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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

im Frühling die nicht weit von einander wohnenden Männchen in dieser eintönigen Sprache, nur daß bei besonderer Erregung zuweilen ein wie aus heiserem Hals hervorgestoßenes „Puh“ dem „Hup“ angehängt wird. Nicht selten nehmen die Nebenbuhler auch einen ergötzlichen Anlauf zum Zweikampf, der jedoch niemals zu einem blutigen Austrag kommt. Der ganze Auftritt besteht in Verfolgungen, zornigen Drohungen und Gebärden, die sich wie unschädliches Säbelgerassel prahlender Renommisten darstellen. Gegenüber andern Vögeln zeigt sich der Wiedehopf sehr zurückhaltend; er sondert sich mit Seinesgleichen streng ab, als fühlte er, daß seine vornehme Figur nicht in die lichten Haufen der gesellig Lebenden paßt. Die Ursache dieses Verhaltens liegt in seiner Arteigenthümlichkeit und scheint im Grunde auf eine hochgradige Aengstlichkeit und nervöse Erregbarkeit zurückgeführt werden zu müssen. Schon sein sehr scheues vorsichtiges Wesen, welches er bei uns zu Lande – im Gegensatze zu seinem Gebahren im Süden – zur Schau trägt, zeugt von Furchtsamkeit. Diese äußert sich aber unverkennbar, wenn er von schreckenerregenden Erscheinungen oder erschütternden Naturereignissen überrascht wird. Dann drückt er sich auf den Boden nieder, lüftet den Federbusch weit auseinander, spreizt den Schwanz, breitet die Flügel kreisförmig aus, legt den Kopf zurück und richtet den Schnabel senkrecht in die Höhe. In dieser Stellung verharrt er so lange, bis die Gefahr vorübergegangen ist. Offenbar hat der ganze Vorgang den Zweck des Schutzes, der Sicherstellung durch Täuschung.

Wenn nur einzelne Individuen zu diesem Mittel ihre Zuflucht nehmen würden, dann müßten wir das Schlußvermögen des Vogels bewundern. Aber es hat mit der Sache doch eine andere Bewandtniß. Da alle Individuen ohne Ausnahme in derselben Weise sich benehmen, so kann es sich nur um eine vererbte Gewohnheit handeln. Wohl ist der Vogel sich dessen bewußt, was er thut, auch kommt der Anstoß von außen; allein nicht Ueberlegung, nicht Nachdenken beherrscht sein Thun, sondern lediglich der Naturtrieb. Der Nervenreflex übt seine unwillkürliche Wirkung aus auf Grund jener vererbten Gewohnheit, die in ihrer Aeußerung ganz feststehende und übereinstimmende Formen annimmt. Es liegt eine irrthümliche Auffassung sehr nahe, die für den oberflächlichen Kenner des thierischen Seelenlebens etwas Wahrscheinliches und Ueberzeugendes hat: man meint vielfach, die jungen Wiedehopfe ahmten nur die alten in der Ausübung ihrer Verstellungskunst nach, es sei das Täuschungsmittel nichts anderes als das Ergebniß getreuer Nachbildung auf Grund eigener Anschauung jedes einzelnen Individuums. Aber wie die Nestbaukunst des Vogels kein Werk der Nachahmung sein kann, weil die Jungen gar nicht sehen, wie es die Alten machen, so sind die zahlreichen ähnlichen Erscheinungen im Thierleben als Arteigenthümlichkeiten, als vererbte Gewohnheiten zu betrachten, wie z. B. das Bemühen der Rebhühner und der Grasmücken, durch den Schein einer Lähmung an Flügeln und Füßen den Feind von der Verfolgung ihrer Brut abzulenken. Die Art und Weise ist bei allen Individuen der einzelnen Gattungen so treu übereinstimmend, daß schon darum eine erlernte Nachbildung ausgeschlossen erscheint, denn letztere würde unbedingt zu mancherlei Verschiedenheiten, zu größeren oder kleineren Abweichungen führen.

In der Berechnung der Größe einer Gefahr erweist sich der Wiedehopf oft recht unsicher; der Grund liegt in seiner Nervosität. Die Schwalbe z. B. muß er doch als ungefährliche Erscheinung kennen, dennoch erschreckt ihn ihr nahes Vorüberfliegen, und sofort bekundet sich ein Anflug von Angst in dem beweglichen, feinfühligen Spiel seines Federbusches.

Der Aufenthalt des sonderbaren Vogels, der in unseren Gegenden etwa von Ende März bis Anfang September verweilt, erstreckt sich mit Vorliebe auf baumreiche Ebenen, Landstriche mit Feldern und Wiesen, Viehtriften mit einzeln stehenden Bäumen. Seine Ansiedlung ist durch das Vorhandensein der Lieblingsnahrung bedingt, die in Mistkäfern und Aasfliegen besteht. Darum hält er sich gern in der Nähe von Kuhherden auf. Die Fliegen nimmt er mit dem rasch zufahrenden Schnabel und verschlingt sie ohne weiteres, dagegen behandelt er den großen und hartbepanzerten Käfer umständlicher; er stößt ihn wiederholt mit dem Schnabel auf den Boden, so daß Flügeldecken, Füße und Brustschilder davonfliegen und der weichere Körperrest übrig bleibt. Diesen wirft er dann in die Höhe, fängt ihn auf und würgt ihn in den Schlund hinab. So verfährt er mit den Mist- und Aaskäfern, den Mai-, Brach- und Rosenkäfern, sowie mit den Heuschrecken und Grillen. Der lange Schnabel dient ihm aber ebenso zum Bohren im Erdboden, und er verschmäht es auch nicht, durch Pochen das Kerbthier aus dem Schlupfwinkel zu treiben. Wir haben ihn schon an Ameisenhaufen beobachtet, wo er sich eifrig mit dem Aufpicken von Ameisenpuppen beschäftigte.

