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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

meine wahnwitzige Angst, daß sie mir fortgenommen werden könnte – da, sag’ ich, antwortet sie mir hin und wieder mit kleinen schüchternen Zettelchen, solch’ hilflosen Mädchenbriefen; das ist, als hättest Du den rasendsten Durst von der Welt, und sie bieten Dir dafür ein paar spärlich versprengte Tröpfchen Blumenthau!“

„Aber Troost, wenn sie Dich liebt –“

„Liebt? Ja doch, ja, sie glaubte es damals wenigstens – oder hatte ich sie nur mit meiner gewaltigen Leidenschaft mitgerissen? Aber nun dies Wunderbild und das brausende Hamburger Leben und sie mitten in diesem Strom von Gold und Glanz, alles auf den Knieen vor ihr in Bewunderung und Begehren, – und ich nicht da, niemals da, sie zu behüten, festzuhalten! Hier in Rom muß ich arbeiten, arbeiten, um groß und reich zu werden – und doch müßte sie bald, bald aus diesem Taumel der Vergötterung herausgerissen werden durch eine feste und starke Hand, denn in ihrer Umgebung ist niemand, der einen hohen Sinn und eine vornehme Denkweise hat – ich wenigstens habe dort keinen gefunden. Und sie ist so jung, so leicht zu verwirren, zu beeinflussen! Andree, wenn ich sterbe, mußt Du mir mein Kleinod retten!“

Der Maler zuckte leicht zusammen und wandte seine Augen von der Büste fort auf seinen Freund.

„Red’ nicht solch’ dummes Zeug zusammen, lieber Sohn! Du hast wohl Fieber bekommen und fängst zu phantasieren an? Sterben! Du, bei Deiner Jugend und Lebenskraft!“

Werner Troost lächelte.

„Ich denke ja nicht d’ran, sterben zu wollen, nur für alle Fälle – auch junge, kerngesunde Leute machen ihr Testament, und ich – zu hinterlassen hab’ ich nicht viel, meine Ateliereinrichtung bekämest Du und das einzige werthvolle Stück darin wäre diese Marmorbüste.“

„Du sprichst zuviel, Troost, das kann Dir nicht gut sein.“

Andree sah mit Besorgniß, wie seines Freundes Gesicht sich verändert hatte – eine wächserne Blässe lag darüber ausgebreitet.

„Thorheit! Wer weiß, wie lange ich noch reden kann! Sieh nicht so bös aus, ich red’ ja nicht vom Tode, nur ist es nicht unmöglich, daß ich wirklich anfange, zu fiebern, und dann erfährst Du nichts! ’s ist doch nur, weil ich denke, Du müßtest nach Hamburg, meine Stelle vertreten, wenn … dummes Zeug! Also, vor zwanzig Monaten etwa kam ich nach Hamburg zum Besuch meines Onkels, des einzigen Verwandten, den ich noch habe. Er ist ein wohlhabender Schiffsreeder, hat mir viel Gutes erwiesen und fand diesmal mehr Wohlgefallen an mir als je; er hält mich, da er von der Kunst ungefähr soviel versteht, wie ich von seinen Schiffswerften, für ein Genie ersten Ranges, für so eine Art Michelangelo, dazu bestimmt, die Welt mit unsterblichen Werken außer Athem zu setzen. Durch seine Frau, die aus einer alten Hamburger Familie stammt, hatte er Zutritt in den stolzesten Patrizierhäusern, so verkehrte ich überall, wurde viel eingeladen, und bei einer jener glänzenden Hamburger Gesellschaften, die einem Fürsten von Geblüt keine Schande gemacht hätte, traf ich Senator Brühl nebst Gattin und Tochter.“

Troost that einen tiefen Athemzug, der wie ein Seufzer klang, und heftete seine weitgeöffneten Augen auf das Marmorbildniß. Die Sonne stand schon bedeutend tiefer, schräge Goldstreifen glitten durch die Gehänge am Fenster und zitterten um Stirn und Lippen der Büste.

„Stella heißt sie – ein Name wie für sie erfunden – der ‚Stern‘! Sie verblaßten alle neben ihr wie Schatten, die vielen hübschen Mädchen, die dort waren.“

„Nun – und Du?“

„Ich sah den ganzen Abend nur sie, und andern Tags hab’ ich dort meinen Besuch gemacht. Ich fand ein prachtvoll eingerichtetes Haus, einen Vater und eine Mutter, die mit ihrer Tochter Abgötterei trieben – wer kann es ihnen verdenken?“

„Ist sie die einzige Tochter?“

„Nein, sie hat eine Schwester und einen Bruder, beides noch Kinder!“

„Und sie selbst – ihr Wesen?“

„Ach!“ Werner Troost athmete tief und schloß halb die Augen. „Es ist alles im Werden bei ihr, ich sagte Dir ja, sie muß erzogen, behütet, veredelt werden – wer thut das bei ihr zu Hause? Ob ich fest und stark genug wäre, sie oben zu halten – ich weiß es nicht! Ich liebe sie so abgöttisch, da überlegt man nichts! Wenn ich aber sterbe, mußt Du ihr alles sein. Du wirst ihr nicht nur Liebe und Anbetung, sondern auch Energie zeigen – versprich mir!“

