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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Der sündhafte Reiz des thatenlosen Verdienstes hatte sie erfaßt und trieb sie rastlos weiter auf dieser Bahn.

Stefanelly ließ lange auf sich warten. Endlich erschien er, lärmend begrüßt, an seiner Seite ein hagerer Mann mit mächtigem weißen Schnurrbart. Keiner der Ihrigen! Er hielt sich in fast ängstlicher Weise an der Seite des Gründers und blickte befangen in den rauchigen menschengefüllten Raum.

Stefanelly stellte der Versammlung Herrn Baron von Brennberg-Schönau als Hauptakionär ber Gesellschaft vor.

Ein unwillig klingendes Gemurmel verbreitete sich: dieser Mann erschien als fremder Eindringling, man brauchte keinen Baron dabei.

Christian verbeugte sich: ein ängstliches Gefühl packte ihn, und er fühlte einen Augenblick, daß er nicht hierher gehöre. daß er ein fremdes Element in diesem Saale sei. Stefanelly bot ihm neben sich einen Platz an und eröffnete die Versammlung.

Es handle sich vor allem um die Wahl des Aufsichtsrathes. Als Gründer des vielversprechenden Unternehmens bitte er, seine Person bei derselben ganz aus der Debatte wegzulassen; seine Feinde – und er habe deren genug – würden sofort daraus Kapital schlagen ttttd ihn einen ehrgeizigen Streber nennen.

Wilder Lärm erhob sich von allen Seiten. „Stefanelly und kein anderer!“ „Sie müssen, wir zwingen Sie dazu!“ „Ohne Debatte Stefanelly!“ erscholl es durcheinander.

Dieser ließ die Leute austoben und fuhr dann unbeirrt fort:

„Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sich in den Vordergrund drängen, aber zu denjenigen, die, wenn sie einmal eine Idee erfaßt, als gesund und lebensfähig erkannt haben, mit der Zähigkeit eines Arbeiters daran fest halten.“

„Bravo! Bravo!“ brauste es durch den Saal.

„Zu denen, welche es als die heiligste Pflicht des Kapitals ansehen, die Arbeit im Lande zu heben, zu stärken, zu mehren, nicht sie einseitig aus- und abzunutzen. Das sind die Ziele, welche mich bei dieser Gründung leiteten, keine persönlichen ehrgeizigen Pläne.“

„Bravo! So ist es! Es lebe die Arbeit! Stefanelly! Ohne Debatte. Stefanelly soll Vorsitzender werden!“

Eine förmliche Wuth ergriff die Leute; so oft Stefanelly, sich nach allen Richtungen verbeugend, auch ansetzte, er kam nicht mehr zu Worte. Man umdrängte ihn, schüttelte ihm die Hand, allen voran drängte sich Hans Margold.

Stefanelly flehte um Ruhe, Besonnenheit, weigerte sich, zuckte die Achseln, bedauerte. Das alles erhöhte nur den Sturm. Da griff er endlich schwer aufathmend nach der Glocke – alles still!

„Nun, wenn es denn sein muß, wenn Sie durchaus mich zwingen, zwingen, sage ich – ich fühle mich ja durch Ihr Vertrauen hoch geehrt, aber –“

„Kein ‚Aber‘ – Annehmen! Annehmen!“ tönte es wieder.

„So nehme ich an!“ schloß er rasch und plötzlich; seine geschlossenen Lippen bewegten sich nervös wie die eines Raubthieres, welches den erhaschten leckeren Bissen langsam genießen will.

Christian verschwand ganz in der ihn umtobenden Menge, der Schweiß stand ihm auf der Stirn, eine wilde Aufregung erfaßte auch ihn unter diesen erhitzten Männern; es war ein prickelndes, nie gekanntes Gefühl.

Endlich legten sich die Wogen. – Das nächste war die Wahl der weiteren Mitglieder des Aufsichtsrathes. Daß sie nach diesem Auftritt ganz in den Händen Stefanellys liegen mußte, war klar.

Sein erster Vorschlag galt Herrn von Brennberg-Schönau.

Peinliche Ruhe trat ein bei Nennung dieses vornehmen Namens.

„Herr von Brennberg-Schönau ist nicht nur der Träger eines hochgeachteten, tadellosen Namens, der allgemeines Vertrauen genießen wird, sondern ganz besonders wie wir alle ein Mann der Arbeit! Jawohl, meine Herren, ein Mann der Arbeit, der von Jugend auf seine Scholle baute, selbst mitarbeitete, wenn es noth that. Wir müssen auch einen Vertreter der höheren Stände haben, wir wollen sie nicht ausschließen. Das Unternehmen muß möglichst große Ausdehnung finden, darauf ist es berechnet. Jene Kreise sollen uns einfachen Leuten, die sie verächtlich ‚Parvenus‘ nennen, die großen wirthschaftlichen Vortheile zu danken haben, die aus dem Unternehmen entspringen. Wollen Sie nun lieber einen Börsianer, einen Baron Anspacher zum Beispiel, der mich um die Stellung eines Aufsichtsrathes förmlich bittet, oder wollen Sie einen Mann, dessen Herz warm für Sie schlägt, der Ihr Freund ist, der, offen gesagt, in den Augen seiner Standesgenossen auch eine Art Parvenu ist wie wir alle –?“

