Seite:Die Gartenlaube (1891) 373.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 23.   1891.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Lea und Rahel.

Roman von Ida Boy-Ed.

(6. Fortsetzung.)

In die auf Rahels Worte folgende entsetzliche Stille hinein scholl als rettender Laut die helle Stimme der Baronin, die mit ihrer Neugier, Rücksichtslosigkeit und Keckheit sogleich zur Stelle war. Sie sah sich verwundert die Anwesenden der Reihe nach an, sah Frau von Römpker in ihr Spitzentuch weinen, sah Lüdinghausen sowie das eben so seltsam verkündigte Brautpaar gleich Bildern von Stein dasitzen und Rahel kraftlos zusammengesunken.

„Hier giebt es einen Roman,“ sagte sie, „und ich will wissen, welchen. Das ist mein Recht als alte Freundin des Hauses. Römpker, ich soll doch nicht etwa glauben, daß Sie ein Rabenvater gewesen sind und meinen lieben Clairon und unsere Lea nicht zusammenkommen lassen wollten? Hat es deshalb mit Rahel Zank gegeben? Es ist doch wahr und man darf doch gratuliren?“

„Rahel ist sehr voreilig gewesen,“ versetzte Herr von Römpker mit unsicherer Stimme, „ich bitte Sie, ihren Worten vorerst keine Beachtung zu schenken. Rahel ist heute etwas krank, sie ist fieberisch erregt und weiß nicht, was sie thut.“

Diese Antwort war sehr schwächlich, denn sie erklärte keineswegs, weshalb Herr von Römpker selbst eine Rede angefangen hatte, die auf eine Verlobungsanzeige angelegt war. Aber der Rittmeister hatte inzwischen seiner Frau einen strengen, Schweigen gebietenden Blick zugeworfen, und so sagte sie nur noch:

„Dann sollte das arme Kind sich lieber ins Bett legen.“

Rahel stand schwankend auf. Unwillkürlich erhoben sich alle, denn an eine Fortsetzung der Tafel zu denken, wäre eine zu weit gehende, zu martervolle Lüge gewesen.

Der Rittmeister, der bei sich dachte, daß er morgen von Clairon schon alles genau erfahren werde, war jetzt umsichtig thätig, den Freunden seine und seiner Frau störende Gegenwart möglichst unauffällig zu entziehen. Er hielt seine kleine Frau, scheinbar zärtlich, mit eisernem Druck an seinem Arm fest, begann ein Gespräch mit Raimar und schritt langsam mit diesem durch die Zimmerreihe, bis sie außer aller Gehörweite waren.

Lea fühlte zum ersten Male in ihrem Leben, daß die Nähe einer Mutter ein Schutzgefühl geben kann. Kaum daß Frau von Römpker in ihre gewohnte Sofaecke gesunken war, trat Lea neben sie und zog


Frühlingspfade.
Nach einer Zeichnung von P. F. Messerschmitt.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_373.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)