Seite:Die Gartenlaube (1891) 492.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

seine verlassene Stellung einrückte. Auf der Reise von Wien nach Mannheim hatte Franz seine Dmoll-Symphonie in München unter großem Beifall zur Aufführung gebracht. Dieser Aufführung verdankte er die Berufung als Hofkapellmeister dorthin, im Jahre 1836. Abermals war Vincenz der Nachfolger seines Bruders, er verblieb volle 37 Jahre in Mannheim, wo er sich große Verdienste um die Musikpflege in Baden und in der Pfalz erwarb. Seit seiner im Jahre 1873 erfolgten Pensionierung lebt er in Karlsruhe; er hat sich durch eine rege weit verzweigte Thätigkeit auf musikalischem Gebiete trotz seiner 80 Jahre eine überraschende Frische bewahrt.

Franz Lachner hatte unterdessen Gelegenheit gehabt, seinen Ruf durch eine glänzende Wirksamkeit an der Münchener Hofoper und überhaupt im musikalischen Leben der bayrischen Hauptstadt immer weiter auszudehnen. Er wurde zum Generalmusikdirektor ernannt, und die Universität München verlieh ihm – nachdem er sich schon von seiner öffentlichen Thätigkeit zurückgezogen hatte – den philosophischen Doktorgrad honoris causa, die Stadt München den Ehrenbürgerbrief. Als Mitte der sechziger Jahre der Wagnerkultus in München zur Blüthe gelangte und seine damaligen Vertreter im Feuereifer ihrer Sturm- und Drangperiode, zugleich gestützt auf die Gunst des jungen Königs, ihren neuen Ideen mit Macht Geltung zu verschaffen suchten, da hatte die Stunde Franz Lachners geschlagen. Zwar hatte er noch den „Tannhäuser“ und den „Lohengrin“ zu musterhaften Aufführungen gebracht, doch als es zu persönlichen Begegnungen der beiden Meister Lachner und Wagner kam, da wollte eine ruhige Uebereinstimmung sich nicht herausbilden. Lachner stand der neuen Richtung zu fremd gegenüber; auch ließen es deren Vertreter wohl da und dort an der erforderlichen Rücksicht gegen den auf der Höhe seines Schaffens und Ruhmes stehenden älteren Meister fehlen, kurz, er suchte im Jahre 1865 um seine Pensionierung nach, erhielt aber nur einen längeren Urlaub, und erst 1876 trat er in den Ruhestand, nachdem er am 2. Februar desselben Jahres zum letzten Male die Oper „Die Stumme von Portici“ geleitet hatte.

Die künstlerische Bedeutung der Brüder Lachner liegt besonders auf zwei Gebieten, auf dem des Dirigenten und dem des Komponisten. Als Dirigenten haben die Brüder Lachner eine eigene Schule gebildet, nicht bloß für die Wiedergabe der klassischen Werke, sondern auch für die der nachfolgenden Zeit. Im Orchester groß geworden, besaßen die Brüder Lachner eine gründliche Kenntniß aller Instrumente; die unbeugsame Strenge aber, welche sie selbst in ihrer Jugend erfahren hatten, übertrugen sie auf die Leitung der ihnen anvertrauten Anstalten und erzielten so jene vorzügliche Schulung und Zucht, ohne welche wirklich gute Leistungen nicht geboten werden können. Wenn R. Schumann von dem bekannten Konzertmeister des Leipziger Gewandhauses, Ferd. David, gesagt hat, der höre Unreinheiten und falsche Noten durch einen Berg, so gilt dies nicht weniger von den Brüdern Lachner, denen die Natur ein so feines musikalisches Ohr gegeben hatte, wie es nur selten zu finden ist. In der Stabführung galt ihnen als oberster Grundsatz: die Zeichen eines Operndirigenten sind als ein nothwendiges Uebel zu betrachten und alle Bewegungen des Taktierens sind auf das kleinste Maß zu beschränken, zur Unterstützung dient das Auge. Vincenz insbesondere verstand es, alles zu vermeiden, was die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf ihn als Dirigenten hätte ablenken können.

Als Komponisten haben die Brüder Lachner zusammengenommen das ganze weite Feld von der Oper, der Symphonie und dem Oratorium an bis herab zum einfachsten Lied bearbeitet und befruchtet. Franz beherrschte alle Gebiete und seiner veröffentlichten Werke sind kaum weniger als zweihundert. Von Ignaz besitzen wir keine Symphonien und von Vincenz keine Opern.

In allen ihren Werken aber fußen die Brüder auf klassischem Boden, und auch hier erkennen wir die gute Nachwirkung der strengen Jugenderziehung. Sie waren gewohnt, sich den Gesetzen der Kunst unbedingt zu unterwerfen, und die Form galt ihnen nicht weniger als der Inhalt.

Der innige Bund, welcher das treffliche Kleeblatt in brüderlicher Liebe und in der Liebe zur Kunst bis in ein hohes Alter vereinte, ist durch den Tod Franz Lachners für das zeitliche Leben getrennt; blicken aber die beiden überlebenden Brüder, von denen der jüngste jetzt sein achtzigstes Lebensjahr vollendet, auf ihre Vergangenheit zurück, so dürfen sie es mit Stolz und in dem Bewußtsein thun, daß ihnen ein gütiges Geschick das schönste Los beschied, welches dem Menschen werden kann: aus Armuth und Noth zu den Höhen der Kunst und des Ruhmes emporgestiegen zu sein durch eigene Kraft. E. Fritsche.     



Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Lea und Rahel.

Roman von Ida Boy-Ed.

