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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

schwere Tropfen an ihren Wimpern zitterten. „Lieber Herr Doktor,“ sagte sie mühsam, „nun weiß ich, daß Leo ein Bild verkauft hat.“

„Gnädige Frau,“ begann er und nahm auf einem kleinen Polsterschemel Platz, so daß er, viel tiefer sitzend als sie, zu ihr emporsah.

„Sagen Sie nichts, sagen Sie nichts!“ bat sie, ihre neu hervorquellenden Thränen zurückdrängend. Aber sie mußte doch den Blick von seinem ehrlichen, besorgten Gesicht abwenden.

„Was soll der thun, dem dieses Pfand gehört?“ fragte eben Melly Benken.

„Fräulein von Zweidorf küssen!“ rief Nelly mit dem harmlosesten Gesicht von der Welt und stieß heimlich ihre Schwester an, weil sie längst gesehen hatte, daß diese den Siegelring des Hausherrn in der Hand barg.

„Herr Jussnitz!“ lachte Melly, den Ring emporhaltend.

Antje sah, wie das schöne Gesicht des jungen Mädchens erblaßte und wie ihre Augen mit einem wahrhaft eisigen Ausdrucke Leo Jussnitz entgegensahen, als dieser sich nun näherte, um ihre widerstrebende Hand galant an die Lippen zu führen.

Wie gut ihn diese Ritterlichkeit kleidete, wie ehrerbietig zärtlich sein Gesichtsausdruck jetzt war! Antje sah es erröthend. „Mein Gott, wie kleinlich bist Du geworden!“ klang es gleich darauf durch ihre Seele, und sie wand die Hände ineinander in nie gekannter Qual. „Wenn ich doch lieber sterben dürfte!“ flüsterten ihre Lippen.

„Frau Antje!“ Diese in vorwurfsvollem Tone gesprochene Anrede ließ sie erschreckt zu Maiberg herabblicken; hatte sie denn laut gedacht? Und sie zitterte plötzlich am ganzen Körper.

„Was meinen Sie, Herr Doktor,“ sagte sie nach einer Pause langsam, mit eigenthümlich schwerer Zunge, „wäre es nicht am besten, ich nähme die Kleine und ginge ihres Hustens wegen einige Zeit lang zu meiner Mutter?“

„Gnädige Frau, gehen Sie ja nicht,“ sprach er herzlich; „verzeihen Sie mir – das wäre eine Feigheit!“

Sie sah ihn an mit den schönen thränenschimmernden Augen. „Nein, ich gehe nicht!“ wiederholte sie, „ich gehe nicht!“ –

„Willst Du vielleicht die Güte haben, Dich Deinen Gästen im allgemeinen etwas mehr zu widmen?“ fragte Leo, der plötzlich neben ihr stand; „es mag ja sehr hübsch sein in diesem Schmollwinkelchen, aber – ich bitte Dich dringend aus verschiedenen Ursachen – diese thränenreichen Vertrauensergüsse etwas abzukürzen.“

Maiberg stand auf. „Gnädige Frau, ich bin genöthigt, morgen Ihr gastfreies Haus zu verlassen; ich muß bereits zeitig aufbrechen und möchte mich daher heute abend etwas früher zurückziehen. Leben Sie denn wohl und haben Sie Dank für alle Ihre Güte und Freundlichkeit.“ Er hielt die schlanke zitternde Hand einen Augenblick in der seinen, aber er sah nicht mehr das todestraurige Gesicht der jungen Frau.

„Leb wohl, Leo!“ wandte er sich kurz zu dem Freunde.

„Mach’ doch keine Witze!“ sagte dieser rasch und ärgerlich.

„Mir war nie ernsthafter wie jetzt, ich versichere Dich! Leb wohl! Ich empfehle mich auf französisch; solltest Du noch etwas mit mir zu besprechen haben, so findest Du mich wach, ich packe meine Sachen.“

Er sah sich noch einmal um. Antje stand neben Barrenberg, der ihr etwas erzählte; sie hatte das Gesicht zu ihm erhoben, aber Maiberg wußte, sie hörte nichts von dem, was er zu ihr redete.




Wochen waren vergangen. Auf die Mauern des Sibyllenburger Herrenhauses schien die Märzsonne, die weiten Rasenplätze des Gartens hatten bereits einen grüneren Schimmer gewonnen, an den Reisern und Aestchen der Bäume und Sträucher schwollen die braunrothen Knospen und aus der sauber gelockerten Erde der Beete drängten sich kleine grüne Spitzen zum Licht und guckten schüchtern heraus. „Ob man es schon wagen kann?“ schienen die Krokus und Hyazinthen zu fragen, und der alte Gärtner schüttelte den Kopf und legte sorglich Tannenreisig über die vorwitzigen Dinger, um sie zu schützen vor Frost und Eis, denn es konnte nur ein trügerischer Frühlingsglanz sein und die Wolken dort drüben bargen Schnee.

Antje stand, ihr Töchterchen an der Hand, gedankenvoll neben dem alten Mann und betrachtete seine vorsorgliche Arbeit.

