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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Stella und lieben! Sie wissen recht gut, Onkel, daß sie niemand liebt als nur sich selbst! Und gar jetzt, wo sie alles dransetzt, um den Prinzen zu heiraten!“

„Den Prinzen? Woher weißt Du das?“

„Einerlei woher – ich weiß es ganz genau! Aber sie wird sich von diesem –“ Gerda nickte nach dem Platz hinüber, auf dem Andree zuvor gesessen hatte, als befände er sich noch dort „von diesem malen lassen und wird ihn anlocken und ihn glauben machen, sie sei verliebt in ihn, und dann wird sie ihn fortstoßen und lachen und sich freuen. Ja, ja, Onkel, und wenn Sie noch so entrüstet aussehen! Ich weiß, was ich rede. Sie hat zur Willmers gesagt, sie habe schon eine ganze Reihe von Freiern aufzuweisen wie eine Schnur von Drosseln, die in der Schlinge zappeln, aber es sei ihr noch lange, lange nicht genug, denn dies wäre ihr bester Sport. Ja, das hat sie gesagt, ich hab’ es mit meinen eigenen Ohren gehört. Und sie weiß, daß ich es zufällig damals gehört habe, und weil sie überzeugt ist, daß ich sie durchschaue, darum kann sie mich nicht leiden, darum quält sie mich und verfolgt mich und nimmt mir jede kleinste Freude. Weil sie es will, muß ich Lateinisch und Griechisch lernen, was mir eine Strafe ist und was ich nie in meinem ganzen Leben werde brauchen können. Weil sie es will, muß ich schlechte Kleider tragen, die mich noch häßlicher machen, als ich schon bin, und darf mit keinem andern Mädchen umgehen und mir niemand einladen und nie lustig sein wie alle andern. Weil sie es will, darf ich nicht ins Freie hinaus und nicht aufs Wasser – sie reitet und fährt spazieren, und ich habe nichts – nichts – und ich wünsche mir so für mein Leben ein Pferdchen!“

Sie schluchzte in kindischem Schmerz laut auf, unterdrückte es aber rasch.

„Ich weiß, Onkel, Sie haben gesagt, ich soll mich nicht über meine Angehörigen beklagen, das sei häßlich – und ich thue es ja auch sonst nicht, bei keinem Menschen, nur bei Ihnen! Warum ist auch der liebe Gott so ungerecht und giebt dem einen alles – Schönheit und Verstand und Liebreiz und ein Lächeln und eine Stimme, die jeden bezaubert und die klügsten Menschen zu Narren macht – und der andere geht ganz leer aus und steht daneben und sieht, wie alles zusammenhängt, und hat nichts. Darf auch nichts sagen – denn wer würde ihm glauben und nicht denken, es sei erbärmlicher Neid? Alles, alles wendet sich ihr zu, und alles wird ihr verziehen, alles geht ihr hin – denn sie ist ja so wunderschön! Jetzt hat sie sich ein neues Zimmer für die Villa bestellt, die ganze Einrichtung aus Porzellan! Aus dem feinsten, schönsten, theuersten Porzellan – der Kamin, die Wände, die Spiegelrahmen – alles! Unser Pierre weiß, wieviel es kostet, und hat es mir gesagt. Und für mich ist nicht einmal ein neues Sommerkleid zum Gartenfest gekauft worden, und wie neulich eine arme Frau kam und so jämmerlich weinte, weil sie vier Kinderchen habe und einen kranken Mann, da hat Stella gesagt, das sei alles gewiß von einem Ende zum andern erlogen, und hat ihr nichts gegeben, und für ein einziges Kleid giebt sie oft fünf- bis achthundert Mark aus! Die Fremden denken alle, Stella sei ein Engel, und sie sieht ja auch aus wie einer – aber vorgestern hat sie Dudu eingesperrt und hungern lassen, weil er ihr ein kostbares gesticktes Kleid zerrissen hat, als er zufällig mit dem Fuß drauf trat. Als das Mohrchen hier ankam und etwas Neues war, da hat sie es gehätschelt und überall mitgenommen und über alles Dumme, was es that und sagte, gelacht und es mit Naschwerk gefüttert, und alle Bekannten und Verehrer haben es natürlich nachgemacht und auch gelacht und Dudu auch beschenkt und verwöhnt. Aber wie das arme Mohrchen nun nichts anderes mehr wußte und immer dasselbe kauderwelsche Geplapper und dieselben Faxen vorbrachte, da hat sie es in die Ecke geworfen, als wär’ es eine Puppe von Hobelspähnen und Zeugfetzen und nicht ein armer Mensch. Und er weint manchmal so erbärmlich, und wie friert er in seinem dünnen Affenjäckchen, und neulich hab’ ich mühsam, mühsam aus ihm herausbekommen – denn er kann ja bloß ein Dutzend deutsche Worte und ist wirklich dumm! – daß er so schreckliches Heimweh habe nach seinem heißen Afrika. Ach, er thut mir zu leid!“

Gerda hielt erschöpft inne, ihr war der Athem bei dem überstürzten Sprechen ausgegangen. Unter ihren dichten Wimpern hervor stahl sich ein kurzer, ängstlicher Blick zu Onkel Grimms Gesicht empor. Als sie gewahr wurde, daß er nicht böse, sondern ernst und theilnahmvoll aussah, seufzte sie erleichtert auf.

