Seite:Die Gartenlaube (1891) 134.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Er sagte mir kein Wort davon,“ kam es fast heiser von ihren Lippen.

Maiberg verwünschte sich selbst, daß er sie gefragt hatte; ganz verlegen stand er vor der jungen Frau. „Er wird es schon noch melden,“ zwang er sich zu scherzen, „vielleicht will er Sie mit der Nachricht überraschen. Aber, hören Sie doch, es klingelt, die Bescherung geht an – – es ist doch eine eigenthümliche Idee, sich an solchem Abend mit einer Herde fremder Menschen zusammentreiben zu lassen – ich hatte es mir so anders gedacht!“

Sie antwortete nicht. Wieder hatte sie jenes Automatenhafte an sich, als sie neben ihm den saalartigen Raum betrat, in dem ein strahlend heller Baum erglänzte. Maiberg, der sie verstohlen beobachtete, erschrak fast über den Ausdruck ihrer Augen. Sie stand dann zwischen den andern und hörte das scherzhafte Gedicht an, das Melly Benken als Engel mit großen weißen Flügeln, auf einer Erhöhung stehend, deklamirte. Aber Antje vernahm nur den Klang der Worte, den Sinn faßte sie nicht. Ihre Finger umschlossen später einen kleinen Gegenstand, den ihr besagter Engel in die Hand gelegt hatte; sie danke auch dafür und wußte es kaum. In ihr klang es nur immer wieder: „Er sagt mir nichts – mir! Ich besitze sein Vertrauen nicht, ich bin ihm nichts mehr, gar nichts, war ihm vielleicht nie etwas!“ Und dann überkam sie eine unsagbar schmerzliche Sehnsucht nach ihrer Mutter, nach der Vergangenheit, nach dem Frieden ihrer Jugend. Mitten unter diesem Lachen, Sprechen, Jubeln sah sie sich eintreten in die traute Stube daheim, um der alten Frau in die Arme zu flüchten – „Mutter, da bin ich wieder!“

„Darüber wird sich Leonie freuen,“ sagte eine Stimme zu ihr, und Maiberg hielt ihr lächelnd eine drollige Gummipuppe hin, die der Weihnachtsengel ihm in die Hand geschoben hatte.

Leonie! Ihre Kleine! – Der Bann war gebrochen; dankbar blickte sie den Sprecher an.

„So ist’s recht!“ lobte er. „Was haben Sie denn da?“ Sie sahen jetzt beide auf ein keines Spinnrad aus Elfenbein und lasen den Zettel, der daran hing. Da stand:

„Ein Weib, das spinnen und kochen kann,
Beglückt am meisten ihren Mann.“

Antje lächelte; es war die Handschrift der Baronin, und Antje kannte deren gelegentliche Ausfälle gegen das „Hausfrauengethue“, wie sie es nannte.

Die Stimmung war durch den Champagner eine sehr lustige geworden; Maiberg stand und saß wie eine Schildwache neben Antje. Leo Jussnitz hatte eine Puppe, als Spanierin angezogen, bekommen und ein boshaftes Verschen dazu, das er rasch zerriß; eben näherte er sich seiner Frau.

„Entschuldige, Antje,“ sagte er und nahm Maiberg am Arm „Bitte,“ sprach er dann außer dem Bereich ihres Ohres zu diesem, „stehe nicht ewig neben meiner Frau, sie lernt sonst nie, selbständig zu sein, und außerdem ist die Baronin boshaft.“

„Ich wüßte nicht, was ihre Bosheit mit Deiner Frau und mir zu schaffen hätte?“

„Ich habe sie eben verspürt – damit genug! Die Baronin ist überhaupt von einer fürchterlichen Stimmung, verlangte eben allen Ernstes von mir, ich sollte heute abend das Bild der Spanierin hier zeigen – wer um alles in der Welt mag sie auf diese neue Laune gebracht haben!“

„Laß es doch holen!“ gab der Doktor gleichmüthig zur Antwort.

Leos Gesicht färbte sich purpurroth. „Ich will nicht!“

„Aber warum tust Du denn überhaupt so heimlich mit dieser Arbeit?“ forschte Maiberg. „Heute früh wärst Du am liebsten grob geworden gegen Deine Frau und mich, als wir kamen, und wärest es sicher auch geworden, hätten wir die junge Dame noch oben bei Dir getroffen.“

„Ich liebe keine Störungen, am allerwenigsten durch Antje.“

„Hm!“

„Wie?“

„Ich meinte eben – sag’ mal, Leo, weß Geistes Kind ist denn dieses hübsche Mädchen?“

„Eine Landsmännin aus Altwedel, die Tochter unseres Nachbars; ich kannte sie, als sie vier Jahre alt war. Allerdings ist sie hübsch, sonst würde ich sie nicht malen.“

„Deine Frau und sie schauten sich an, als hätten sie noch nie etwas von einander gewußt.“

„Das ist auch durchaus nicht erforderlich; ich male das Mädchen, und damit gut!“

„Leo,“ flüsterte Maiberg und zog den sehr verdrießlich Aussehenden in eine Fensternische. „nimm es auf, wie es gemeint ist, als das Wort eines rechtschaffenen Freundes: fange keine Romane an wie früher!“

„Was fällt Dir ein?“ brauste Jussnitz auf.

