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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Blondkopf Ludwig Ganghofers, eines echten Germanenjünglings, mit seiner reizenden Frau; den achtzigjährigen L. Aug. Frankl, den letzten aus dem Dichterkreise Anastasius Grün, Lenau, Beck. Der Stern, welcher dort aus dem Nebelfleck von jungen Herren der Aristokratie hervorglänzt, ist eine gefeierte Primadonna, ein echtes fesches Wiener Kind, dessen Wiege hart neben einem Greislerladen gestanden hat. Der schlanke Herr mit den freundlich blickenden schwarzen Augen und der reizenden Brünette an seiner Seite ist Meister Johann Strauß, der Walzerkönig; er ist vielleicht die volksthümlichste Persönlichkeit in Wien; seine Hand ist automatisch beschäftigt, den Hut auf- und abzuschwingen; jetzt erwidert er den Gruß des fidelen Girardi, des Gesangskomikers und Lieblings der Wienerinnen, nach dem sich, wie Sie seh’n, die reizendsten Hälse ausrecken; dann plaudert er einige Worte mit seinem Freunde Tilgner, dem Meister der Porträtbüste; Alfred Grünfeld, der berühmte Pianist, gesellt sich zu ihm. Auch die darstellende Kunst ist würdig vertreten: Krastel, die Siegfriedgestalt mit dem Feuerauge und der Glockenstimme, der jüngst sein fünfundzwanzigjähriges Künstlerjubiläum gefeiert, aber noch lange nicht den letzten Mädchenkopf verdreht hat; sein Fachkollege Robert, der gefeierte Oedipus mit der dämonischen Gluth in Stimme und Blick, und Reimers und Devrient, die grünen Reiser am alten Stamm des Burgtheaters. Der Stimmheros Winkelmann, die graziöse Renard, die gegenwärtig als Manon Triumphe feiert, die berückend schöne Lola Beeth von der Hofoper fehlen nicht bei diesem Stelldichein. Ihr Spaziergang gleicht einem Triumphzug, denn sie üben wie der Rattenfänger von Hameln einen unwiderstehlichen Bann auf jugendliche Herzen aus.

Rathhaus.  Universität. 

Sie fragen, wem der schöne Kopf mit dem ergrauenden blonden Vollbart gehört? Das ist Professor Billroth, der geniale Operateur, ein Wohlthäter der leidenden Menschheit. Hier ein Krösus, dort ein Hochstapler; Kunstelevinnen, Pflastertreter, Offiziere aller Grade, Staatsbeamte in ihren neuen Uniformen, Blumenmädchen, vergessene Berühmtheiten und aufdringliche Streber, deren höchster Ehrgeiz darin besteht, alle Welt zu kennen und in Kreisen geduldet zu werden, denen sie nicht angehören, alles finden S’ da beieinander.

So, und jetzt werfen S’ gefälligst einen Blick auf die Ringstraße. Wir stehen beim Grandhotel; schräg gegenüber ist der Prachtbau des Hotel Imperial, welches ursprünglich ein Palais des Herzogs von Württemberg war. Die Breite der Ringstraße beträgt in ihrer ganzen Ausdehnung 57 Meter; die große Fahrbahn ist 25 Meter breit; dann sind noch zwei Baumalleen da, die eine für Fußgänger, die andere für Reiter, und überdies befindet sich an jeder Häuserreihe eine Zufahrtsstraße, eine Eintheilung, die den größten Anforderungen des Verkehrs reichlich entspricht. Dieser Theil der Ningstraße ist zuerst eröffnet worden. Ich war natürlich überall dabei. Mit Wehmuth und Thränen im Auge sind wir alten Wiener dabei gestanden, wie am 29. März 1858 an der Rothenthurmbastei der erste Ziegel ausgebrochen worden ist. Sie, lieber Herr, das kann nur a Wiener fühlen, wie schwer uns der Gedanke word’n is, uns von unsern lieben Basteien, vom Glacis und Stadtgraben zu trennen, wo wir als Bub’n herumgesprung’n sind, wo wir ‚Indianer‘ und ‚Räuber‘ gespielt haben, unsere Drachen steigen ließen und mit großen Gummibällen das edle Spiel des ‚Ballesterns‘ pflegten. Sie machen sich kein’ Begriff, wie g’müthlich und patriarchalisch es auf dem Glacis zugegangen is. Nachmittags nach der Schulzeit sind die Mütter mit ihren Kindern aus den Vorstädten gekommen, haben sich’s im Gras bequem gemacht, geplaudert und Strümpfe gestopft und die ausgelassenen Buben, die im Gras herumkugelten, überwacht. Hart an den Kastanienalleen, die von der Stadt in die Vorstädte geführt haben, sind sie in Gruppen beisammen gesessen, haben die häuslichen Vorfälle durchgehechelt oder den Vorübergehenden ein ‚Glampfl‘ angehängt.“

„Was haben sie ihnen angehängt?“ fragte Herr Werner erstaunt.

„Ach so, das is wieder so ein wienerischer Ausdruck,“ antwortete Herr Hainfelder. „‚Glampfl‘ ist ungefähr dasselbe wie ‚Glimpf‘, von dem das Wort verunglimpfen herkommt, und bedeutet im gutmüthigen Sinn dasselbe. Uebrigens soll’s solche Lästeralleen auch anderswo geben. Herrgott, war das ein Leben, wenn wir die Schulbücher in einen Winkel geworfen hatten und frei wie die Schwalben hinausg’flog’n sind auf unsere Jagdgründ’. Wie schön war’s, über die begraste Böschung in den Stadtgraben hinunterzukugeln! Und was war das für uns Buben für ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_228.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)