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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

wurde Andree eines Abends feierlich mit einer Ansprache überreicht und ihm gerathen, es jederzeit, so oder so, an seiner Atelierthür zu befestigen, damit man wisse, ob er „normal oder nicht normal“ sei. Er hatte den Scherz mit seinem herzlichen Lachen aufgenommen. Alle Neckereien und geflügelten Worte hatten übrigens nicht den geringsten Einfluß auf ihn, er lachte und fuhr fort, den jungen Bildhauer aufzusuchen, ihn in seinen Arbeiten nach Kräften zu fördern und vor schlechtem Umgang zu bewahren, dem eine so feurige Natur wie die Werners leicht hätte zum Opfer fallen können, zumal sich ihm bei seiner Schönheit und Liebenswürdigkeit Thür und Thor überall aufthaten.

Mit Recht sah es daher Paul Hartwich – allgemein der „kleine Hartwich“ genannt, obgleich er Mittelgröße hatte – als eine schwere Aufgabe an, Andree auf das Unglück vorzubereiten, das sich heute in der Via Sardegna zugetragen hatte. Um diese Zeit pflegte Werners Freund in seinem Atelier zu arbeiten; Hartwich wollte nur den Kranken nach Hause schaffen, ihn seiner Wirthin auf die Seele binden und dann zu Andree eilen.

Bis zur Via del Babuino ist’s kein weiter Weg, und die Träger kamen mit ihrer Last ungehindert zum Ziel. Hier und da stand jemand still und fragte, ob das auch ein Opfer des Unglücks in der Via Sardegna sei; andere wußten noch von nichts und wünschten Auskunft zu haben, aber im ganzen ging alles ohne Zeitverlust von statten.

Signora Marchini, Werner Troosts Wirthin, mit dem Körperumfang und dem Doppelkinn einer echten alternden Römerin, verließ ihren Risotto, den sie gerade zubereiten wollte, und eilte mit Geschrei auf die Straße, als ihre kleine Dienerin ihr mit aufgeregter Wichtigkeit die Kunde überbrachte, der Signore Tedesco werde soeben tot dahergetragen. Als die Matrone aber von dem kleinen Hartwich vernahm, wie es stand und was man von ihr erwartete, da hörte sie auf zu schreien und traf mit Umsicht ihre Maßregeln. Sie ließ das Bett ihres Miethers in sein Atelier bringen, einen großen luftigen Raum, sie holte alle ihre Vorräthe an altem weichen Leinen hervor, schickte das kleine Dienstmädchen zum nächsten Arzt und zu einem zuverlässigen Krankenwärter, den sie kannte, und schwor, ihren Posten nicht früher zu verlassen, als bis die beiden bei ihr eingetroffen seien. Dann verhängte sie mit allen möglichen Stoffen die breiten Fenster, daß die blendende Sonne keinen Zutritt hatte, rückte sich einen Stuhl neben das Krankenlager und flüsterte: „Mio povero! Carissimo!“ denn auch sie liebte Werner Troost, wie alle ihn liebten!

Er hatte ein paarmal geseufzt, als sie ihn betteten, und mit der linken Hand abzuwehren versucht – jetzt lag er wieder leblos da, geisterhaft bleich inmitten des weißen Linnens.

Und Hartwich bat noch einmal Signora Marchini, den Armen gut zu hüten, denn er müsse nun fort, und sie fragte: „Zu Signore Andree? Heilige Jungfrau, was wird der sagen, wenn er es hört?“ –




2.

Waldemar Andrees Atelier lag am Ende der Via Margutta – „ein beneidenswerthes Nest“ sagten die Künstler und mit vollem Recht, denn es war ein hoher, kühler, ausgedehnter Raum mit prachtvollem Oberlicht und einer einfachen gediegenen Ausstattung, die dem Geschmack des Besitzers alle Ehre machte. Andree war bekannt dafür, daß er mit unglaublicher Ausdauer und ebensoviel Glück allerlei Raritäten aufspürte und ankaufte, alte Bilder, Stickereien, Waffen, Gobelins – alles gut und echt.

Hartwich hatte seinen Gang in die Via Margutta im Sturmlauf begonnen, so stand er in kürzester Zeit vor Andrees Atelier. Er klopfte, alles still. Der Besucher ließ sich aber nicht irre machen und klopfte zum andern Mal. Andree mußte ja um diese Zeit zu Hause sein. Drinnen rührte sich nichts.

Jetzt fing Hartwich an, an der verschlossenen Thür zu rütteln, und bedachte sie sogar mit einem leichten Fußtritt.

Endlich ertönte eine tiefe Stimme von innen: „Ruhe, zum Teufel – ich komme schon!“

Die Thür wurde aufgerissen und ein auffallend hochgewachsener Mann, der einen grauen Malerkittel trug und einen nassen Pinsel in der Rechten hielt, sah unter ärgerlich zusammengezogenen Brauen auf den Eindringling herab, der ihm knapp bis an die Schulter reichte.