Er sank tiefer zurück in die Kissen! Andree beugte sich beunruhigt über ihn. Das Gesicht seines Freundes war seltsam verändert; die Pupillen schienen sich erweitert zu haben und strahlten einen bläulichen Glanz aus; ein eigenthümliches Lächeln, das nichts Freundliches, sondern etwas befremdend Starres hatte, zog die Oberlippe ganz zurück und legte die schönen weißen Zähne bloß. Die freie linke Hand dehnte sich mehrmals aus und schloß sich langsam wieder zusammen.

„Rede nicht mehr, Werner,“ sagte Andree und strich ihm die Haare aus der Stirn, wie einem kranken Kind, „es greift Dich doch an. Ich verspreche Dir alles, was Du willst!“

„Dank, Dank – doch nun – mich fröstelt, ich möchte schlafen – nimm doch die Büste weg – die Sonne ist ja auch schon fort – Du mußt sie aber bedecken!“

Andree hob das Tuch vom Boden auf. Vorsichtig, als habe er ein lebendes Wesen vor sich, hüllte er das schöne Köpfchen in die Decke ein und trug es nach dem entlegensten Winkel des Ateliers; dann trat er auf den Fußspitzen wieder an das Bett.

Werner hatte die Augen geschlossen, allein die Lider deckten sie nicht ganz zu, ein dunkler Spalt schimmerte darunter hervor. Immer noch theilte das starre Lächeln, das kein Lächeln war, die Lippen, und die linke Hand suchte und tastete auf der Bettdecke.




3.

Leise that sich die Thür auf, und Signora Marchini steckte vorsichtig den Kopf herein, sie hatte verweinte Augen und winkte Andree zu sich heran.

„Die Herren Aerzte sind drüben bei mir – wenn Signor Andree auch kommen wollte – Frolo kann solange hier bleiben!“

Der hagere Wärter schob sich hinter ihr herein und setzte sich mit seiner unbeweglichen Miene sofort neben das Bett.

In dem kahlen Flur blieb Signora Marchini, nachdem sie die Thür des Ateliers leise hinter sich geschlossen hatte, plötzlich stehen, ergriff Andrees Hand und preßte ihr verweintes Gesicht dagegen.

„Ich kann’s nicht glauben, Signore, ich kann’s nicht! Meinen eigenen Sohn, wenn mir die Muttergottes statt meiner drei Töchter einen gegeben hätte, könnt’ ich nicht lieber haben! Heute früh ist er fortgegangen mit Lachen und einem Liedchen auf den Lippen – und nun – nun –“

Andree erwiderte kein Wort. Sie traten in das Zimmer der Witwe, ein freundliches Stübchen mit einem behäbigen Ledersessel, auf welchem ein zusammengekauertes Kätzchen schnurrte; bunte Heiligenbilder hingen über dem Bett und als Prunkstück stand auf einem Schränkchen ein betendes Kind aus Gips, ein Geschenk des Miethers.

Die beiden Herren, Doktor Weber, der deutsche Arzt, ein untersetzter wohlwollend aussehender Herr, und sein römischer Kollege, stattlich, brünett, mit einem glattrasierten Gesicht, erhoben sich von ihren Stühlen, als Andree eintrat. Der fremde Arzt fragte: „Ein Bruder des Kranken?“

„Ein Freund!“ erwiderte Doktor Weber.

Andree verbeugte sich stumm.

„Herr Doktor Weber hat mir seine Diagnose mitgeteilt,“ begann der stattliche Herr von neuem. „Sonach hat Ihr Freund bei dem Unglücksfall in der Casa Bortenyi schwere innere Verletzungen davongetragen, die nach menschlichem Ermessen unfehlbar den Tod nach sich ziehen. Um dem Kranken die Möglichkeit zu gewähren, einige Verfügungen zu treffen, und um den unausbleiblichen qualvollen Schmerzen vorzubeugen, hat Herr Doktor Weber sich veranlaßt gesehen, ein sehr scharfes Mittel anzuwenden, dessen Wirkung jetzt bald beendet sein dürfte. Mein Herr Kollege wünscht ausdrücklich, daß ich den Verunglückten sehe und, wenn möglich, nochmals untersuche. Ich füge mich diesem Wunsch, obgleich ich der unumstößlichen Ueberzeugung bin, daß Herr Doktor Weber, mit welchem ich bereits mehrfach im ärztlichen Berufe zusammen thätig war, mit seiner Diagnose hier, wie bisher stets, das Richtige getroffen hat!“

Dokor Weber verneigte sich in Anerkennung dieser wohlgesetzten Rede, die seinem Können so volle Achtung zollte, und wendete sich dann zu Andree.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_615.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2023)