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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

unerwartet kommen muß. Ein Kind, – ein leibliches Kind fortgeben, – aus dem Hause geben? Ich frage Dich nur das eine: was werden die Leute dazu sagen?“

„Das ist mir herzlich gleichgültig, und es wäre mir lieb, wenn Du Dich auf denselben Standpunkt stelltest. Im übrigen, – ich werde die Thatsache, sobald sie erst eine geworden ist, schon zu vertreten wissen. Ich fühle mich allein, ich liebe die Jugend, ich möchte ein frisches, belebendes Element um mich haben, – Du leistest mir einen großen Dienst.“

„In der That, – Du bist zu gütig. Daß ich Dir jeden Dienst, – das versteht sich ja von selbst – – aber nun Gerda, – als belebendes Element – –“

„Mir ist sie eins! Mich belebt sie! Du kennst Dein eigenes Kind nicht, hast Dir nie die Mühe genommen, es kennenzulernen. Nun, schadet auch nichts, ich kenne Gerda, und ich möchte sie haben!“

Diesmal legte Herr Grimm schon mehr Nachdruck auf die letzten Worte. Dem Senatar wurde es sehr heiß. Er suchte lange nach seiner Rocktasche, um sein Taschentuch zu finden, betastete hilflos seinen ganzen Körper und athmete hörbar.

„Du gestattest, daß ich mit meiner Frau darüber spreche,“ murmelte er endlich.

„Mein guter Brühl,“ sagte Grimm sehr ruhig und strich mit zwei Fingern der rechten Hand über sein kleines Schnurrbärtchen, „Deine Gemahlin wird ganz und gar dagegen sein!“

„Oh!“ machte der Senatar. „Ja, siehst Du, – und Stella –“

„Auch Stella wird ganz und gar dagegen sein. Es ist Deine Aufgabe, den Widerstand dieser beiden Damen zu besiegen.“

Der Senatar sah sehr unglücklich aus, – ihn schien diese Aufgabe nicht zu begeistern. Er hatte endlich sein kleines, rothseidenes Taschentuch aus der Tiefe einer Rocktasche ausgegraben und bearbeitete damit sein feuchtes Gesicht.

„Wenn Du es durchaus wünschest …“

„Ganz recht! Ich wünsche es durchaus! Jetzt, da es Sommer wird, möchte ich natürlich das Kind nicht in meine Stadtwohnung einsperren, – sie hat hier mehr Freiheit, – vorausgesetzt, daß ihr genügende Freiheit gewährt wird, wofür ich Dich zu sorgen bitte. Da Deine Kronprinzessin keine Reiselust bezeigt, – ich glaube, die Gründe dafür zu kennen, aber gleichviel! – so werdet Ihr ja wohl alle hier in Uhlenhorst bis zum Herbst zusammenbleiben. Erfolgt Eure Uebersiedlung zur Stadt, dann möchte ich, daß Gerda ihrerseits zu mir übersiedelt. Du kannst ja Deine Gattin und Prinzessin Tochter einstweilen auf diese Thatsache vorbereiten. Abgemacht?“

Er hielt ihm die Hand hin, – aber der Senator zögerte immer noch. „Wenn es denn wirklich Dein voller Ernst ist …“

Herr Grimm erhob sich, seine ruhigen, klugen Augen begannen zu funkeln.

„Kannst Du ernstlich annehmen, ich würde mit einer so wichtigen Sache Scherz treiben? Mir ist durchaus nicht spaßhaft zu Muth, mein guter Brühl, wenn ich Dir zum letzten Mal sage: ich möchte Gerda haben!“

Es war das letzte Mal, – der Senatar fühlte es deutlich. Sein ehemaliger Freund hatte aufgehört, ihm einen Vorschlag zu machen, einen Wunsch auszusprechen: er forderte, – – und Brühl mußte gehorchen.

„Sei mir um Gotteswillen nicht böse, lieber, alter Freund,“ sagte er kläglich und faßte jetzt die Rechte des anderen mit seinen beiden Händen, „es soll ja alles sein, wie Du sagst, ich werde mit Molly und Stella reden und werde den harten Strauß muthig auszufechten bestrebt sein. Denn ein harter Strauß wird es werden, Bernhard, Du – Du kannst Dir schwerlich davon eine Vorstellung machen! Es ist von Dir, einem Hagestolzen, nicht zu verlangen, daß Du Dich in die Gefühle eines Vaters, einer Mutter und einer Schwester versetzest, denen man – –“

„Bitte,“ unterbrach ihn Herr Grimm trocken, „Du kannst dies immerhin dreist von mir verlangen, obgleich ich unverheirathet bin. In die Gefühle, die Ihr als Eltern und Stella als Schwester für Gerda hegt, kann ich mich mit leichtester Mühe hineinversetzen, und ich weiß ganz genau, daß ich keinem von Euch das Herz zerreiße, wenn ich das Mädchen zu mir nehme. Du wirst Deine Frau und Tochter noch heute von meiner und Deiner Absicht verständigen?“

„Ja!“ seufzte der Senator, vollständig überwunden.

