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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

und auch eine Studentenschaft kann sich irren. Dieser Bellmaus war kein anderer als Gustav Freytag, der allerdings seitdem die Lyrik auf dem Strich hatte, aber dafür auf andern Gebieten sich zu einer ersten Größe unserer Litteratur emporarbeitete, und die Vorstudien, die er damals bei den Kaufleuten, auf der Börse, in den Materialwaren-Handlungen zum Mißvergnügen eines großen Theils der akademischen Jugend machte, hat er in seinem Haupt- und Glanzwerke „Soll und Haben“ ja zu Nutz und Frommen des ganzen deutschen Lesepublikums verwerthet.

Aus dem einsamen Klosterhofe sollte auch ich bald in die Verbannung ziehen, doch mit glänzendem Geleite. Schon war die ersehnte Bewilligung unterwegs, die mich wieder in Reih und Glied mit der übrigen Studentenschaft stellen sollte, als ein heimtückischer Zufall den guten Willen des Kultusministeriums vereitelte und mich selbst wieder, als ich schon dem Hafen nahe war, auf die hohe See hinaustrieb. Schuld daran trug diesmal die leidige Philosophie und der thörichte Eifer, eine Rolle zu spielen, die ich meinem jungen Dichterruhm schuldig zu sein glaubte; denn wenn man mit achtzehn Jahren ein Bändchen Gedichte hat erscheinen lassen, welches, dank der Zeitströmung, in allen deutschen Blättern besprochen wurde, so hält man sich für berühmt, und wenn man sich den Siebzigern nähert, so erkennt man erst, daß dazu die Arbeit eines ganzen Lebens nicht genügt hat.

Unter den Professoren der Universität befand sich ein Philosoph, der einen vorzüglichen Vortrag hatte, Christlieb Julius Braniß, der aber mit der Freigeisterei der Junghegelianer wenig einverstanden war und in einem seiner Collegia Ludwig Feuerbach aufs heftigste angriff. Das erbitterte die zahlreichen Anhänger des letzteren unter der Jugend und sie demonstrierten durch heftiges Scharren mit den Füßen, was damals durchaus nicht wie heute eine zustimmende Huldigung bedeutete, sondern einen recht böswilligen Widerspruch. Eine Widerlegung des Professors war das nun freilich nicht, und einer seiner eifrigsten Anhänger, ein junger Student Namens Grieben, später lange Zeit ein tüchtiger Redakteur der „Kölnischen Zeitung“, warf sich in einem Zeitungsartikel zum Richter auf über das unpassende Gebahren der akademischen Jugend. Damit hatte er aber in ein Wespennest gestochen; es wurde, zum Theil von den Führern der Burschenschaft, an deren Spitze mein späterer Schwager, Max von Wittenburg, stand, eine große studentische Versammlung einberufen, auf welcher Grieben seinen „Pairs“ Rede stehen und sich wegen seiner Anmaßung, die Studentenschaft hofmeistern zu wollen, rechtfertigen sollte. Die Versammlung wurde vom Rektor verboten, aber, wie das oft zu geschehen pflegt und in vormärzlicher Zeit die Regel war, trotzdem abgehalten, und sie war so zahlreich besucht, wie nur irgend möglich. Grieben erschien wie auf der Armesünderbank und wurde von den Geschossen der Redner durchbohrt wie der heilige Sebastian: er fand gar keine Vertheidiger. Auch ich hielt es für angebracht, ein kräftig Wörtlein mitzusprechen, und noch einer wandte sich gegen Grieben: eine spitze, aber scharfdurchdringende Stimme verschaffte sich Gehör – es war diejenige Ferdinand Lassalles, der hier wohl seine erste öffentliche Rede hielt.

Nun begab sich das Unvermeidliche: die Untersuchung des Universitätsgerichts wurde eingeleitet, Wittenburg fiel als ihr erstes Opfer. Ich aber war diesem Gericht nicht unterthan; ich war nur ein geduldeter Hörer der Alma Viadrina – und so machte man mir weiter keinen langen Prozeß, sondern ich wurde einfach aus der Stadt verwiesen. Da der Universitätskurator Heinicke zugleich Polizeipräsident war, so machte dies keine Schwierigkeiten. Ich hatte noch eine kurze Verhandlung mit ihm, bei welcher wir uns über die Wahl solcher Dramenstoffe wie Robespierre nicht verständigen konnten und bei welcher der im übrigen sehr leutselige und liebenswürdige Herr sich über mein Talent günstiger aussprach als später mancher kritische Weltrichter, der mich zwar aus keiner Stadt verwies, aber vom deutschen Parnaß verbannen wollte; an der Sache selbst ließ sich indeß nichts ändern, ich mußte mein Ränzchen schnüren. Doch ohne Sang und Klang sollte ich nicht von dannen ziehen – ich war ja ein Dichter und die Studentenschaft wollte ihre Dichter ehren. Ueber die Sandbrücke rasselten die Vierspänner und vor dem Klosterhof schmetterte das Posthorn! Ein großes „Komitat“ mir zu Ehren – die Burschenschafter alle, aber auch einige Wagen mit Landsmannschaftern und Ferdinand Lassalle, der keiner Verbindung angehörte, fehlten nicht! Auch die liberale Bürgerschaft hatte einige Vertreter gesendet, die mit in meinem Wagen saßen. Und so ging’s in langem Wagenzuge über die Sandbrücke durch die Stadt, an dem Polizeigebäude vorüber, wo die Postillone lustig das Lied schmetterten: „Bemooster Bursche zieh’ ich aus“, vorüber an einer zahlreichen in den Straßen sich ansammelnden Volksmenge nach dem Oberschlesischen Bahnhofe. Dort wurde in gewohnter studentischer Weise, „himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt“ Abschied genommen – viel Volk hatte sich nachgedrängt und die Wächter der Ordnung hatten keine leichte Arbeit. Bald saß ich im Eisenbahnwagen und dampfte den oberschlesischen Wäldern zu.