(Schluß.)

Ein herziger Junge!“ rief Rahel und kniete schon neben Clairons Sohne im Sand. „Was machst Du denn da?“

Mochte es nun sein, daß diese Dame ihm vertrauenerweckender schien als jene andere, oder geschah es, weil er sie mit seiner Mama zusammen sah, genug, der Knabe ließ sich gleich mit Rahel in eine Unterhaltung ein. Die anderen Erwachseneu hörten lächelnd zu. Rahel erwies sich als sehr sachverständig und konnte sich so drollig in den Standpunkt des Kindes hineinversetzen, daß dieses ganz glücklich lachte.

„Nun schau einer den Jungen an.“ sagte Clairon, „von Ihrer Frau läßt er sich die Locken streicheln und vorhin, als eine allerdings etwas – etwas exotische Dame schön mit ihm that, lief er einfach davon.“

„Haben Sie Kinder?“ erkundigte sich die Gräfin aus Höflichkeit. Sie waren ihr völlig gleichgültig, die Kinder anderer Leute, aber da man gegen ihren Knaben gütig war, wollte sie es wenigstens durch scheinbare gegenseitige Theilnahme belohnen.

„Zwei,“ gab Lüdinghausen mit dem heitersten Gesicht von der Welt zur Antwort, „allein wir haben sie Gott sei Dank zu Hause gelassen.“

„Er ist ein Rabenvater“ bemerke Rahel aufblickend.

„Ich bitte Sie, Gräfin, ich handle in der Wahrung berechtigter Interessen. Stellen Sie sich mein Leben und meine Ehe vor! Erst muß ich als Verlobter einen unnöthig langen Brautstand ertragen. Warum? Rahel will ihre Eltern nicht so schnell allein lassen. Dann – ich habe den Staatsdienst aufgegeben und lebe seit meiner Verheirathung bei meinem Vater – dann dreht sich alles um den alten Herrn. Warum? Rahel sagt, der liebe gute Papa ist so lange einsam gewesen, man muß ihn recht verziehen. Und außerdem bringt jeder Tag so viel Arbeit und Pflichten und ich sehe meine Frau oft kaum. Warum? Rahel sagt, daß wir für die Wohlfahrt der Tausende auf unsern Zechen und in unsern Gruben verantwortlich sind, und daß sie den Platz ausfüllen muß, auf den ich sie gestellt habe.“

„Um Gotteswillen!“ rief die Gräfin, welche nicht verstand, daß diese Anklagen eine besondere Form waren, in welcher innigste Liebe eine Lobrede hielt. Diese Rahel Lüdinghausen war ja offenbar eine ganz herzlose Gattin und eine schrecklich emanzipierte Frau. Sie, die Gräfin, lebte nur einem Gedanken: dem für Mann und Kind.

„Und wenn das noch alles wäre,“ fuhr Lüdinghausen fort, während Rahel ihn von Zeit zu Zeit mit zärtlichem Lächeln anschaute, „aber dann kamen die Kinder, und obgleich Rahels Tag schon vorher völlig ausgefüllt war, ging die Sorge für die Kleinen doch noch hinein in diese wunderbare Zeiteintheilung, darin die Stunden von Kautschuk zu sein scheinen. Und wenn ich somit einmal meine Frau für mich haben will, entführe ich sie mit Gewalt.“

Clairon drückte ihm fest, merkwürdig fest die Hand.

„Sie sind sehr glücklich,“ sagte er halblaut.

„Aber die Kinder hätte ich doch mitgebracht,“ meinte die Gräfin, die so etwas nicht begriff.

„Wenn mein Vater nicht wäre,“ rief Lüdinghausen lachend. „Denken Sie denn, Gräfin, daß er sich beides hätte nehmen lassen. Rahel und die Kinder? Nein, dieser Mann, der Erz und Kohle aus den Tiefen geholt, der für den Krieg das Material zusammengeschmiedet und Kanonenrohre gegossen hat – dieser gewaltige Mann lebt jetzt der Verehrung einer jungen Frau und der Pflege zweier kleiner Kinder.“

„Sie sind sehr verändert,“ sprach Clairon, als er mit Lüdinghausen voranging, während die Damen noch bei dem Knaben verweilten, „früher waren Sie wortkarg, ein wenig förmlich und kühl.“

„Rahel ist mein guter Geist, sie hat mir das Gemüth wärmer und die Zunge biegsamer gemacht. Ich bin in der That sehr glücklich, Clairon, sehr!“ Eine tiefe Bewegung übermannte ihn. Dann fuhr er fort: „Mir ist, als ob Sie und ich offen gegeneinander sein dürften. Offener, als es sonst Männer sind, die sich so wenig kennen. Aber in unserer Vergangenheit ist ein Tag, der uns beide in fast gleicher Gefahr sah. Sie freilich trieben aus Leidenschaft einer Klippe zu, ich aus Pedanterie. Ich glaubte, daß man nach einem vorgeschriebenen Programm sein Leben gestalten könne. Sie, meine Rahel, sie hat uns gerettet. – Sagen Sie mir nun auch, Clairon – mir scheint, ich habe ein Recht zu der Frage – sagen Sie mir: Haben auch Sie gefunden, was Sie einst vergeblich suchten?“

Clairons ernste Züge erhellten sich nicht, als er leise antwortete:

„Meines sterbenden Bruders Wunsch vermählte mich seiner Witwe. Unser gemeinsamer Kummer führte auch unsere Herzen schnell zusammen; meine Frau ist ein Kind, welches sehr des Schutzes

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_492.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2023)