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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Ein Götzenbild.

Roman von Marie Bernhard.
(Schluß.)
23.

Dudu führte Stella Brühls neuen Wagen langsam, langsam vor dem Ausstellungsgebäude auf und ab. Es war ein auffallendes Gefährt: ein ganz hohes Gestell von hellem Holz mit vier gewaltigen Rädern, der Sitz mit blaßgrauem Atlas gepolstert, die Pferde kohlschwarz. Man zeigte einander das Fuhrwerk hier draußen ebenso, wie man einander drinnen die Besitzerin desselben zeigte.

Die vorliegenden dunkeln Augensterne in dem schwarzen Gesicht des Mohrenknaben gingen oft von den Pferdeköpfen ängstlich nach dem säulengeschmückten Eingang des Ausstellungsgebäudes hinüber – Missie Stella spaßte nicht! Sowie sie dort heraustrat, mußte er sofort zur Stelle sein – aber die Pferde durfte er auch nicht stehen lassen, sie hatten sehr viel Temperament und nahmen es schon übel, jetzt im Schritt gehen zu müssen. –

Die Ausstellung war seit ein paar Tagen eröffnet, Stella war jeden Tag da. Die „Eos“ hatte einen kolossalen Erfolg.

Andrees Name war auf aller Lippen. Die Zeitungen brachten ausführliche Besprechungen des Gemäldes, die Kritiker lobten viel und tadelten wenig. Immer war eine große Menschenmenge davor versammelt, es war, wie vorauszusehen, der Hauptanziehungspunkt der ganzen Veranstaltung geworden. Und die Hamburger freuten sich natürlich, daß ein Kind ihrer Stadt, eine junge Schönheit, die sie alle kannten, hier als Göttin, als Morgenröthe zu sehen war, und zeigten sie den zugereisten Fremden mit Stolz. Besonders interessant war es, das Original mit dem Bilde zu vergleichen, und das konnte man jeden Tag thun, denn das Original war sehr oft in der Ausstellung anzutreffen. Ebenso Mynheer van Kuythen, der jedem, welcher es etwa noch nicht wußte, erzählte – laut genug, daß alle Umstehenden es hören konnten, in deutscher, in holländischer und in englischer Sprache: das seien seine Pferde, die da vor den Wagen der Göttin gespannt seien, und der Maler sei wochenlang täglich zu ihm gekommen, um diese herrlichen Modelle genau nach der Natur zu studieren. –

Nun, es war der Mühe werth gewesen! Mit verblüffender Naturtreue waren die schönen Geschöpfe wiedergegeben, sie schienen gleichsam aus dem Gemälde heraus- und dem Beschauer entgegenzuspringen, diese milchweißen Rosse mit den weitgeöffneten rosenrothen Nüstern, die freudig witternd die frische Morgenluft einzogen, mit ihren feurigglänzenden Augen, den flatternden Mähnen und Schweifen und den hoch in die Luft aufsteigenden Vorderhufen! Zu ihren Füßen wallte es in dichtem, weißlichem Qualm, wie Nebel und ballende Wolken – höher hinauf wurde es lichter, immer heller und zarter, bis ein goldigzitterndes Licht aus den wogenden Massen hervorbrach und die Göttin umgab, die „rosenfingrige Eos“, die mit goldenem Zügel ihre Sonnenpferde lenkt und der schlummertrunkenen Erde die Morgenröthe bringt. Hochaufgerichtet steht sie da in ihrem goldenen Muschelwagen; den leuchtenden Nacken, die fein gerundeten Arme läßt das fliegende, leichte Gewand frei, das Morgenlüftchen spielt mit dem üppigen, lose geknoteten Haar – lachend und hinreißend schön fährt sie in die erwachende Welt hinein. Ueber ihrem Haupt ist der Himmel mattrosig, ein einzelner Stern schimmert darin – von dem goldfarbenen Kleide der Göttin aber geht es rechts und links aus wie eine sanfte rothe Gluth, die ihren Wiederschein auf die sich zurückbäumenden Pferdeköpfe wirft!

Ja, ein prächtiges Bild, wer es nur ein einziges Mal gesehen hatte, konnte es wahrlich nicht wieder vergessen!

Nur den Meister, der es schuf, den bekam man nicht zu sehen. Er war doch noch in Hamburg? Jawohl, gewiß, man wußte es ganz bestimmt! Nun also, warum zeigte er sich denn niemals in der Ausstellung?