„Bei uns in den Bergen droben,“ sagte sie endlich, „kommt das alles nicht vor dem April heraus; es ist ein sonniges Stückchen Welt hier.“

„Schön ist’s!“ nickte der Alte und sah sich um. „Es wäre schade, Frau Jussnitz, wenn es wahr ist, was die Leute reden, daß der Herr daran denkt, die Besitzung zu verkaufen.“

„Sagen das die Leute?“ fragte sie.

„Ueberall sprechen sie davon – es wäre mir lieb, ich könnte dagegen reden, gnädige Frau.“

Sie antwortete nicht, sie hatte sich dem Hause zugewandt und betrachtete es. Die Sonne strahlte aus allen Fenstern zurück, deren jedes selbst eine kleine blendende Sonne war. Antje blickte so scharf hinein, daß ihr die Augen davon thränten. Dann ging sie weiter mit der Kleinen; kopfschüttelnd sah der alte Mann ihr nach.

Am Ende des Parkes blickte sie über die niedrige Mauer weg in das Feld hinaus. Sie hob die Kleine auf das Gemäuer und ließ sie mit hinaus in die Welt schauen.

„Papa!“ jauchzte das Kind auf, und die kleine Hand im weißen Fausthandschuh zeigte nach einem Herrn, der drüben auf dem Wege neben einer Frauengestalt dahin schritt.

„Sei ruhig,“ sagte die junge Frau, indem sie den beiden nachstarrte, bis sie hinter den ersten Häusern des Dorfes verschwanden. „Komm, Maus!“

Die Kleine trippelte wieder neben der Mutter her dem Hause zu. „Maus will nicht hineingehen,“ weinte sie, als Antje die Hausthür öffnete.

„Doch, Maus, wir gehen in Papas schöne Stube, komm!“

Und als sie droben die Mäntel und Hüte abgelegt hatten, ging Antje mit dem Kinde in das Atelier. Sie setzte sich in den ersten besten Stuhl und starrte auf einen Fleck; das Kind spielte indessen auf dem Teppich umher.

„Da, Mama!“ sagte es und legte eine rothe Bandschleife, die es aufgehoben hatte, der Mutter in die Hand.

Antje schleuderte den zierlichen Schmuck wieder zur Erde, als sei ein widriges Insekt über ihre Hand gekrochen, und ihre Blicke flogen zu dem Bilde auf der Staffelei hinüber. Die schöne Gestalt der spanischen Tänzerin schaute jetzt bereits aus einem breiten schimmernden Goldrahmen, aber vollendet war das Bild, nach Leos Ausspruch wenigstens, immer noch nicht. – Die Sonnenstrahlen rückten mählich weiter und weiter, es war so stille um die sinnende Frau; das Kind hatte das Köpfchen auf ein weiches Fußkissen geschmiegt und war eingeschlafen. Im ganzen Hause kein Geräusch als nur das leise langsame Ticken der reich vergoldeten Stutzuhr auf dem Kamin und ein Flüstern und Knistern, als gingen Geister um.

Es waren keine traulichen Geister; sie redeten Böses zu der blassen Frau dort, sie redeten von gebrochener Treue, von gestorbener Liebe und unglücklicher verlassener Zukunft. Antje war nicht feige gewesen; sie hatte ihr rebellisches Herz an jenem Abend zur Ruhe gebracht, indem sie sich sagte, daß er ja noch nichts gethan habe, was ihn ihrer Liebe unwerth mache; es ließ sich eben alles auf seine Künstlernatur zurückführen, auf seine Lust am Schönen, an den prächtigen Erzeugnissen vergangener Zeiten, auch sein Verlangen, das schöne Mädchen zu malen, und das Bedürfniß, ihr zu huldigen. Mein Gott, das war es ja, was auch sie hingezogen hatte zu ihm, daß er so anders war als die andern. Sie hatte es auch nicht vermocht, ihm von der Rechnung des Antiquitätenhändlers zu sprechen; heimlich hatte sie die Summe angeschafft, um den Mahner zu befriedigen. Sie hätte um keinen Preis mit Leo des Geldes wegen hadern mögen; sie durfte ihm die schaffensfreudige Stimmung nicht mit derartigen Vorstellungen verderben, diese Pflicht lag ihr als seiner Frau zunächst ob. Daß sie heimlich all ihr von Kindheit an Erspartes durch die Classen von der Sparkasse holen ließ und noch die ererbte werthvolle Perlenkette einer Pathin mit drauf gab, welche die alte Frau unter Kopfschütteln und Seufzen in Empfang nahm, um sie zu verkaufen, das wußte niemand außer Antje selbst und ihrer Helferin. Und auf die Classen konnte sie sich verlassen! Die Alte rang zwar die Hände und drohte, alles der Mutter zu verrathen, aber sie schwieg doch wie das Grab, sobald es ihre junge Herrin ernsthaft verlangte. Nur das mußte Antje oft von ihr hören: „Wohin sind wir gekommen! Wohin werden wir noch kommen, wenn Sie immer so still sind!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_183.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)