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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Anschein erweckte, als ob die Schüsse nachträglich auf das Kleidungsstück abgegeben worden wären. Wenn ein Mord vorlag, so konnte der Mörder die Beinkleider in jenem Walde niedergelegt haben, um bei einer Haussuchung nicht in ihrem Besitze betroffen zu werden, und er konnte einige Kugeln hindurchgejagt haben, um die Vermuthung zu erregen, daß der Verschwundene durch Schüsse umgekommen sei, während der Mörder eine andere Art der Tötung angewandt hatte. August Schmidt hatte vor Gericht geäußert, daß Bathurst sich wahrscheinlich selbst erschossen habe, da Frau Schmidt ihm Schießpulver habe besorgen müssen. Man hat dieser auffälligen Aussage, welche vielleicht mehr verrieth, als der Aussagende verrathen wollte, nicht weiter nachgeforscht.

Im April 1810 kam die Gemahlin des Gesandten, Mistreß Bathurst, mit einigen Bekannten ihres Mannes nach Perleberg, um jetzt, da der Erdboden nicht mehr gefroren war, mit Hilfe von Spürhunden weitere Nachforschungen anzustellen. Aber auch diese blieben erfolglos.

Von Perleberg begab sich Mistreß Bathurst nach Paris, um sich von Napoleon selbst Auskunft zu holen. Er bewilligte ihr eine Audienz und versicherte, von dem Vorgefallenen nichts Näheres zu wissen; er erbot sich zugleich, ihre Bemühungen um Auffindung des Verschwundenen zu unterstützen.

Bald nach der Abreise der Mistreß Bathurst von Perleberg machte eine Frau Hacker, welche im Thurmgefängniß am Parchimer Thore wegen mehrerer Betrügereien in Untersuchungshaft saß und welche wie ihr Mann übel beleumundet war, dem Gerichte folgende Aussage: In dem Städtchen Segeberg in Holstein sei sie im Wirthshause mit einem Schuhmachergesellen Goldberger zusammengetroffen, den sie von Perleberg her kenne. Derselbe habe an einer Uhrkette goldene Schlüssel und Petschafte getragen und in seinem Geldbeutel viele preußische Friedrichsd’or sehen lassen. Auf ihre Frage, woher das viele Geld stamme, habe er geantwvrtet, er sei dazu gekommen, wie der Engländer erschlagen worden sei, und man habe sein Schweigen mit 500 Thalern und einer Uhr mit Kette erkauft. Später nahm aber die Frau diese Aussage zurück, da sie dieselbe erdichtet habe, um aus dem Gefängniß entlassen und nach Hamburg gebracht zu werden. Auch diese Angabe wurde nicht näher untersucht.

Die Hackerschen Eheleute wurden ebenso wie August Schmidt noch von einer anderen Seite her mit der Sache in Verbindung gebracht. Die bereits erwähnte Dame, welche den Gesandten im Zimmer Klitzings sprach, versicherte, gesehen zu haben, daß der Fremde, als er ihr Haus verlassen hatte, nicht wieder den nächsten zur Post führenden Weg einschlug, sondern in einer Richtung sich entfernte, wo Hackers Haus lag, in welchem auch August Schmidt viel verkehrte. Bald nachdem der Fremde von ihr gegangen, sei August Schmidt bei ihr eingetreten und habe nach dem „Herrn Lord“ gefragt. Ihr sei diese Frage auch deshalb erinnerlich, weil sie damit die Aufklärung empfangen zu haben meinte, daß der Name des Fremden „Lord“ sei. Sie wies den Schmidt nach der Richtung, die der Fremde genommen hatte, und sah noch, wie er ihm nachging. Daß sie etwa in das Hackersche Haus eintraten, konnte sie nicht sehen, und die Vermuthung, daß Bathurst um diese Zeit im Hackerschen Hause getötet worden sein könne, ist hinfällig, da ja feststeht, daß er nach dem Besuche bei Klitzing noch einige Stunden im „Weißen Schwan“ und im Posthause geweilt hat. In Perleberg behauptete sich gleichwohl das Gerücht, daß die Hackerschen Eheleute um das Verschwinden Bathursts gewußt haben müßten, um so mehr, als Hacker unmittelbar darauf die Stadt verließ und bald auch sein Haus verkaufte; er soll dann in Altona in verhältnißmäßiger Wohlhabenheit gelebt haben. Sein Ruf, sein Umgang mit Schmidt und sein plötzlicher Umzug verdächtigten ihn, aber der letztere kann auch zufällig gewesen sein. Hat die Hacker wirklich in Goldberger einen Zeugen des Mordes getroffen und wußte sie zugleich ihren eigenen Mann schuldig, so sollte man meinen, daß sie sich gehütet haben müßte, von jenem Goldberger zu sprechen, da eine Untersuchung ihren Mann mit gefährdet hätte. Vielleicht machte sie trotzdem die Aussage, weil die Schlaffheit des Untersuchungsverfahrens, die einer erfahrenen Frau wie ihr schwerlich entging, sie anfangs ermuthigte, und sie mochte hoffen, etwas von der ausgesetzten Belohnung zu erhalten. Nachträglich mag sie die Aussage doch als gefährliche Uebereilung erkannt und deshalb den Rückzug angetreten haben.