Das Komitat setzte natürlich wieder das Universitätsgericht in Thätigkeit. Auch Lassalle wurde vorgeladen und trotz seiner glänzenden Vertheidigung, die er mir in einem größeren Briefe mittheilte, zu mehrtägiger Carcerstrafe verurtheilt. Die künftigen Ereignisse warfen ihre Schatten voraus. Es war seine erste Untersuchung, Vertheidigung und Haft – er sollte später in diesen gerichtlichen Angelegenheiten recht viel Uebung gewinnen.

In den oberschlesischen Wäldern suchte ich zunächst eine Zufluchtsstätte. Dort hatte eine alte Tante von mir ein großes Besitzthum, Wiersbel bei Friedland; es war wie begraben in mächtigen Wäldern, die sich bis zur Oder erstreckten, und ein großer Theil dieser Forsten gehörte zu dem Gute. Es war eine Freude, allein oder mit dem Förster durch diese Wälder zu streifen, wo uns oft stundenlang kein menschliches Wesen begegnete. Da gab es prächtige Eichen auf den Dämmen, melancholische Waldteiche in den Lichtungen, aus deren Röhricht das Konzert der Sumpfvögel ertönte. Und wenn ich einsam neue Wege suchte, welche Freude, mich in diesem Urwalde zu verirren und wie eine Rothhaut mich nach dem Stande der Sonne zu orientieren und wieder in meinen Wigwam heimzufinden. Mancher Vogel wurde von den Zweigen heruntergeknallt: ja selbst manches harmlose Eichhorn mußte es mit dem Tode büßen, daß es den Namen des mir damals sehr mißliebigen Kultusministers trug.

Etwa zwei Stunden Wegs von Wiersbel entfernt, mehr nach Neiße zu, lag Waltdorf, das Gut des Grafen Reichenbach, wo ich stets ein willkommener Gast war und wochenlang verweilte. Das Wohnhaus war nicht groß, aber schloßähnlich und hatte vor dem Haupteingang eine kleine Säulenhalle, zu welcher Stufen in die Höhe führten. Graf Reichenbach hatte mir meinen „Robespierre“ abgekauft und als mein Verleger das Stück im Buchhandel erscheinen lassen. Auch ein Drama „Thomas Münzer“ hatte ich zu dichten unternommen, und ich las die vollendeten Akte in Waltdorf einem großen Publikum vor, das zu diesem Zwecke eingeladen war und meistens aus Bewohnern der benachbarten Festung Neiße bestand. „Thomas Münzer“ hat indeß niemals das Licht der Oeffentlichkeit erblickt und die ungedruckte Vergessenheit der gedruckten vorgezogen.

Waltdorf war damals eine Freistatt für alle Gemaßregelten, und so fand ich mich dort mit einem Manne zusammen, dessen Name heutigentags wieder die Blätter füllt – es war der seines Amtes entsetzte Professor Hoffmann von Fallersleben. Damals stand er in seiner Blüthe; die Regierung hatte ihn zum Märtyrer seiner Ueberzeugung gemacht und zugleich zum wandernden Minnesänger, da sie ihn aus seiner sicheren Lebensstellung hinausgedrängt hatte. Er war von großer kräftiger Gestalt, blühender Gesichtsfarbe, etwas grobkörnig und vierschrötig in seinem Wesen, und wenn er mit dem dicken Knotenstock in der Hand und den nägelbeschlagenen Stiefeln ins Zimmer trat, so machte er durchaus nicht den Eindruck eines Salonpoeten. Wie oft bin ich mit ihm über die Felder und durch die Gebüsche von Waltdorf gewandert, durch eine Landschaft, deren Hintergrund die blaßblauen Sudeten bildeten! So kräftig aber seine Gestalt war, seine Stimme hatte keineswegs des Basses Grundgewalt, sie hatte einen hellen Ton und paßte zum Gläserklang, der die Kehrreime begleitete, wenn er seine „Unpolitischen Lieder“ vorsang. Hatte er doch einige nach bekannten Melodien gedichtet, zu andern selbst leichte Sangesweisen gefunden! Oft bei unsern Spaziergängen trug er dies oder jenes Liedlein vor: er selbst hat sie ja den Glöcklein verglichen, bei deren Klang die Lawine stürzt. Abends im Saal des Schlosses, wenn er, ein großer Kinderfreund, mit den Kindern gespielt oder ihnen Spielzeug zurechtgeschnitzt hatte, sang er ihnen nicht bloß Kinderlieder vor, die er zahlreich gedichtet hat, sondern bei der Bowle und in der von ihr hervorgerufenen erhöhten Stimmung begann er das helle Glöcklein seiner politischen Lieder ertönen zu lassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_782.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)