„Sag’, Leo, weiß die Kleine, daß Du verheirathet bist?“

„Wozu denn? Ich habe ihr nichts von meinen Privatverhältnissen erzählt, absichtlich nicht; ich würde dann nicht umhin können, sie Antje vorzustellen, und das will ich nicht. Du kennst die Gründe.“

„Aber, Leo, Du bist doch der gewissenloseste Kerl, den die Welt trägt! Denkst Du denn nicht daran, daß Du bei dem täglichen Verkehr mit so einem jungen Ding, das kaum das Köpfchen aus dem heimischen Neste gesteckt hat, ein – –“

„Nun, was denn?“ fragte Jussnitz.

„Daß sie zum Beispiel eine unglückliche Neigung zu Dir fassen könnte, Dich – –“

„Dagegen würde meine Vermählungsanzeige sie auch nicht schützen.“

„Das möchte ich denn doch nicht behaupten, mein Bester,“ antwortete Maiberg.

„Nun, sie kann sich ja, bevor sie ihr Herz an mich verschenkt, nach mir erkundigen,“ erwiderte verdrießlich Jussnitz, dem Freunde den Rücken wendend und sich zu der Baronin niederbeugend, die ihm herausfordernd die Hand hinhielt und sagte:

„Wetten Sie, daß ich Ihnen morgen ganz genau sagen kann, wie groß das Bild ist, das Sie jetzt malen, wie Ihre Spanierin dasteht, von welcher Farbe das spitzenbesetzte Röckchen ist – wetten Sie, Herr Jussnitz?“

„Ich kann doch unmöglich eine Wette halten,“ erwiderte er, „von der ich überzeugt bin, daß Sie sie verlieren!“

„Ich verliere nicht!“

„Nun, schön! Um wie viel Uhr morgen früh soll ich das erfahren, Baronin?“

„Bestimmen Sie!“

„Um sechs Uhr.“ sagte er scherzend.

„Angenommen! Bitte, Ihre Hand – Barrenberg, schlag’ durch!“

„Was ist der Preis der Wette?“ fragte Barrenberg, der hinzutrat.

„Irgend ein nettes kleines Geschenk,“ erwiderte die Baronin lächelnd. „Wie wär’s, Jussnitz, mit einer Kopie von dem besagten Gemälde? Ja – das wollen wir festhalten!“

Und damit tauchte die kleine weiße Gestalt wieder in dem Schwarm der Gäste unter. Im Nebenzimmer begann jemand einen Straußschen Walzer zu spielen, und schon im nächsten Augenblick tanzte Nelly Benken mit Lieutenant Osten, und die übrigen folgten mit der Hingebung, wie eben nur die Jugend tanzt.

Es mochte vielleicht eine Stunde verflossen sein, als die Musik mitten in einem Ländler jäh abbrach. Antje, der sich die redselige alte Obristin in grünem Sammet zugesellt hatte, um ihr von der traurigen Thatsache zu erzählen, daß sie drei Männer begraben habe, achtete gar nicht auf das Sprechen ihrer Nachbarin; es war ihr unverständlich wie das Murmeln eines Springbrunnens. Da verstummte auch die Frau in Grün und die Stimme der Baronin klang aus dem Nebenzimmer herüber, hastig, aufgeregt:

„Bitte, meine Herrschaften, alle hier herein, die Jugend will lebende Bilder improvisiren – nur einige, und ganz rasch, noch vor dem Essen!“

Die alte Dame schob ihren Arm in den Antjes. „Kommen Sie, Frau Jussnitz, das ist so mein Fall, oder – wirken Sie selbst mit? Dann freilich –“

„Nein,“ sagte Antje, neben ihr gehend.

Da innen hatte man die sehr breiten Flügelthüren nach einem dritten Gemache geschlossen; die jungen Mädchen und einige Herren waren dahinter geschlüpft, man hörte Lachen und Kichern. Ein Diener rückte der Thür gegenüber die Stühle zurecht für die Zuschauer, unter denen sich auch Jussnitz und Maiberg befanden. Vorn in der ersten Reihe saß Antje zwischen der Generalin und der jungen eleganten Witwe des Jagdfreundes, die ganz offen aussprach, daß diese improvisirten Bilder und Charaden ihrer Erfahrung nach meistens recht kläglich auszufallen pflegten.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_134.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)