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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


getrennten Leitungen stets von der Blitzgefahr bedroht, denn der elektrische Funke wird immer das Bestreben zeigen, zu den Gas- und Wasserrohren überzuspringen. Selbst wenn diese viele Meter von dem Blitzableiter entfernt sind, so sichert das nicht unbedingt vor der Gefahr; das würde nur dann der Fall sein, wenn innerhalb des Zwischenraumes keinerlei auch nur vorübergehend angebrachte und nur mäßig leitende Gegenstände vorhanden wären. Es liegt aber auf der Hand, daß bei bewohnten Gebäuden eine solche Voraussetzung äußerst selten zutrifft, da jeder gewöhnliche Klingelzug, jede Goldleiste etc. zu ungeahnten Brücken und Verbindungsgliedern werden kann.

Schließt man aber den Blitzableiter durch eine eigene metallische Leitung an das Röhrennetz im Hause an, so ist jedes Ueberschlagen des Blitzes und ebenso jede Gefährdung der Röhren ausgeschlossen, vorausgesetzt, daß die letzteren in ihrem gesammten Verlaufe gleichfalls metallisch miteinander verbunden sind. Ist dies jedoch nicht der Fall, sind gewisse Stellen der Rohrleitung durch einen Elektricität nicht fortleitenden Kitt miteinander vereinigt, dann wird der Blitz solche Stellen in Gestalt eines Funkens überspringen und die Röhren schmelzen können, was jedoch auch ohne den Anschluß geschehen würde, wenn der Strahl die Wasser- und Gasleitung erreichen sollte. Allein unter allen Umständen bleibt dabei ausgeschlossen das mit Mauerdurchbruch verbundene Ueberschlagen des Blitzes von dem Ableiter zu den Röhren, ausgeschlossen ist die damit gegebene Bedrohung von Personen. „Durch den Anschluß des Blitzableiters an die Wasser- und Gasröhren,“ heißt es in einem Gutachten des Berliner Elektrotechnischen Vereins über diesen Gegenstand, „verschwindet in den meisten Fällen jegliche Gefahr, und in keinem Falle wird eine wesentliche Vermehrung der ohne den Anschluß bestehenden Gefahr bewirkt.“

Alle unsere Schutzmaßregeln sind nun zwar geeignet, die Blitzgefahr einzuschränken, allein gänzlich kann sie nicht beseitigt werden, und so werden ihr nach wie vor Menschen zum Opfer fallen; für das Verhalten diesen gegenüber ist es von Werth, sich eine Hauptregel zu merken. Wir müssen bedenken, daß der Blitzschlag nicht in allen, sondern nur in vielen, vielleicht in den meisten Fällen tötet; diejenigen, die mit dem Leben davonkommen, erholen sich in der Regel in kurzer Zeit, oft schon in wenigen Augenblicken. Doch kann es sein, daß die Bewußtlosigkeit tagelang andauert; jedenfalls ist es also für den Laien geboten, jeden vom Blitz Getroffenen, selbst wenn er ohne Lebenszeichen daliegt, bis zur Ankunft des Arztes als einen Scheintoten zu betrachten und dementsprechend zu behandeln.

Leute, die sich vom schweren Blitzschlag wieder erholen, haben keine Erinnerung an den Vorfall, wenn sie aus ihrer Betäubung erwachen; sie haben weder den Blitz gesehen, noch den Donner gehört.[1] Glücklicherweise geht die Mehrzahl mit raschen Schritten der völligen Gesundheit entgegen; manchmal aber hat der Blitzschlag langandauernde nervöse Erkrankungen im Gefolge, die indessen im großen und ganzen dann auch mit völliger Heilung abschließen.

Der Blitztod beschäftigt nur äußerst selten den Gerichtsarzt. Prof. E. Hofmann erwähnt einen höchst sonderbaren Fall, in dem er ein Gutachten abzugeben hatte: im Juni 1879 war während eines ungemein heftigen, mit Hagelschlag verbundenen Gewitters ein Fensterflügel einer Wohnung im dritten Stock so heftig vom Sturme zugeworfen worden, daß die mittlere Querleiste des Fensters brach und die Trümmer sämmtlicher Scheiben weit in das Zimmer hineingeschlendert wurden. Zwei fingerlange messerklingenartig geformte Glassplitter waren einem siebzehnjährigen Mädchen in die Brust gedrungen und hatten dessen Tod durch innere Verblutung veranlaßt. Obgleich ein im Zimmer anwesender Mann in dem Augenblicke, wo das Fenster in Trümmer ging, weder den Blitz gesehen noch den Donner gehört hatte, so wurde doch von den Angehörigen eine Tötung durch Blitzschlag angenommen, ebenso von dem herbeigerufenen Arzte, der auch in diesem Sinne den Totenschein ausstellte, worauf die Beerdigung erfolgte. Erst nach drei Wochen wurde der Fall durch genauere Erhebungen aufgeklärt und die wahre Todesursache festgestellt.