„Und Du wirst ferner die Freundlichkeit haben, bei Deinem hier auf der Uhlenhorst bevorstehenden Sommerfest einigen Deiner Gäste – ich brauche sie Dir nicht näher zu bezeichnen – von der baldigen Umgestaltung der Dinge Mittheilung zu machen und ihnen zu sagen, ich hätte Dich und Deine Gattin gebeten, mir mein Pathenkind Gerda als Pflegetochter zu überlassen, und Ihr wäret darauf eingegangen. Daß nicht Gerda, sondern Stella einmal mein Pathchen gewesen ist, dürften die wenigsten wissen, denn die es wußten, werden es vergessen haben. Die neue Thatsache in Deinem ganzen großen Bekanntenkreise zu verbreiten, das werden die paar Gäste, denen Du Deine Eröffnung machst, schon mit der nöthigen Schnelligkeit besorgen; dergleichen kommt herum wie ein Lauffeuer. Ich selbst bin so frei, mich, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit, zu Deinem Sommerfest gleichfalls als Gast einzuladen, und werde auch meinerseits alles dazu thun, Dir in die Hände zu arbeiten. – Inzwischen gestattest Du mir wohl, mein Adaptivkind schon jetzt mit einigen Kleinigkeiten zu erfreuen, nach denen, wie ich weiß, ihr kleines Herz steht. Ich rechne dahin auch ein Pferdchen, das in den nächsten Tagen hierhergebracht werden wird. Kann Stellas Jokey den ersten Unterricht nicht übernehmen, oder wünscht dies seine Herrin nicht, so werde ich für einen tüchtigen Reitknecht sorgen. Die Reitstudien sollen nicht nur ein Vergnügen für Gerda werden, sondern vielmehr auch ein ihrer Gesundheit zuträglicher Sport. Das Kind ist rasch gewachsen und blutarm, es braucht viel Bewegung in freier Luft. Ich gehe jetzt und suche mir meine neue Tochter im Garten auf, um ihr die Verhältnisse ein wenig klar zu legen. Daß sie gern einwilligen wird, glaube ich bestimmt zu wissen. – Also adieu, Brühl! Noch eins: bist Du zufällig bei Wildensteiner Prioritäts-Obligationen betheiligt?“

Der Senatar sah Herrn Grimm eine kleine Weile ganz starr ins Gesicht, ehe er überhaupt begriff. Diese vernünftige geschäftliche Frage mitten in die Unterhandlungen über Gerda hinein, die Grimm schon „seine neue Tochter“ nannte und über die er schon ganz als solche verfügte, machte ihn verblüfft. Sein Gast mußte die Frage wiederholen.

„Wo bist Du mit Deinen Gedanken, Brühl? Ich frage Dich, ob Du bei Wildensteiner Prioritäts-Obligationen betheiligt bist. Hast Du gekauft?“

„Ja, ich habe!“ sagte der Senatar langsam, noch immer ganz benommen.

„Wieviel? Eine große Summe?“

„Allerdings! So ziemlich alles, worüber ich für den Augenblick verfügen konnte – fünf- bis sechsmalhunderttausend werden’s sein.“

„Verkauf’, so rasch Du kannst! Such’ die ganze Geschichte, sobald es irgend angeht, loszuwerden, es ist ein ganz fauler Zauber damit. Nimm Kornhöfer Industrie-Aktien dafür!“

„Du meinst? Für alles?“

„Für alles! Du wirst gut dabei fahren, denk’ an mein Wort! Aber was Du thust, das thue bald! Du kannst gleich an Deinen ersten Buchhalter telephonieren, er soll die Obligationen schleunigst abwerfen und die Aktien belegen. Adieu!“

Herr Grimm war zur Thür hinaus.

Der Senatar, welcher so verdutzt war, daß er nicht einmal seinen Gast bis zur Thür begleitete, blieb sitzen und sah diese Thür an, wie wenn sie ihm helfen könnte. Er war kein schneller Denker. Es dauerte ziemlich lange, bis sich die Gedanken in seinem Kopf einigermaßen geordnet hatten.

Nun hatte Grimm seit langen, undenklichen Jahren zum ersten Mal wieder mit ihm von Geschäften gesprochen, ihm einen Rath ertheilt. Er erinnerte sich der Zeit, da ihm dieser Rath stets zur Verfügung gestanden hatte, der Zeit, da das Triumvirat Brühl, Winzer, Grimm gemeinsam eine Firma gebildet und gemeinsam sich gemüht hatte, emporzukommen. Sie hatten damals mit Recht Bernhard Grimm den „Kopf“ genannt, der das Ganze leitete, Brühl und Winzer waren die beiden Hände gewesen, die das ausführten, was der Kopf ersonnen hatte. Immer hatte er das Richtige getroffen, sie hatten oft mit einander gelacht über die wunderbar feine Witterung, mit der er Schwankungen an der Börse spürte, Veränderungen voraussah. Ohne Zweifel war auch der heutige Rath gut und werthvoll, mehr noch als damals, denn die langjährige Erfahrung hatte den Blick des klugen Mannes noch mehr geschärft, die Fühlung noch feiner gemacht. Er hatte seinem ehemaligen Compagnon diesen geschäftlichen Wink als ein Pflaster

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_760.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)