Stella Brühl, die schöne Eos, hätte wohl darüber Auskunft geben können, aber wenn man sie nach Andree fragte, hieß es immer: „Ja, er ist ein naher Freund unseres Hauses, einem andern würden es ja die Eltern nicht erlaubt haben, mich zu malen! Aber er ist ein wenig sonderbar. Für seine Bilder sucht er die Oeffentlichkeit, für seine Person vermeidet er sie!“

Es lag doch etwas anders! Stella hatte Andree sehr schlecht behandelt. Die Wahrheit zu sagen, sie war seiner sehr rasch überdrüssig geworden, sie hatte sich in ihm getäuscht. Wie anders hatte sie sich das alles gedacht! Anstatt eines anbetenden Liebhabers, der glückselig jede kleinste Gunst von ihr entgegennahm, sich jeder vorübergehenden Gelegenheit, sie einmal für sich zu haben, unendlich freute, hatte sie einen anspruchsvollen, unlenksamen Menschen neben sich, der sie unablässig beobachtete, sie tadelte, mit Vorwürfen überhäufte und die seltenen Augenblicke, die ihnen einmal zum Alleinsein gegönnt waren, dazu benutzte, sie zu quälen und herrisch auf der Aufhebung des Geheimnisses zu bestehen! Himmel, das war ja ein schrecklicher Mensch, dieser Waldemar Andree! Behüte Gott sie davor, sich den jemals zum Mann zu nehmen, mochte sein Gemälde noch so schön, sein Künstlerruhm noch so groß sein! Er würde sie ja tyrannisieren, sie würde keinen selbständigen Schritt mehr thun können, sie würde von jedem Blick, von jedem Lächeln ihm Rechenschaft ablegen müssen, und er würde sie außerdem wie eine Gefangene behandeln ... nichts von Reisen, von wechselndem Aufenthalt, von Vergnügen! – Zu Anfang war es ihr noch gelungen, ihn durch Liebkosungen, durch ein paar zärtliche Worte, ein hingeworfenes Versprechen zu besänftigen. Aber dieser schwerfällige Mensch wünschte nicht nur ein Versprechen zu empfangen – nein, er verlangte auch, daß man es hielt, buchstäblich hielt, und gerieth außer sich, wenn das nicht geschah! Er wiederholte ihre eigenen Worte, er berief sich auf dieselben und verlor alle Selbstbeherrschung, wenn sie erklärte, die Sachlage habe sich inzwischen geändert, und sie könne nun ihr Versprechen nicht einlösen.

Wenn er sich einmal mit ihr zusammen in irgend einer Gesellschaft sehen ließ, mußte sie immer heimlich zittern, daß er eine Scene mache, sie bloßstelle. Das ging nicht, das ertrug sie nicht! Sie wollte leben, wie es ihr und nur ihr gefiel - nicht aber zittern und Rücksichten nehmen oder gar sich fügen! Und das alles bloß, um Frau Andree zu werden? Kein Gedanke! Ja, wenn sich’s noch um den Prinzen Riantzew gehandelt hätte! Da konnte sie sich während der Verlobung vielleicht noch dies und jenes bieten lassen – später, in der Ehe, würde es schon anders kommen!

Als die Ausstellung da war, hatte Andree ihr sehr deutlich zu verstehen gegeben, daß er nun die Entscheidung wünsche, er wolle endgültig mit ihr und ihren Eltern sprechen, dazu müsse endlich Zeit sein, Ausflüchte lasse er nicht mehr gelten – und wenn Stella erst seine Braut vor der ganzen Welt sein werde, dann werde er auch Mittel finden, sich seine Rechte als ihr Verlobter zu wahren. Es schauderte ihr bei einer solchen Sprache, alles in ihr schrie „nein und tausendmal nein!“ und sie sehnte mit aller Kraft ihrer Seele einen Ausweg herbei.

Sie hatten einander mehrere Tage nicht gesehen, Stella war gesellschaftlich sehr in Anspruch genommen und freute sich dessen. Andree hatte ihr ein paar Mal geschrieben, kurze Briefchen, die seine gequälte Gemüthsstimmung deutlich genug wiederspiegelten. Sie hatte ihm nie geantwortet, sie war zu vorsichtig dazu – schriftliche Zeugnisse können unangenehm werden. –0

Jetzt trat sie, die vielbewunderte „Eos“, unter das Portal des Ausstellungsgebäudes, von fünf oder sechs Herren begleitet, und hielt Umschau nach Dudu. In ihrem knappen braunrothen Sammetpelz, eine hohe schneeweiße Mütze auf dem Kopf, war das junge Mädchen berückend schön, und das leise Gemurmel, das sich hier und da bei ihrem Anblick erhob, erschien nur zu gerechtfertigt. Die Kavaliere stürmten die Stufen herab, um ihren Wagen herbeizuholen, allein Dudu hatte von seinem hohen Sitz aus bereits die weiße Mütze seiner Herrin entdeckt und fuhr in einem geschickten Bogen durch die umherstehenden Gruppen an der Treppe vor. Mit Pferden verstand Dudu umzugehen, es war das einzige Talent, dessen er sich rühmen konnte. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 878. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_878.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2023)