Nach einem anderen Gerüchte, das in der Stadt umlief, wäre der Fremde unter irgend einem Vorwande in ein Haus gelockt worden, welches der Post gegenüber lag und von einer als franzosenfreundlich bekannten Familie bewohnt war. Dort soll er seinen Tod gefunden haben. Der Umstand, daß über die beiden Begleiter Bathursts so wenig oder fast nichts bekannt geworden ist, gab der sagenbildenden Phantasie freien Spielraum, wenn sie sich ausmalte, wie diese Begleiter oder einer von ihnen die Rolle des von Frankreich erkauften Verräthers gespielt habe.

Von menschlichen Gebeinen, welche im Jahre 1830 in einer Mergelgrube bei der Stadt gefunden und zu dem Verschwinden Bathursts in Beziehung gebracht wurden, ließ sich nachweisen, daß sie nicht die Gebeine des Vermißten waren.

Im April des Jahres 1852 fand man aber beim Abbrechen eines Hauses, welches an der Hamburger Chaussee dreihundert Schritt vom „Weißen Schwan“ entfernt lag, unter der Schwelle des Stalles ein menschliches Skelett. Spuren von Kleidungsstücken waren nicht vorhanden. Der Kopf war in Steine förmlich eingemauert. Der Hinterkopf des Schädels zeigte eine auf einen Achtelszoll geschätzte Vertiefung, welche auf einen hierher geführten schweren Schlag zu deuten schien. Das Haus war im Jahre 1803 von einem gewissen Mertens gekauft worden, der im „Weißen Schwan“ neben dem Hausknecht bedienstet war; seine Töchter hatten es nach seinem Tode im Jahre 1828 wieder verkauft. Von Mertens wurde ermittelt, daß er sich des besten Rufes erfreut habe; sein langjähriger Dienst im Gasthofe habe ihm so viel Geld eingebracht, daß er der einen Tochter tausend, der andern acht hundert Thaler Mitgift habe geben können.

Nachdem die Familie Bathurst von dem Funde Kenntniß erhalten hatte, erschien, da Mistreß Bathurst nicht mehr lebte, die Schwester Bathursts, eine Mistreß Thistlethwaite, im August in Perleberg. Sie verglich den Schädel und den durch Unvorsichtigkeit der Finder zerbrochenen Unterkiefer mit einem mitgebrachten Porträt ihres Bruders und erkärte, sie könne diese Ueberreste als die ihres Bruders nicht anerkennen. Nach dieser Erklärung wurden amtliche Untersuchungen nicht mehr angestellt, und weitere Entdeckungen, welche mit dem Verschwinden Bathursts in Zusammenhang stehen konnten, wurden auch nicht mehr gemacht.

Wir haben jetzt noch einige Zeitungsnachrichten zu besprechen, welche bald nach dem Verschwinden Bathursts erschienen und Aufsehen erregten.

Die erste Kunde, die man über den Vorfall las, stand im „Moniteur“, dem amtlichen Blatte Napoleons. Es war darin ein aus Berlin vom 10. Dezember datierter Bericht enthalten, welcher besagte, „daß Sir Bathurst bei seiner Reise durch Berlin Spuren von Wahnsinn gezeigt und sich darauf in der Gegend von Perleberg selbst ums Leben gebracht habe.“ Ein vom 23. Januar 1810 datierter, wahrscheinlich ebenfalls amtlich beeinflußter Artikel der englischen „Times“ antwortete darauf mit der Vermuthung, daß das Verschwinden des Gesandten vielmehr der französischen Negierung zur Last falle. Es wurde dabei auf ähnliche Gewaltthätigkeiten hingewiesen, für welche Napoleon und seine Kreaturen allerdings die Verantwortung trugen. Der „Moniteur“ vom 29. Januar blieb aber bei seiner ersten Behauptung, indem er bemerkte, daß es zu den Gewohnheiten des britischen Kabinetts gehöre, für diplomatische Sendungen Leute zu verwenden, die unter der ganzen Nation am wenigsten Verstand hätten.

Weniger Beachtung hätte eine Nachricht aus London vom 6. Januar 1810, die am 23. Januar im „Hamburgischen Korrespondenten“ stand, verdient. Hier hieß es, der Gesandte Bathurst, der sich nach einigen Nachrichten in einem Anfall von Wahnsinn getötet haben sollte, sei frisch und gesund und seine Freunde hätten Briefe von ihm, die am 13. Dezember, also nach dem für seinen Tod angenommenen Tage, geschrieben seien. Hinter dieser Mittheilung sind geheimnißvolle Zwecke gesucht worden, gewiß mit Unrecht. Daß Bathurst seit dem 25. November 1809 verschwunden und vermuthlich nicht mehr am Leben war, konnte, auch wenn die Nachrichten auf weite Entfernungen sich damals viel langsamer verbreiteten als heute, nicht lange verborgen bleiben. Die Mittheilung war schwerlich mehr als ein Gerücht, welches dadurch veranlaßt worden sein mag, daß man den verschollenen Bathurst mit einem in England lebenden gleichnamigen Verwandten verwechselte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_767.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)