Beifälliges Gemurmel. Der alte Margold, der den Herrn kennt, wird umdrängt; er weiß nur Vortreffliches von ihm zu sagen. Die Thränen stehen ihm in den Augen vor Rührung und Freude. Es war ihm bange zu Muthe gewesen, als er eintrat mit Weinmann, und jetzt sah er seinen geliebten alten Herrn selbst da, und dieser sollte sogar zum Aufsichtsrath gewählt werden! – Da hatte er mit seinem Hierherkommen ja doch das Rechte getroffen, er war ein dummer, mißtrauischer Mensch, weiter nichts. –

„Bitte abzustimmen über Herrn von Brennberg,“ rief Stefanelly. „Wer für ihn ist, erhebe sich!“

Kein Stuhl blieb besetzt. Um Christian drehte sich der ganze Saal, alle die Menschen. Er empfand zum ersten Male die Wollust der Volksgunst. eine heftige Liebe zu den Menschen allen, die ihm eben noch so feindselig erschienen waren. Er hätte jedem die Hand drücken mögen und ihm danken für das geschenkte Vertrauen, das zu rechtfertigen er im stillen mit der Begeisterung eines Ritters schwur, der sich zu einem Kreuzzug rüstet.

„So begrüße ich Sie, Herr von Brennberg, als Mitglied des Aufsichtsrathes der Gesellschaft,“ begann in feierlichem Tone Stefanelly, dem in seinem Innersten erschütterten Christian die Hand schüttelnd. „Es ist eine ehrenvolle, aber auch verantwortliche Stellung, die Entwicklungsgeschichte M...s wird einst Ihren Namen nennen.“

„Hoch! Hoch! Hoch!“ schallte es durch den Saal. In Stefanellys Auge schimmerte sogar eine Thräne. während sie über Christians Wangen unaufhaltsam strömten.

Mit zitternden Lippen, mit seiner Rührung ringend, stammelte Christian einige Worte des Dankes; kaum hatte er geendet, als aus der vor seinen feuchten Augen verschwimmenden Menge ein alter gebeugter Mann auf ihn zukam und ihm schon von weitem beide Hände entgegenstreckte.

„Gnädiger Herr, unser Herrgott gebe seinen Segen! Daß ich das noch erlebt habe! Die hohe Ehr’! Ich gratulir’ halt viel tausendmal!“

Es war der alte Margold. Er wollte in seiner Bewegung Christian die Hand küssen, doch der umarmte ihn und drückte ihn an die Brust wie einen alten längst vermißten Freund. Allgemeines Halloh begleitete diese herzliche Begrüßung des einfachen Gärtnermeisters durch den Edelmann – Christian hatte mit einem Male alle Herzen gewonnen.

Die weiteren Wahlen und Verhandlungen verliefen alle rasch und glatt, es gab keinen Widerspruch, kein Bedenken gegen einen Vorschlag, den Stefanelly machte. Eine nur leise Andeutung desselben, daß eine weitere Ausgabe von Aktien nothwendig sein werde, rief schon einen Beifallssturm hervor, man zeichnete sinnlos im voraus, ganze Vermögen wurden dem Unternehmer zu Füßen gelegt. Der zögerte zwar noch, sie aufzuheben, aber in seinem Buche standen sie alle pünktlich verzeichnet.

An die Sitzung knüpfte sich eine gesellige Unterhaltung. Das stärkste Band schlang sich um die Gesellschaft: der gemeinsame Vortheil; die kühnsten Hoffnungen wurden rege, man lachte über die Kurzsichtigkeit der M...er Bürger, die von den mißachteten Emporkömmlingen sich die reiche Frucht vorweg nehmen ließen, man lachte im geheimen über die dummen Leute, die sich um nothdürftigen Erwerb den ganzen Tag in ihren Werkstätten und Geschäften herumquälten, sah mit grimmigem Behagen auf die arbeitsvolle, mühselige, glücklich überstandene Vergangenheit zurück und verglich damit die glänzende Zukunft in der Großstadt, deren Genüsse von allen Seiten zum Zugreifen einluden.

Christian fühlte sich bald heimisch unter diesen Leuten, die trotz aller Gemüthlichkeit den angeborenen Respekt gegen ihn nicht außer acht ließen. Die Rolle, welche er hier spielte, war zu verschieden von der, welche ihm heute vormittag aufgedrungen war, und es kränkte ihn nur, daß ihn sein Sohn jetzt nicht sehen konnte.

Es war schon spät, als er den Heimweg antrat, wobei es der alte Margold sich nicht nehmen ließ, ihn zu begleiten. – Der einstige Gärtner von Schönau fühlte sich jetzt seinem frühern Herrn bedeutend näher gerückt, trotz des neuen Titels „Aufsichtsrath“; saßen sie doch jetzt in einer Gesellschaft, hatten gleiche Interessen, waren Bürger eines Gemeinwesens. Die endlose Häuserzeile, die sie Seite an Seite hinaufschritten, bewohnten Adlige und Bürgerliche, Arme und Reiche, da war kein Herrenhaus, kein Schönau, dessen Anblick ihm, dem alten Arbeiter, schon Ehrfurcht einflößte, und auch sein ehemaliger Herr sprach jetzt mit ihm wie mit seinesgleichen.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_130.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)