Wir schließen diese Bemerkungen mit der Hoffnung, daß es den unermüdlichen Forschungen der Wissenschaft gelingen werde, die Elektricität, die wir täglich mehr in unseren Dienst stellen, auch da so weit als möglich zu bezwingen, wo sie in Gestalt des Blitzes uns Gefahr droht.C. Falkenhorst.     



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Das Los des Schönen.

Erzählung aus dem achtzehnten Jahrhundert. Von Stefanie Keyser. Mit Abbildungen von René Reinicke.

(2. Fortsetzung.)

Die nächste Zeit verging im Amtshause still und gleichförmig, wie das Leben in kleinen Landstädten verläuft. Der Justizamtmann tüftelte an seinem Urtheil; die Frau gab eine Kaffeevisite; Lida pflückte am Tage aufblühende Maienglöckchen für ihren „Potpourri“, träumte von der seligen Stunde, wo der junge Offizier in seinem zierlichen Hut Veilchen für sie gesammelt hatte und schaute abends dahin, wo vom feurigen Abendroth sich die Festungsmauern abhoben, hinter denen er weilte. Nur Lotte war unsteter als sonst. Sie kam früher wie ehedem von ihrem Abendgang im Garten zurück und sie hatte sogar die Waffeln zur Kaffeevisite zu braun gebacken.

Als wieder einmal die Dämmerung hereinbrach, lief sie, fast stampfend vor Ungeduld, zwischen den Spaliergurken auf und ab, die ihre unscheinbaren Blüthen entfaltet hatten.

„Wieder bleibt er aus!“ schalt sie laut; denn sie hatte wie viele Menschen von lebhafter Gemüthsart die Angewohnheit, mit sich selber zu sprechen. „Fortzureiten, ohne mir zu sagen, wohin, warum, auf wie lange! Wenn er mich heut abermals vergeblich warten läßt, gebe ich ihm den Laufpaß.“ Und schon bei der Vorstellung dieser Möglichkeit wischte sie sich eine Thräne von den Wimpern.

Da kroch er durch den Zaun.

„Beliebt’s endlich dem Herrn?“ fuhr sie ihn an. „Ich bin gerade fertig mit meiner Promenade.“

„Nun, die Demoiselle wird sich schon noch Zeit geben, wenn sie erfährt, was ich weiß,“ erwiderte er gemächlich.

Sie blieb stehen. „Was ist’s?“

„Morgen ziehe ich meine gelbe brokatene Bratenweste an, nehme den neuen Dreimaster unter den Arm und halte bei dem Herrn Justizamtmann um die Hand seiner ältesten Demoiselle Tochter an.

„Aber,“ sagte sie, als traue sie ihren Ohren nicht, „es ist noch lange nicht Quatember.“

„Als ob man nur im Quatember Verlöbniß feiern könnte!“ lachte er. „Der Weg zur Frau Herzogin ist nicht abgebrochen. Ich bin hingeritten in aller Stille, nur ein Felleisen mit dem guten Rock hinter mir; ich habe mit den Herren Räthen verhandelt, und es ist mir zugesprochen worden, was ich vernünftigerweise verlangen konnte. Die Wohnräume werden ausgebaut, damit eine Frau Inspektorin Platz darin findet, mein jährliches Gehalt ist um hundert Thaler erhöht worden, und die Frau Herzogin hat mir auch die Nutznießung von einem Stück Land bewilligt.“

„Ehrhardt!“ jubelte Lotte und flog ihm um den Hals. „Den Weizenboden?“

Ein störrischer Zug trat in das frische gebräunte Gesicht mit den starken blonden Brauen und den klaren Augen.

„Ach, da bekommt er schon den viereckigen Kopf!“ jammerte sie, und die Arme sanken ihr herab.

Doch unbewegt klang seine Antwort: „Den Sandboden.“

Sie schüttelte sich vor Trotz.

Mit erhobener Stimme fuhr er fort: „Jeder Frohnbauer erhält in Zukunft neben seinem ihm gebührenden Brot und Käse Erdäpfel zur Anpflanzung.“

Sie schlug die Hände vor die Augen. „Eine Erdtoffelschule will der Inspektor gründen?“

Der junge Mann richtete sich kerzengerade vor ihr auf. „Will die Demoiselle den Inspektor Ehrhardt mit seinen Erdtoffeln oder nicht?“


  1. In den Fällen, wo eine solche Erinnerung nach dem Erwachen aus der Betäubung besteht, ist man geneigt anzunehmen, daß der Blitz in der unmittelbaren Nähe der Betäubten niedergefahren ist und daß die nervösen Störungen der Betroffenen als sogenannte Schreckneurose aufzufassen sind.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_643.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2023)