größten Eifer alle Nachrichten über Feuerkugeln, deren er habhaft werden konnte. Auf Grund dieser geschichtlichen Studien gewann er die feste Ueberzeugung, „daß öfters Stein- und Eisenmassen zufolge einer Feuerkugel mit vielem Getöse herabgefallen waren, wo dann aus allen Umständen sich schließen ließ, daß sie unmöglich etwas anderes als Ankömmlinge aus dem allgemeinen Weltraum sein konnten.“

Chladni, der in den wissenschaftlichen Anschauungen seiner Zeit fußte, kam das Ergebniß seiner Studien so fremdartig vor, daß er anfangs Bedenken trug, eine Abhandlung darüber zu veröffentlichen. Nach gründlicher Ueberlegung that er es aber doch in einer im Jahre 1794 erschienenen Schrift und er stellte darin die oben erwähnten Sätze nicht als Vermuthung, sondern als Behauptung auf.

Die wissenschaftliche Welt war erstaunt und zugleich betrübt. Lichtenberg, der Freund Chladnis, sagte, es sei ihm bei dem Lesen der Schrift anfangs so zu Muthe gewesen, als wenn ihn selbst ein solcher Stein am Kopfe getroffen hätte, und er habe gewünscht, daß Chladni sie nicht geschrieben hätte. Späterhin wurde Lichtenberg überzeugt, meinte, daß die Aërolithen Auswürflinge der Mondvulkane seien, und schrieb im Jahre 1797 in seiner launigen Weise, der Mond sei ein unartiger Nachbar, weil er mit Steinen nach uns werfe.

Andere vermutheten sogar, daß Chladni wohl nur eine so paradoxe Meinung hingeworfen und mit allen möglichen Scheingründen aufgestutzt haben möchte, um, wenn die Physiker es von der ernsthaften Seite nähmen, sich über sie alle lustig zu machen. Dem fetzte Chladni die schönen Worte entgegen: „Wenn mich eine solche Laune angewandelt hätte, so würde ich sie doch lieber an Thorheiten als an physikalischen Gegenständen ausgelassen haben, da meines Erachtens Naturforschung und überhaupt Untersuchung der Wahrheit gewissermaßen als etwas Heiliges anzusehen ist, das schlechterdings nicht durch muthwillige Aufstellung falscher Behauptungen entweiht werden darf.“

Von vielen Seiten angefeindet, fand Chladni dennoch Genugthuung in der Anerkennung von seiten einiger hervorragender deutscher Gelehrten. Der berühmte Astronom Zach äußerte mündlich zu Chladni, daß er mit seinen Ausführungen einverstanden sei; als Chladni die Aërolithen „Weltspäne“ nannte, lächelte er zwar, fand aber den Ausdruck nicht unangemessen. Der Astronom Olbers bekannte sich bereits im Jahre 1795 zu der Anschauung Chladnis, und Werner, der Vater der Geologie, erklärte beim ersten Anblick der ihm vorgelegten Meteorsteine, sie seien nicht irdischen Ursprungs.

Auch der Himmel unterstützte Chladni in seinem Kampfe gegen das mächtige Vorurtheil der Weisen, indem er bald darauf den Ungläubigen einige Steinfälle herabsandte. Schon am 16. Juni 1794 fielen Steiue bei Siena; Engländer kauften sie auf und untersuchten sie chemisch; am 13. Dezember wurde die Naturerscheinung in Waldcottage in Yorkshire beobachtet.

Zu den deutschen Vorkämpfern gesellten sich englische; nur in Frankreich, in der Pariser Akademie, wollte man nicht an den Wahn glauben, daß etwas vom Himmel fallen könne, bis der Himmel selbst mit den Franzosen ein Einsehen hatte und am 26. April 1803 bei l’Aigle in der Normandie mit einem Feuermeteor unter großem Getöse über 2000 Steine herabregnen ließ. Als der Maire des Ortes dieses Ereigniß amtlich meldete, wurde zwar in einer Pariser Zeitung die Gemeinde zu l’Aigle bedauert, daß sie einen so unaufgeklärten Maire habe, daß er solche Albernheiten glauben könne, aber die Pariser Akademie der Wissenschaften sandte diesmal ihr jüngstes Mitglied, den scharfdenkenden Biot, nach dem Orte des Steinfalles ab, und der Bericht Biots lautete dahin, daß die Akademie in diesem Streite die Waffen zu strecken habe. „So wich endlich,“ wie ein Zeitgenosse (Benzenberg) sich treffend ausdrückte, „die Aufklärung, die das Herunterfallen geleugnet hatte, vor der größeren Aufklärung, die das Herunterfallen der Steine glaubte.“ C. Falkenhorst.     


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_439.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2024)