Als Nistplatz sucht sich der Wiedehopf in den meisten Fällen Baumhöhlen aus, ausnahmsweise in Deutschland hier und da auch Mauerlöcher; manchmal nimmt er sogar mit dem flachen Boden vorlieb, dann bereitet er nur eine etwas sorgfältigere Unterlage von trockenen Halmen und feinen Wurzeln. Nur einmal nistet er im Jahr, und obgleich er als Zugvogel, wie gesagt, schon im März zur Heimath zurückkehrt, wird das Gelege doch erst im Mai vollzählig.

Unserem Rokokovogel haftet bekanntlich eine recht schlimme Nachrede an. Man benutzt seinen Namen, um einen hohen Grad von üblem Geruch zu bezeichnen, und leider nicht mit Unrecht, denn es ist Thatsache, daß solch ein junger Wiedehopf von frühester Jugend auf ein höchst unreinliches Dasein führt. Unterläßt es das Weibchen schon teilweise während des Brütens, das Nest rein zu halten, so strotzt letzteres zur Zeit der Jungenpflege vollends von Schmutz und wimmelnden Maden, und die Folge ist, daß die Jungen wie die Alten ein pestienzialisches Aroma ausströmen. Erst nach dem Ausflug der jungen Wiedehopfe, die von den Eltern noch eine Zeitlang draußen gefüttert, fortwährend aber geführt und angeleitet werden, verliert sich der üble Geruch, der wahrlich zu dem stolzen, buntprangenden Federaufputz nicht paßt.

b.0 Der Wendehals.

Wenn auch nicht in dem ausgeprägten Maße wie der Wiedehopf, so tritt doch auch der Wendehals, zumal wenn er erregt die Kopffedern zum Schopfe aufrichtet, als Rokokofigur auf. Schon die Zeichnung seines Farbenkleides ist eine ganz absonderliche. Die Grundfarbe der Oberseite ist licht aschgrau und mit feinen dunklen Wellen und Punkten bedeckt, während die weiße Unterseite dunkle Flecke von Dreiecksform in weiten Abständen von einander trägt. Das Gelb der Kehle wie des Unterhalses ist mit Querwellen überzogen. Ein auffallender schwärzlicher Längsstreifen läuft vom Scheitel über den Rücken hinab; außerdem überziehen den Oberkörper schwärzliche, rost- und hellbraune Flecken. Die Schwingen sind mit roth- und schwarzbraunen Bändern durchzogen, die Schwanzfedern fein schwarz gesprenkelt und mit fünf schmalen Bogenbändern geziert. Die Beine sind grüngelb wie der Schnabel, das Auge leuchtet gelbbraun.

Sogleich nach der Rückkehr aus der Fremde zur Heimstätte, die etwa zu Anfang April erfolgt, macht sich dieser echte Frühlingsverkündiger in unseren Feldgärten, Feldgehölzen und Obstbaumpflanzungen, wo alte Bäume ihm Höhlen als Niststätten bieten, bemerkbar durch seinen eintönigen, in regelmäßigen Pausen wiederholten Ruf, der wie „didididididididi“ klingt und die Nachbarmännchen zum Wetteifer herausfordert. Wir folgen der Richtung, woher wir die Töne vernehmen, bis in die Nähe eines Apfelbaums; da verstummt mit einem Male der Vogel. Leise schleichen wir uns dicht an den Baum heran, aber trotz genauen Spähens können wir den Wendehals nicht sogleich entdecken. Das mit der Baumrinde so ziemlich gleichfarbige Gefieder erschwert die Unterscheidung, und das ängstliche, mißtrauische Thierchen bleibt anfangs regungslos sitzen. Doch plötzlich nehmen wir, nachdem unser Hühnerhund uns gefolgt ist, an dem umwulsteten Astloch über dem Stamme eine schlängelnde Bewegung wahr, und jetzt erfaßt das Auge deutlich den Vogel. Er hat den Hals weit ausgereckt, die Kopffedern gelüftet, den Schwanz fächerförmig ausgebreitet und ist mit seinen Kletterfüßen in halb aufrecht hängender Stellung wie angeheftet. Sein ganzer Leib dehnt und beugt sich vor nach der gefürchteten Erscheinung des Hundes, er verdreht förmlich die Gegend um die Augen und läßt unter sichtbarer Bewegung der Kehle gurgelnde Töne vernehmen. Dann wieder dreht er den Hals in Schlangenwindungen und macht eigenthümliche langsame Verbeugungen.

Wir führen dieses Gebärdenspiel ganz auf denselben Beweggrund zurück wie dasjenige des Wiedehopfs, das wir oben geschildert haben; es ist wiederum nichts anderes als das Bestreben des geängstigten Vogels, sich durch Täuschung vor dem Gegenstande

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_479.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2023)