„Paolo Hartwich,“ sagte er strafend, „Ihr gehört doch wirklich zu der verruchten Menschengattung, der nichts auf Gottes Erdboden heilig ist, nicht einmal eine fruchtbare Malerstimmung. Warum in aller Welt sitzt Ihr um diese Stunde nicht in Eurer eigenen Klause und frevelt in Oel, anstatt hier andere Leute durch Euer Philistergesicht aus allen Himmeln zu reißen?“

Trotz des scherzenden Tons war Andree wirklich geärgert, das fühlte Hartwich heraus; um so schwerer fiel es ihm, sein Anliegen vorzubringen und eine passende Einleitung zu finden.

„Bitte, seid nicht böse …“ fing er an.

„Ich bin aber böse, zum Henker, warum soll ich lügen? Nun denn herein mit Euch, Ihr Störenfried!“

„Eine verbindliche Aufforderung!“ versuchte Hartwich zu scherzen, während er neben Andree ins Atelier trat.

Andree hatte indessen seinen Pinsel fortgelegt und kramte etwas verdrossen in einer Mappe herum. Endlich hob er ungeduldig den Kopf.

„Nun?“

Hartwich seufzte. „Lieber Freund, ich bin in einer ernsten Angelegenheit hergekommen!“

„Hm! Braucht Ihr Geld? Wieviel denn?“

„Diesmal nicht, danke, bin so noch in Eurer Schuld! Ich wollte, es wär’ bloß Geld, aber leider – ich komme eben aus der Via Sardegna!“

„Und?“

„Ja – es wird mir furchtbar schwer, so damit herauszuplatzen, doch am Ende – wie will ich es denn machen? Es hat ein Unglück gegeben, die Casa Bortenyi ist eingestürzt!“

Er wagte nicht aufzusehen, während er dies sagte; es blieb eine Zeitlang still in dem schönen freundlichen Atelier, nur draußen vor dem Fenster sang eine Amsel.

Hartwich hätte getrost aufblicken können – Andrees Züge waren unverändert, er war nicht einmal bleich geworden, nur seine dichten dunkeln Brauen waren noch näher aneinandergerückt, und das Sprechen schien ihm schwer zu werden. Erst nach einer Weile fragte er:

„Ist Werner tot?“

„Nein, der Arzt wußte nicht einmal, ob schwer verwundet; es konnte keine gründliche Untersuchung stattfinden. Er lebt, liegt aber ohne klares Bewußtsein da. Ich ließ ihn nach seiner Wohnung schaffen –“

„Warum nicht zu mir?“

„Erstens hätte ich zu Euch weiter gehabt und zweitens hättet Ihr ihm, bei aller Freundschaft, nicht die vortreffliche weibliche Pflege der braven Signora Marchini ersetzen können, die wie eine Mutter für ihn besorgt ist.“

Andree nickte ihm nur zu, was bedeuten sollte: Du hast recht gethan! Dabei riß er den Kittel herunter und suchte seine Sachen zum Ausgehen zusammen. Aus einem kleinen geschnitzten Schränkchen holte er eine handvoll Banknoten heraus und schob sie, ohne zu zählen, in seine Brieftasche, dann winkte er Hartwich, schloß anscheinend kaltblütig das Atelier ab und steckte den Schlüssel zu sich.

Draußen vor dem Hause kam ihnen eben eine Droschke in schläfrigem Trabe entgegen. Andree rief sie an und ein paar Worte von ihm belebten Kutscher und Pferde alsbald in merkwürdiger Weise, sodaß sie die Via del Babuino wie im Fluge erreichten.

Als sie an Troosts Wohnung ausgestiegen waren, merkte Hartwich, daß Andree gesonnen sei, allein hineinzugehen und ihn draußen zu lassen. Das befremdete ihn und er äußerte, er sei gespannt zu hören, was der Arzt inzwischen angeordnet habe und wie es stehe. Darauf nickte Andree nur, meinte: „Ich lasse Euch Bescheid heraus sagen – in spätestens fünf Minuten sollt Ihr ihn haben!“ und ging ins Haus, seinem Gefährten einfach die Thür verschließend. Der Andere hätte dies übel aufnehmen können, allein er ahnte, wie schwer dem Freund Werners die Unglücksnachricht auf der Seele lag, und so geduldete er sich.

Ja, Waldemar Andree hatte ein schweres Herz – drinnen in dem dämmerigen, mit Ziegelsteinen gepflasterten Flur lehnte er sich einen Augenblick gegen den Thürpfosten und drückte die Augen zu. Da nebenan, nur durch eine dünne Wand von ihm getrennt, sollte Werner Troost schwerkrank, vielleicht gar sterbend,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_600.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)