„Gott, Onkel Grimm, Sie halten mich für eine schlechte Schwester, und ich bin auch eine, ich fühl’ es ja selbst – aber ich kann nicht anders! Ich wäre eine gute Schwester geworden, stolz auf Stella und ohne Neid, ich hätte sie verehrt und bewundert, wenn sie ein wenig, nur ein klein wenig lieb mit mir gewesen wäre! Aber mich hat niemand lieb, man hat mich im ganzen Hause herumgestoßen und herumgeschoben, als wenn ich allen nur im Wege wäre, und keines hat sich um mich bekümmert und gefragt, ob ich leide. Wie ich noch ein ganzes Kind war, da hat Stella sich sorglos gehen lassen in ihrer Gefallsucht und hat geglaubt, ich verstehe das noch nicht; aber ich verstand recht gut. Sie hat die Herren so angesehen und so angelächelt, daß sie gar nicht anders konnten als annehmen, sie habe sie auch ungeheuer gern – und wenn dann die Briefe kamen und die Anfragen bei Papa, dann hieß es „Nein“, und sie lachte über die einfältigen, eingebildeten Männer. Und mit Werner Troost ist sie heimlich verlobt gewesen – ganz gewiß, Onkel, es ist Wahrheit! Ich wollte es bloß vorhin nicht sagen, als Herr Andree hier war, aber ich hab’ es einmal im Garten draußen auf der Uhlenhorst mit angesehen, wie sie sich geküßt haben. Und jetzt werd’ ich es Ihnen auch erzählen, was ich vor einer Weile nicht sagen wollte – das, was Werner Troost einmal zu mir gesagt hat. Es war damals, als Stella nicht zu Hause war und er mit Wolf und mir spielte und wir das Eichhörnchen sahen. Da verlangte er, wir sollten ihn Werner und Du nennen, und Wolfgang war auch gleich bereit – aber ich wollte nicht und meinte, das schicke sich nicht. Da bekam er mich bei meinem Zopf zu fassen und zog mich in seine Arme und flüsterte mir zu: ‚Und Du sollst mich Werner nennen und duzen, hörst Du? Seinen Schwager muß man Du nennen, kleine Schwägerin!‘ Gleich darauf legte er erschrocken den Finger an die Lippen: ‚Aber schweigen, Gerda! Versprichst Du mir? Gegen jedermann, es sei, wer es sei!‘ Ich versprach’s und ich hab’ es auch gehalten – aber wozu jetzt? Werner Troost ist tot! – Sie, Onkel – für mich geht das nicht und würde auch gar keinen Eindruck machen – Sie müssen Herrn Andree sagen, daß Stella ganz bestimmt heimlich mit Werner Troost verlobt gewesen ist, und Sie müssen ihn vor ihr warnen!“

„Kind, das Du bist! Glaubst Du, das würde etwas helfen?“ fragte Grimm mit einem wehmüthigen Lächeln.

Gerda sah ihn erschrocken an.

„Sie meinen, es würde gar nichts helfen?“

„Helfen, Gerda? Im Gegentheil, es würde nur Oel ins Feuer gießen und ein falsches Licht auf den Warner werfen. Wenn es sonst von Nutzen wäre, würde ich das letztere gern ertragen.“

Sie waren beide eine Weile in trübes Sinnen verloren.

„Läßt sich nichts thun, Onkel?“ fragte endlich Gerda schüchtern.

„Nein, mein kleines Mädchen! Nichts, als dem lieben Gott vertrauen!“

„Ach! Der liebe Gott!“ Sie warf trotzig die Lippen auf.

„Du glaubst nicht alt ihn?“ fragte Herr Grimm sehr ernst.

„Ich möcht’ es schon thun, denn es muß schön sein, zu denken, er thut alles zu unserem Besten. Aber ich kann gar nicht recht! Wissen Sie, Onkel –“ Gerda trat nahe heran und flüsterte ihr Geheimniß dem alten Herrn ins Ohr – „bei uns im Hause glaubt kein Mensch an den lieben Gott, niemand will etwas von ihm wissen. Ich muß mich auch oft im stillen wundern, daß den einen alles glückt und den andern alles mißglückt – ist das gerecht? Die Armen müßten doch durch irgend etwas anderes dafür entschädigt werden, daß sie soviel entbehren müssen!“

„Das geschieht auch, mein Kind!“

„Wirklich, Onkel Grimm?“ fragte Gerda ungläubig. „Aber ich sehe es nicht!“

Du siehst es nicht, weil Du noch sehr jung bist und die Menschen noch nicht kennst. Wenn Du erst älter sein und mehr Gelegenheit haben wirst, Dich im Leben umzusehen, dann wirst Du erkennen, daß, trotzdem wir alle uns Christen nennen, in jedem Hause fast ein Götzenbild aufgestellt ist, dem die Menschen Opfer bringen und dienen. Hier ist es der Reichthum, dort Macht und Stellung, da der Ruhm, der Ehrgeiz, die Schönheit, – alles dies sind Götzenbilder, und die Leute, die sich ihnen unterwerfen,

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